Monika Subowski

Roman

Kapitel 1 - Indizien


„Jimmy Carter!“

„Der 39. Präsident der USA“, trompetete Veronika ohne zu zögern und demonstrierte ein ausgefeiltes, zählbares Allgemeinwissen.

„Das ist doch keine Frage, du dusselige Kuh!“

„Tut mir leid Veronika, das ist leider keine Frage.“

„‘Wer war der 39. Präsident der Vereinigten Staaten?‘, hättest du sagen müssen“, rief Moni ihr zu. Die Leute kapierten Jeopardy nie.

„Richtig wäre gewesen: ‚Wer war der 39. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika!“, tönte der Frank Elstner gewieft.

Wenn es eins gab, worauf man sich bei Jeopardy verlassen konnte, war es, dass die Leute immer vergaßen ihre Antworten als Fragen zu kaschieren.

„Damit bist du draußen, Schätzchen. Michael macht das Rennen!“

Michael stellte noch zwei richtige Fragen und hatte mehr als doppelt so viel Punkte als der Zweite im Finale. Kein Wunder also, dass er drei Minuten später zum Champion gekürt wurde.

Moni schaltete den Recorder aus. Gestern hatte sie auf Jeopardy verzichtet. Natürlich hatte sie es vorsorglich aufgezeichnet. Aber gestern war Volker früher von der Arbeit nach Hause gekommen und sie hatte gehofft, dass er sich endlich mal wieder um sie kümmerte. So richtig. Also, wie früher. Sie hatte Schweinemedaillons in Sherrysahne für ihn gekocht. Sein Lieblingsessen. Dazu gab es Kroketten und Wein.

Sie hatten dann auch zusammen gegessen, doch statt anschließend zusammen das Schlafzimmer aufzusuchen, waren sie auf der Couch im Wohnzimmer gelandet.

Auch damit wäre Moni notfalls einverstanden gewesen. Bequemlichkeit hin oder her. Alles wäre bestens gewesen, wenn Volker nicht behauptet hätte, dass der Wein ihn müde gemacht hätte. Prompt döste er noch während der Nachrichten ein. Daraus hätte man natürlich lernen können. Das nächste Mal durfte es eben keinen Wein geben. Aber Moni bezweifelte, dass es damit getan wäre. Dies war nicht ihr erster Versuch, die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen. Und wenn es nicht der Wein war, dann die Arbeit oder sonst irgendetwas. Der Verdacht lag nahe, dass es einen anderen Grund gab, warum er dauernd müde war.

Wenn Männer fremdgingen, gab es dafür ein paar untrügliche Anzeichen. Moni hatte die ersten längst entdeckt. Neue Unterwäsche, zum Beispiel. Farbige Wäsche, knapp geschnitten. Sie hatte sie zuerst in der Schublade entdeckt. Und! Volker roch anders, wenn er nach Hause kam. Und er ging verdächtig oft zum Friseur. Männer, die begannen sich verstärkt um ihr Äußeres zu kümmern, sollten jede Frau alarmieren.

Andere Anzeichen hätten Moni bereits seit Jahren stutzig machen sollen. Seit drei Jahren schliefen sie in getrennten Zimmern. Wenngleich das natürlich kein Indiz dafür war, dass er fremdging. Aber es hatte das Fremdgehen auf Dauer unvermeidlich werden lassen. Das allerschlimmste Indiz jedoch war, dass er seit neuestem nicht mehr über ihr Gewicht maulte. Genau genommen sprachen sie eigentlich überhaupt kaum noch miteinander. Aber über ihr Gewicht zu nörgeln, dafür war bis vor etwa acht Wochen selbst zwischen Frühstück und Weggehen noch immer genug Zeit gewesen.

Jetzt war das vorbei. Moni hätte froh sein können, dass er sie damit endlich in Ruhe ließ, aber mit dem Ende des Meckerns war offensichtlich auch das letzte Interesse an ihr verflogen.

Früher, als sie Volker kennengelernt hatte, war sie schlank gewesen. Zumindest nicht übergewichtig. Irgendwie normal. Dann war plötzlich das Gewicht gekommen und einfach nicht wieder weggegangen. Das musste genetisch programmiert sein. Bei ihrer Mutter war es genauso gewesen. Nur da kam es angeblich von der Schwangerschaft. Deshalb hatte sich Moni vorgenommen, nie im Leben schwanger zu werden und hatte das auch durch­gehalten.

Nicht auszudenken, was aus ihr geworden wäre, wenn ihre Mutter recht behalten und eine Schwangerschaft noch einmal 20 Kilo mehr mit sich gebracht hätte.

Moni hatte lange Zeit an einer Art Diätsucht gelitten. Alle sechs Wochen eine abgebrochene Diät war unbedingtes Pflichtprogramm. Das Gewicht stieg natürlich unbeeindruckt weiter. Bis die Waage knapp unter 90 Kilo anzeigte. Damals wusste sie, dass sie diesen letzten Widerstand nicht auf Dauer leisten konnte, deswegen hatte sie kurzerhand die Waage aus ihrem Haus verbannt. Seitdem ging es ihr besser. Die Diäten gehörten der Vergangenheit an. Wenn sie jetzt Pech hatte, Volker allerdings bald auch.

Darüber hätte sie gern mit einer Freundin gesprochen, aber seit sie vor zehn Jahren Volkers wegen umgezogen waren, hatte sie nicht wieder so Recht Anschluss gefunden.

Die Frauen von Volkers Kollegen waren Monis Meinung nach alle etwas bescheuert. Und sonst? Vielleicht hätte sie sich in irgendeinem Verein anmelden sollen, oder bei einer Selbsthilfegruppe?

Aber das alles wäre ihr viel zu sehr auf die Nerven gegangen. Eigentlich fühlte sie sich zu Hause ganz wohl. Nur, … hier lernte sie niemanden kennen.

Beim Einkaufen traf man an der Wursttheke höchstens mal auf arbeitslose Männer, die recht zweideutige Interessen äußerten. Wobei Moni davon weitestgehend verschont wurde. Außerdem hätte sie sich nie mit solchen Typen eingelassen.

Moni setzte Kaffee auf und suchte nach den restlichen Keksen. Keine mehr da. Entschlossen öffnete sie eine neue Packung. Sie brauchte jetzt eine kleine Stärkung und einen Schlachtplan. Noch war es ja wohl nicht zu spät. Es konnte sich bestenfalls um eine kurze Affäre handeln. Aber es konnte auch sehr schnell ernst werden. Wenn es ernst wurde, wollte Moni lieber kämpfend untergehen, als Volker einfach so ziehen zu lassen.

*

Ein erster notwendiger Schritt wäre sicherlich gewesen, das Diätprogramm wieder aufzunehmen. Sie hätte auch Sport treiben können.

Moni sah auf die Kekse, biss ab, fand sie zu trocken und stellte sie weg. Eine Diät dauerte zu lange. Soviel Zeit blieb ihr nicht. Ein ernstzunehmender Einwand. Außerdem: Selbst wenn sie es schaffen würde abzunehmen, irgendwann käme das Gewicht ja doch wieder.

Unvorstellbar: Ein Leben lang Diät zu halten, nur um mit Volker verheiratet zu bleiben. Nein, Volker musste sie schon lieben, wie sie war. So schlecht waren die Kekse nun auch wieder nicht. Alternativen? Sport, wenigstens, um die Figur ein bisschen in Schwung zu bringen. Mal sehen. Aber sie konnte mehr für ihr Äußeres tun.

Ein Blick in den Spiegel brachte die traurige Wahrheit zu Tage. Immerhin Fältchen und Krähenfüße hatten kaum eine Chance bei ihr. Cellulitis? Na ja es gab Leute, die dünner waren und mehr damit zu kämpfen hatten. Längst noch kein Grund zur Panik. Aber die Haare! Damit hatte sie noch nie sonderlich viel anfangen können. Früher hatte sie sich geschminkt. Wäre auch mal wieder eine Überlegung wert. Und etwas Eleganteres zum Anziehen. Perfekt. Erst mal ein neues Outfit zulegen, das war der richtige Weg.

Moni beschloss zum Friseur zu gehen und anschließend den Tag in der Innenstadt zu verbringen.



Kapitel 2 - Der Friseur


Donnerstags ohne Voranmeldung. Das war schlimmer als beim Arzt. Moni wusste wieder, warum sie so selten beim Friseur ihre Zeit vertat. Kein Termin frei, Wartezeit mindestens zwei Stunden, am besten aber erst Freitag gegen 14 Uhr. Der junge Angestellte tuschelte etwas mit seiner Kollegin, die Moni bediente.

„Ja, also wenn Sie sich etwas gedulden, könnte ich Sie vielleicht in der Mittagspause zwischenschieben.“

Zwischenschieben. Soweit war es also schon gekommen. Man schob sie zwischen. Moni hätte die Friseuse gern gefragt, ob sie aussähe, als ob man sie irgendwo zwischenschieben könnte.

„Aber gern“, antwortete Moni stattdessen höflich. Schließlich konnte ihr Plan, sich von Grund auf zu restaurieren, schon an diesem Punkt scheitern. Nur weil kein Friseurtermin frei war? Und wer weiß, vielleicht konnte sie sich später zu so einem Schritt nicht wieder aufraffen.

„Wenn Sie dann dort drüben Platz nehmen würden, Frau Subowski. Ich bringe Ihnen gleich einen Kaffee.“

Moni setzte sich und wühlte in dem Stapel Frauenzeitschriften, alle mit einem Sonderteil: Frisuren.

Es dauerte einige Zeit, bis es ihr merkwürdig vorkam, dass die Frau ihren Namen gewusst hatte. Sie hatte ihn doch gar nicht genannt. Gut, sie war schon einige Male hier gewesen, aber daran konnte sich wohl keiner der beiden erinnern. Sonst ging sie immer zu Monis Salon, nicht nur wegen der Namensgleichheit, sondern weil der auch am nächsten lag und deutlich preiswerter war.

Heute sollte es jedoch etwas Besonderes sein. Das war zwar eigentlich keine Frage des Preises, sondern ihrer Einstellung, aber es schien ihr sinnvoll mit der Einstellung auch den Friseur zu wechseln. Moni schob ihre Überlegungen kurzentschlossen beiseite. Sie hatte beim Herumblättern eine Frisur entdeckt, die sie auf den ersten Blick begeisterte. Ein eng anliegender Pagenschnitt, mit schnurgeradem Pony. Darauf hatte sie schlagartig Lust. Sie ließ das Foto nicht mehr aus den Augen, bis ihr Stuhl endlich frei wurde. Dann schob sie der Friseuse das Magazin hin.

„So soll es aussehen“, sagte sie.

„Hhhm.“

„Das geht doch, oder?“

Die Friseuse befühlte das Haar.

„Kann man schon so schneiden, aber mit solchem hellbraunen Haar wirkt das natürlich längst nicht so wie auf dem Bild.“

Moni schaute sich das Bild noch mal an. Sie war geradezu vernarrt in diese Frisur. Genau mit diesen Haaren konnte sie ihren Typ völlig ändern.

„Dann machen Sie sie schwarz.“

„Ich weiß nicht, ob …“

„Machen Sie es genau wie auf dem Bild und pechschwarz.“

„Sind Sie sicher? Ich habe hier noch …“

„Ich möchte es genauso wie auf dem Foto. Können Sie das machen, oder nicht?“

„Ja schon.“

„Dann tun Sie es!“

Die Frau sah sich hilfesuchend nach ihrem Kollegen um. Moni sah im Spiegel, wie der nur breit grinsend die Achseln hob. An so was war Moni gewöhnt. Außerdem hatte sie eine Ehe zu retten, da musste man schon mal was riskieren. Was wusste denn dieser fast haarlose Jüngling schon von solchen Dingen?

Aus dem Dazwischenschieben wurden, trotz einer zeternden alten Frau, die einen Termin hatte, zwei volle Stunden Arbeit. Die Friseuse machte ihre Sache gut und Moni war sehr zufrieden. Das war selten und jeden Preis wert.

Als sie den Friseur verließ, war sie in absoluter Hochlaune, ein erster und wichtiger Schritt war getan. Und es war besser gelaufen, als sie erwartet hatte.

Auf der Straße hatte sie natürlich das Gefühl, dass jeder ihre neue Frisur zu begutachten schien. Doch das war natürlich Unsinn. Niemand konnte wissen, dass es sich um ein neues Erscheinungsbild handelte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass jeder ihren Haarschnitt eingehend betrachtete.

*

Als nächstes war ein Kleid dran. In ihrer Größe wurde das meistens zum Problem. In dieses neumodische Stretchzeug hätte sie sich vielleicht zur Not noch rein zwängen können, aber es stand ihr nicht. Es schnürte gern ihre kleinen Speckröllchen ein und betonte sie zudem noch ausnehmend unvorteilhaft. Irgendwie schwebte ihr auch etwas anderes vor, als sich in so ein Ganzkörperkondom zu quetschen und wie eine pralle Wurst durch die Stadt zu laufen.

Sie verschob die Angelegenheit auf später, als sie an der Unterwäsche-Abteilung vorbeikam. Das war das richtige. Eine Sanierung sollte immer beim Fundament anfangen. Also brauchte sie als erstes Mal neue Unterwäsche. Obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass sie Volker damit beeindrucken konnte, zurzeit ja gleich null war. Schon bald hatte sie einen seidigen, schwarz glänzenden Body gefunden, der ihr ausnehmend zusagte.

„Haben sie den auch in 95d?“

Die Verkäuferin sah Moni skeptisch an, so, als wenn sie gerade nach einer Kindergröße gefragt hätte. Die hatte ja gut gucken. Madame war jawohl mindestens ihre Kragenweite. Außerdem hatte sie weit fettere Beine als Moni.

Gerade ihre Beine fand Moni noch einigermaßen in Ordnung. Zumindest hatte sie verhältnismäßig schlanke Waden und Fesseln. An den Oberschenkeln hätte es gern etwas weniger sein können. Aber das hätte sich dann wohl doch nur an ihrem Bauch angesammelt. Und dort gab es weiß Gott genug davon. Das einzige, was sie davon abhielt, wie ein kleines rundes Fass auf Stelzen auszusehen, war ihre bedrohlich ausgeprägte Oberweite, die ihren Bauchumfang ein wenig relativierte.

„Nur in Haut und Weiß.“

Haut oder weiß! Für ihre Zwecke gänzlich ungeeignet. Aber Moni wollte sich nicht gleich abschrecken lassen. Sie mochte diesen Body und es gab da ja noch eine gewisse Größentoleranz.

„100 oder 90?“

Die Verkäuferin schüttelte den Kopf. „Da drüben ist ein ähnliches Modell in 95d. Das ist zwar in Schwarz vorrätig, aber da sind Strumpfhalter dran. Die können Sie ja abschneiden, dann haben sie im Prinzip dasselbe Modell wie dieses hier.“

Ja sicher, sie kaufte einen Body für gut 100 Euro, um dann mit der Schere daran herum zu schneiden und ewig kleine Fäden zu ziehen. Manche Verkäuferinnen hatten eindeutig einen Knall.

Eine mögliche Kaufentscheidung wartete die Verkäuferin gar nicht ab, sondern begann gleich wieder damit, die BHs auf der Stange nach Größen und Farben zu sortieren. Moni wollte ihre bis eben gute Laune nicht unnötig auf die Probe stellen und suchte ein Regal weiter nach dem angegebenen Modell. Zumindest hatte die Verkäuferin Recht, der Body war im Prinzip identisch und die Strumpfhalter brachten Moni auf eine Idee. Natürlich nicht, sie abzuschneiden.

Moni konnte es sich nicht verkneifen, ihrer gerade wieder gestiegenen Laune Ausdruck zu verleihen und der Verkäuferin doch noch eins auszuwischen.

„So, und jetzt suche ich noch etwas für mich, in 80b vielleicht“, sagte sie zu der Verkäuferin und erfreute sich an ihrem ungläubigen Blick. „Oder vielleicht doch lieber eine Bluse Größe 36?“ Sie wartete nicht, bis die Verkäuferin sich irgendeine Unverschämtheit dazu einfallen lassen konnte, sondern ging gleich zur Kasse. „Schon gut, ich nehme lieber die Bluse.“

Strümpfe hatte Moni noch nie getragen, sie fand aber, dass sie bei Frauen in Filmen ziemlich gut aussahen. Eine erotische Komponente, die in ihrer Situation durchaus Sinn machen konnte. Sie stellte sich vor, wie sie sich in dem Body und mit den Strümpfen lustvoll auf dem Sofa rekelte, wenn Volker nach Hause kam. Oder ihm womöglich in diesem Dress das Essen servierte. Na, das waren wohl eher schwere Geschütze, die sie immer noch auffahren konnte, wenn es wirklich brenzlig werden würde.

Strümpfe zu kaufen war ein deutlich geringeres Problem als sie erwartet hatte. Es gab nur drei Größen. Aber die Farbe machte ihr Schwierigkeiten. Ein Kleid war schließlich noch nicht gekauft. Also wusste sie auch nicht, welche Strümpfe dazu passen würden. Das Material fühlte sich gut an. In letzter Zeit hatte sie auch selten einmal Strumpfhosen getragen und wenn, dann dicke, blickdichte Baumwoll- oder Stretch-Strumpfhosen.

Früher war das anders gewesen. Warum hatte sie so lange auf solche Sachen verzichtet? Ein flüchtiger Blick in den Spiegel würde diese Frage wahrscheinlich brutal beantworten, aber das unterliess sie wohlweislich. Keine Zeit für Frustrationen. Sie kaufte Strümpfe in Schwarz, Haut und Anthrazit. Damit sollte sie für jede Eventualität gewappnet sein.

Ein Kleid war wohl überhaupt nicht das richtige, stellte Moni fest, als sie ein Schaufenster voller farbenfroher Kostüme begutachtete. Wahrscheinlich musste sie es mit einer deutlich jüngeren Konkurrentin aufnehmen. Das hieß ja nicht unbedingt, dass sie auf jünger machen musste. Wenn sie schon ihr Gewicht zu kaschieren versuchte, sollte sie wenigstens nicht auch noch versuchen, auf 20 zu machen. Das konnte schnell nach hinten losgehen. Moni kannte einen Laden, wo die Kostüme weit weniger farbintensiv, dafür aber umso größer waren.

*

Um das Probieren unter den kritischen Augen der Verkäuferin kam man leider nicht herum. Moni nahm sich reichlich Zeit und ignorierte stur alle Blicke, die sie womöglich in ihrer Entscheidung beeinflusst hätten. Zwei Kostüme kamen in die engere Wahl. Ein Tweed-Kostüm, bei dem das Jäckchen Falten warf.

„Ein bis zwei Abnäher hier und hier“, sagte die Verkäuferin und zupfte hinter Monis Rücken an der Jacke herum. Warum glaubten diese Verkäuferinnen bloß immer, dass, wenn sie ein teures Kleidungsstück kaufte, sie daran hinterher noch irgendwelche Feinarbeiten vornehmen wollte. Sah sie so aus, als ob sie daheim eine Nähstube unterhielt? Entweder das Kostüm passte oder nicht. Da würde nichts mehr dran herum geschneidert.

Das zweite Kostüm, das in Frage kam, war schwarz. Es war weit geschnitten war und fiel deshalb gut. Was natürlich bei dem Schnitt nicht weiter verwunderte. Moni wollte sich gerade dafür entscheiden, als sie auf einmal ein dunkelgraues Nadelstreifenkostüm entdeckte. Eng tailliertes Schößchen-Jackett und kurz geschlitzter knielanger Rock. Das war’s. Die Verkäuferin folgte ihrem Blick und schien wenig begeistert von der Vorstellung, Moni in diesem Kostüm zu sehen. ‚Pech gehabt, meine Liebe‘, schmetterte Moni diesen Blick in Gedanken ab.

„Ist das in meiner Größe da?“

„48? Ja, schon … aber, …“

Kein ‚aber‘, Moni probierte es an. Zugegeben, sie war in der Taille nicht eben zierlich, aber sie hatte ziemlich ausladende Hüften und das wiederum ließ sie zumindest von hinten mit dem Schößchen ziemlich gut aussehen. Vorne wölbte sich zwar ihr Bauch ein wenig zu sehr vor und störte den ansonsten guten Gesamteindruck, den ihr Spiegelbild machte. Aber wer sollte schon auf ihren Bauch schauen, wenn sie einen entsprechenden tiefen Ausschnitt trug. Sie würde schon eine Möglichkeit finden, die Blicke woanders hin zu dirigieren. Notfalls drehte sie sich eben öfter mal um.

„Das nehme ich.“

Es war entschieden das beste Kostüm, das sie hier ausprobiert hatte und selbst die Verkäuferin stimmte ihr nach der anfänglichen Skepsis zu.

Der Kaufrausch trieb Moni nun erst richtig voran. Schuhe. Nach quälenden Proben, wobei ein Stiefelknecht eher nachgab als sie, entschied sie sich für ein paar graue Wildlederpumps mit breitem Absatz. Aber hoch. Das war wichtig, weil sie der Anblick ihrer Beine in einem knielangen Rock sie sonst sicher zur Verzweiflung getrieben hätte. Mit hohen Schuhen aber, schienen die Beine länger, sie selbst größer, das Gewicht relativer und ihre Waden einfach nur schlanker.

So weit, so gut.

Bei den Kosmetika gab es wenigstens kein Größenproblem, folglich ging das relativ flott. Sie brauchte dringend einen matten, roten Lippenstift und helles, ganz helles Make-up. Zu den schwarzen Haaren. Wimperntusche? Die war mit Sicherheit eingetrocknet und Lidschatten. Stopp! Zurück zum Lippenstift. Den passenden Nagellack hatte sie vergessen.

Dann hatte sie alles. Ihre Füße taten weh und sie machte sich schwer beladen auf den Heimweg.

Volker war sicher schon zu Hause. Heute würde sie ihn wohl nicht mehr in ihrem neuen Outfit überraschen können.

Volker war nicht zu Hause.

Ein Zettel auf dem Küchentisch verriet ihr, dass er bereits zum Squash spielen gegangen war. Das war auch so eine neue Marotte. Squash! Erst war es einmal die Woche, dann immer öfter, jetzt ging er bald jeden zweiten Tag und einmal am Wochenende.

Moni regte sich nicht auf, sie verstaute ihre neuen Waffen im Schrank und fühlte den Hunger. Sie hatte den ganzen Tag über nichts, absolut nichts gegessen.

Zum Kochen war wirklich nicht mehr genug Zeit. Eine Pizza vom Bringdienst musste her. Die hatte sie sich heute auch verdient. 35 Minuten Lieferzeit, waren jedoch in ihrem derzeitigen Zustand eine echte Zumutung. Die Wartezeit vertrieb sie sich mit einem trockenen Brötchen und einigen Mixed Pickles.

Als Volker endlich nach Hause kam, fand er Moni vor dem Fernseher. Eine leere Pizzaverpackung lag vor ihr auf dem Tisch. Sie hatte sich die Haare gefärbt.

„Wie findest du es?“

Volker winkte müde ab. „Toll.“

Mit so einer Begeisterung hätte sie nicht gerechnet. Moni zog ihre rechte Augenbraue hoch. Das war früher immer ein unausgesprochenes Zeichen dafür gewesen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Gewöhnlich fragte Volker dann nach.
Diesmal wartete Moni vergeblich.

„Wir müssen uns mal unterhalten“, erklärte sie mit angeschlagener Laune.

„Nicht jetzt bitte, ich bin müde.“

„Nicht jetzt? Von mir aus. Aber eins solltest du schon mal wissen. Ich habe mich entschlossen, morgen mitzukommen.“

„Mitzukommen, wohin?“ fragte Volker irritiert.

„Morgen ist doch das jährliche Treffen der Aussenvertreter, oder irre ich mich?“

„Ja sicher, aber du bist seit drei Jahren nicht mehr mit hin gegangen. Ich dachte: Die saufen nur und reißen dumme Zoten? Das wolltest du dir doch nie wieder antun!“

Moni knibbelte noch einen kleinen, angetrockneten Käserest aus der Pizzaschachtel. Das war schon richtig. Diese Treffen der Aussenvertreter waren der reinste Alptraum, aber was tat man nicht alles für seinen geliebten Mann.
„Ich glaube es wird Zeit, dass wir mal wieder zusammen ausgehen.“

Volker schüttelte verständnislos den Kopf.

„Und dafür hast du deine Haare schwarz gefärbt?“

„Nicht nur dafür“, antwortete sie prompt mit einem kokett, schelmischen Blick.

Diese Anspielung nahm Volker einfach gar nicht zu Kenntnis.

„Kommt jetzt ein bisschen überraschend!“, sagte Volker nach einer Pause und Moni fühlte, dass es ihm nicht recht war, wenn sie mitkam.

„Das ist doch kein Problem, oder?“

„Natürlich nicht. Nur, … Ich war nicht darauf eingestellt.“

„Du hast doch nicht schon jemanden anderes, mit dem du dahin gehen wolltest, oder?“

Volker sah alarmiert auf.

„Red doch keinen Unsinn, Moni!“

„Hört sich aber fast so an.“

Moni schürzte beleidigt die Lippen und legte ihr Schmollgesicht auf. Jetzt sollte er sich aber wirklich zu ihr aufs Sofa setzten und sie ein wenig in den Arm nehmen.

„Wenn du mitgehen willst, habe ich nichts dagegen. Ich bin nur überrascht.“

„In nächster Zeit wirst du noch so einige Überraschungen erleben.“

„Was ist denn jetzt wieder los.“

So hatte Moni das doch gar nicht gemeint, er sollte ja angenehm überrascht werden. Er sollte sich darauf freuen und es nicht als Drohung auffassen.

„Ich habe doch vorhin schon gesagt, wir müssen uns mal unterhalten. Einige Dinge in unserer Ehe laufen nicht so, wie sie sollten“, lenkte Moni auf seinen Tonfall ein und beobachte genau seine Reaktionen.

„Bitte Moni, es war ein anstrengender Tag, und …“

Er wollte sich drücken! Es war ihm wohl nicht so wichtig, dass er ihr wenigstens eine halbe Stunde Zeit opfern konnte. Na gut, aber ewig würde er damit nicht durchkommen: „Wir reden am Wochenende darüber, einverstanden?“

„Einverstanden.“

Volker ließ sie sitzen und ging ins Bett, ohne ihr wenigstens einen Gutenachtkuss zu geben. Auch diese kleinen Gesten des alltäglichen Wohlwollens gehörten längst der Vergangenheit an.

*

Moni blieb vor dem Fernseher hocken und dachte nach. Sie konnte Harald Schmidts Überlegungen, dass wohl außerirdische Diätenfresser die Regierungs­bank besetzt hielten und den Kanzler in die Fettsucht trieben nicht wirklich folgen. Trotzdem schaltete sie den Fernseher nicht ab. Das Geschehen auf der Mattscheibe plätscherte beruhigend an ihr vorbei.

Volker wollte sie nicht auf dem Fest haben. Womöglich hatte er ihre Nachfolgerin längst unter seinen Kollegen eingeführt. Vielleicht kannte sie bereits jeder in der Firma, und wenn sie morgen dort auftauchte, würde es hinter vorgehaltener Hand ein wüstes Getuschel geben. ‚Gott, die ist aber auch fett. Kein Wunder, dass er sich eine andere sucht.‘ Es konnte ja auch jemand aus der Firma sein. Vielleicht war ihre Konkurrentin auf dem Fest und Moni würde direkt ins offene Messer laufen.

Alle würden über sie lachen, wenn sie, natürlich ohne es zu wissen, munter mit ihrer Nachfolgerin plauderte und anstieß.

Jetzt war Moni sich überhaupt nicht mehr sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war, auf diese Veranstaltung zu gehen.



Kapitel 3 - Auf die Plätze …


Am nächsten Morgen wachte Moni spät auf. Abends sie hatte noch zwei kleine Gläser Sekt auf ihren so genialen Einfall mit dem Vertreterfest getrunken.
Davon konnten die stechenden Kopfschmerzen wohl kaum kommen. Sie sah in den Schlafzimmerspiegel ihrer Kleiderschrankwand und fühlte sich zerknittert wie eine alte Zeitung. Der Mut vom Vortag war verflogen und zurück blieb nur ein Häufchen Elend, dass brav am Herd stehen würde und darauf wartete, dass der Postbote ihr das Einschreiben mit der Scheidungsklage in den Hand drückte.

Das eigentlich Entsetzliche war, dass sie ihrer Mutter von Minute zu Minute immer ähnlicher wurde. Monis Vater hatte sie mit 48 Jahren sitzen lassen. Und sitzen gelassen konnte man durchaus wörtlich nehmen.

Seit dem Tag der Scheidung hatte ihre Mutter sich nicht mehr einen Zentimeter aus dem Fernsehsessel, den sie nach und nach immer mehr auszufüllen schien, gerührt. Eines Tages, soviel war sicher, würde sie einfach aus dem Sessel herausquellen.

So, wie ihre Mutter wollte Moni auf gar keinen Fall enden. Aber schon kurz nach der Heirat musste sie feststellen, dass es bei den Frauen in ihrer Familie wohl einen unweigerlichen Drang gab, am Fernsehsessel kleben zu bleiben.

Vielleicht sollte sie ihre Mutter wieder mal anrufen sollte. Gerade jetzt, wo sie das gleiche Schicksal zu ereilen schien, war es vielleicht Zeit mal wieder mit ihr zu sprechen. Schon um sich ihr Schicksal eindringlich vor Augen zu führen. Es war mehr als drei Jahre her, seit sie zum letzten Mal mit ihr geredet hatte. Sie hatten sich einfach nichts zu sagen. Außer vielleicht ein Gespräch über die täglichen Soaps.

*

Volker war schon zur Arbeit gefahren. So war das immer in letzter Zeit. Wenn sie zum Frühstück herunter kam, war sie allein.

Genau genommen kam Volker eigentlich nur noch zum Schlafen nach Hause. Zu Anfang ihrer Ehe hatte Moni noch das Gefühl gehabt, dass bei ihr alles ganz anders werden würde als bei ihren Eltern. Volker trank nur mäßig, ganz anders als ihr Vater. Und! Das war bei weitem der entscheidende Unterschied: Er liebte sie.

Wie gesagt, früher! Ihre Eltern hatten außer einem gelegentlichen Knurren, nie ein Wort miteinander gesprochen. Volker war ganz anders. Sie waren zusammen in Konzerte gegangen, später waren sie öfter Essen und tanzen gegangen. Er kam immer früh von der Arbeit nach Hause und hatte ihr von den Kollegen und seinen Erfolgen oder Misserfolgen erzählt.

Dann hatten sie den Abend irgendwie gemeinsam verbracht. Und natürlich auch die Nächte. Inzwischen war alles anders geworden. Gut, es war noch längst nicht so wie bei ihren Eltern, aber es war auf einem unaufhaltsamen Wege dort hin.

Eine Tasse Kaffee und ein Aspirin brachten Moni wieder einigermaßen in Schwung.

Vielleicht war das Kostüm doch nicht das Richtige für diese Gelegenheit. Wenn man es genau betrachtete, war es viel zu dezent.

Moni verspürte große Lust, sich etwas Ausgefallenes zu kaufen. Sie hatte eher etwas im Auge, dass einen ihrer wenigen körperlichen Vorzüge angemessen unterstrich. Am liebsten etwas Erotisches, denn mit der Erotik haperte es ja zurzeit am meisten.

Sie griff ihren alten Schlachtplan wieder auf. Es musste nicht so enden. Moni würde kämpfen, sie wollte keineswegs einfach aufgeben. Also streifte sie eine alte Wohlfühl-Jeans über und zog noch einmal los. In die zweite Runde.

Ein Push-up BH in ihrer Größe war schwer zu finden. 90c war die Obergrenze. Sie nahm ihn trotzdem, denn mit ein wenig Quetschen und Kneifen passte alles in die Körbchen rein. Wenn er unter der Brust ein wenig abstand, sah das ja keiner.

Erstaunlich leicht war es, sich mit dem kurzärmeligen, gerade geschnittenen Paillettenkleid, das sie gleich beim Betreten einer Boutique entdeckt hatte, anzufreunden. Es war knöchellang, dafür aber bis kurz übers Knie geschlitzt. Der tiefe runde Ausschnitt würde die zusammengepushten Brüste wie zwei pralle Granatäpfel aussehen lassen. Die meisten Männer standen auf große Brüste und davon würde sie heute Abend reichlich präsentieren. Der Rest ihrer Figur blieb unter einem Vorhang aus glitzernden Pailletten gut verborgen.
Die höchsten, spitzesten Lackpumps in die sie ihre viel zu breiten, mit einem Überbein am großen Zeh verzierten Füße quetschen konnte, nahm sie auch noch mit.

Beim Italiener aß sie einen frischen Salat und nahm vom Bäcker noch zwei Stück Kuchen mit nach Hause. Irgendwo musste die Kraft ja herkommen. Es blieb noch genug Zeit, sich zurechtzumachen.

*

Beim Eincremen betrachtete Moni sich im Spiegel. Sie griff sich eine Handvoll Bauchspeck und zerrte daran hin und her. Vielleicht konnte man mit einem scharfen Küchenmesser … Eine weitere Handvoll fand sie an den Beinen. Wenn sie diesen Körper nicht lieben konnte, dann würde es wohl auch kein anderer tun. Das hatte sie zumindest einer dieser superschlauen Frauenzeitschriften gelesen.

Die hatten ja immer gute Ratschläge parat, die niemandem wirklich weiterhalfen. Das hatte sie aus ihrer Diätzeit noch gut in Erinnerung.

Sie überlegte, ob sie ihren Körper liebte. Er war in Ordnung. Sie betastete ihre Haut. Weich und zart. Moni war eine fanatische Eincremerin. Ihre Brüste waren groß, aber schwerkraft­gebeugt. Alles an ihr gab irgendwo der Schwerkraft nach. Sie warf sich einen Kussmund im Spiegel zu, das wirkte reichlich albern. Sie probierte es noch dreimal, mit gebührendem Ernst. Erotisch war das wirklich nicht.

Ihr Hintern hätte auch einen Push-up vertragen können. Da war eine tiefe Falte, wo ihre Hinterbacken auf den Oberschenkelspeck trafen. Mit beiden Händen zog sie ihren Hintern hoch und drehte sich zum Spiegel. So sah es deutlich besser aus. Aber sie konnte wohl kaum den ganzen Abend lang unauffällig ihre Hinterbacken hochhalten.

Dann betrachtete sie ihre Figur in der Venusposition. Eine Hand auf der Brust die andere auf ihrem Venushügel. Das war die Stelle, wo sie am längsten niemand mehr berührt hatte. Sie selbst eigentlich auch nicht. Probehalber drückte sie auf den Knopf. Ein paar kreisende Bewegungen mit dem Mittel- und Zeigefinger. Sie hatte früher immer diese beiden Finger benutzt. Ein vertrautes Gefühl stellte sich ein, aber es erregte sie nicht im Mindesten.

Das war eher seltsam. Musste sie sich wirklich solche Mühe geben, sich selbst zu mögen? Sie beugte sich vor und stützte sich mit einer Hand auf dem Bett ab, spreizte die Beine und drückte mit der anderen flachen Hand sanft auf die Klitoris. Schon besser. Sie ließ die Hand ein wenig hin- und hergleiten, unterstützte die Bewegung mit dem Becken. Bald wurden ihre Bewegungen automatischer. Kurzzeitig geriet sie sogar ein wenig außer Atmen. Aber das war auch alles. Plötzlich kam sie sich reichlich albern vor. Sie konnte sich nicht einmal mehr selbst befriedigen. Das war nun wirklich ein ganz schlechtes Zeichen. Ein ganz, ganz schlechtes Zeichen. Konnte man so etwas verlernen?

Der Spiegel warf gnadenlos und ohne Pause ihr Abbild in den Raum. Das war ihr Speck. Wieso konnte sie sich nicht einmal selbst erotisch finden? Jede erotische Pose kam ihr eckig, unangebracht und gekünstelt vor. Sie war halt nur Moni und nicht Anna Nicole Smith.

Das neue Kleid lag ausgebreitet aus dem Bett. So sah es weit besser aus, als wenn sie es trug. Vielleicht sollte sie es einfach auf dem Bett liegen lassen. Oder das Kleid ohne Inhalt auf die Party schicken? Sozusagen stellvertretend für ihre guten Absichten. Am liebsten hätte sie jetzt eine Jogginghose angezogen und sich ‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ mit Gyros und Pommes einverleibt. Aber so ging das nicht. Sie hatte einen Kampf begonnen und wenigstens diese eine Schlacht zöge sie jetzt auch durch.

Nackt und deprimiert, wie sie war, stampfte sie in die Küche. In der Flasche von gestern Abend war noch ein Rest Sekt. Gleich aus der Flasche? Nein, sie nahm eine der teuersten, gebrechlichsten Sektflöten aus der Vitrine und schenkte sich ein. Es prickelte. Aber nicht da, wo es sollte. Moni tauchte ihren Finger in das Glas und ließ einen Tropfen auf ihren Bauchnabel fallen. Dann nahm sie einen weiteren Tropfen und trug ihn dort auf, wo sie jedes Prickeln glaubte verloren zu haben.

„So, … du bist nicht lächerlich“, drohte sie ihrem Spiegelbild oben im Schlafzimmer. „Du bist ein ganz scharfes Geschoß, merk dir das!“

Dann schenkte sie sich den letzten Schluck Sekt nach und prostete sich aufmunternd zu. „Das zieh’n wir jetzt durch, meine Liebe.“

Als erstes griff sie nach dem Push-up. Nachdem sie alles korrekt verstaut und so fest unter Spannung gesetzt hatte, wie es eben ging, beugte sie sich vor. Da war eine beachtliche, tiefe, dunkle Spalte zwischen den Brüsten.

Bequem war das nicht gerade. Probehalber schlenkerte sie ihren Oberkörper hin und her. Nicht, dass sie das heute Abend als Programmpunkt geplant hatte, aber man wusste ja nie.
Trotz der Spannung waberten ihre Brüste wie ein nur halb gefülltes Wasserbett. Sie schlenkerte etwas kräftiger und schon verließ die erste Brust den Käfig und ihre Warze lugte vorwitzig heraus. Moni richtete sich wieder auf und konnte nicht mehr an sich halten vor Lachen.

„Sehr originell.“

Sie kicherte haltlos weiter und zog sich erst die restliche Wäsche an, bevor sie die Brüste wieder in ihre ursprüngliche Position quetschte.

Es fehlte ein Strapsgürtel. Sie konnte ja schlecht einen Body über dem Push-up tragen. Etwas fehlte ja immer. Den Anflug von Verzweiflung ignorierte Moni so gut es ging. Also musste doch eine der guten alten Strumpfhosen herhalten. Schade, dass sie nicht diesen glänzenden Satin-Effekt hatten. Das machte den ganzen geplanten Eindruck zunichte.
Wütend überlegte sie, ob sie noch mal in die Stadt fahren und nach einem Strapsgürtel Ausschau halten sollte. Vielleicht tat es ja auch der Gummiring eines Einmachglases. Perfekt wäre es sicher nicht und außerdem zweifelte sie daran, dass sie diesen Gummiring den ganzen Abend über tragen könnte, ohne dass ihre Beine blau anliefen. Mit schwarzen Strümpfen wäre es vielleicht noch gegangen.

Sie riss die Strumpfpackung auf. Wenigstens probieren konnte sie es.

Versöhnt stellte Moni fest, dass sie so oder so die falschen Strümpfe gekauft hatte. Halterlose. Die hatten bereits ein Gummiband eingearbeitet. Breit genug, um die Blutzufuhr nicht zu unterbrechen. Größe III war in Ordnung, aber etwas zu kurz. Sie gingen gerade eineinhalb handbreit übers Knie. Wenn die auch nur einen Zentimeter rutschten, sähe man den breiten Gummizug unter dem Schlitz des Kleides. Was soll’s? Vielleicht machte sich das sogar ganz gut?

Wenigstens das Kleid hatte die erhoffte Wirkung. Es sah toll aus. Moni hatte gar nicht gewusst, dass sie so eine elegante Ausstrahlung hatte und dabei war sie noch nicht einmal geschminkt.

Den Strumpfrand konnte man bestenfalls sehen, wenn man ihr zu Füßen lag, und dann sollte das wohl kein Problem mehr darstellen.

Zum Schminken zog Moni die Schuhe erst mal wieder aus. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Absätze in ihre Fersen bohren würden. Wenn sie in diesen Pumps den ganzen Abend hinter sich gebracht hätte, könnte sie die Füße wahrscheinlich gemeinsam mit den Schuhen wegschmeißen.

Es war lange her, dass sie sich so richtig geschminkt hatte. Und es war gut, dass Volker noch lange nicht kommen würde. Beim dritten Versuch war sie einigermaßen zufrieden. Erst hatte sie ausgesehen wie eine aufgeschwemmte Wasserleiche. Dann war ihr zweimal die Wimperntusche verlaufen. Die abgeknickten Wimpern zählte sie erst gar nicht, und mit der Form ihrer Lippen war sie auch beim siebten Mal nicht wirklich zufrieden. Ein wenig Rouge, nur nicht zu dick auftragen und die Nägel. Da war Präzisionsarbeit gefragt.

Zwei Stunden noch, bis Volker kam und sie abholte. Zwei Stunden in denen sie eigentlich nichts tun konnte, außer sich still irgendwo hinzusetzen.

An Hausarbeit war in diesen Klamotten gar nicht zu denken. Essen kam auch nicht in Frage. Nicht mit diesen Lippen. Und überhaupt. Selbst Fernsehen war unbefriedigend, weil sie viel zu aufgekratzt war und permanent auf die Uhr starrte.

*

Volker ließ sich Zeit. Er war schon eine viertel Stunde überfällig. Wenn er in den nächsten zehn Minuten nicht käme, würde sie eine Flasche Sekt köpfen.

Dieses Warten war eine Zumutung. Unerträglich. Sie drohte in Verhaltensweisen ihrer Kindheit zurückzufallen und an den Nägeln zu kauen. Ein kurzer Blick sagte ihr jedoch, dass sie sich eher die Finger abhacken würde, als jetzt an den Nägeln zu kauen. Um jeder unbedachten Spontanhandlung entgegen zu wirkten, hielten sich ihre Hände brav gegenseitig fest. Wenn dieser Mann nicht jeden Augenblick käme, …

„Nett“, war das erste was Volker sagte, als er endlich das Wohnzimmer betrat. „Wirklich nett.“

„Nett?“ Moni hätte ihn augenblicklich schlachten können. „Sag mir sofort, dass ich toll aussehe! Nett!“

„Wo willst du denn drauf los?“

Volker lachte. Sie hatte ihn lange nicht mehr lachen gesehen. Aber das war jetzt der falsche Moment für ein Lachen. ‚Auf dich gehe ich los‘, dachte Moni. ‚Du dämlicher Kerl, du sollst dich jetzt sofort wieder in mich verlieben und mir zu Füßen liegen!“

„Warte, ich gehe mich nur gerade umziehen, dann können wir los“, sagte Volker. „Dauert nur fünf Minuten.“

„Volker!“

Er blieb auf dem Treppenabsatz stehen.

„Findest du mich attraktiv?“

„Natürlich.“

„Ich meine so richtig.“ Sie war aufgestanden und stöckelte langsam auf ihn zu. Sie achtete darauf, dabei ihre Hüfte sanft schwingen zu lassen. „Wir müssen ja nicht unbedingt zu dem Fest gehen!“

„Du weißt doch, dass das eine Pflichtveranstaltung für mich ist.“

„Aber wir hätten noch ein wenig Zeit und könnten wenigstens etwas zu spät kommen.“ Sie hatte ihn jetzt fast erreicht.

„Ich muss mich noch umziehen, bitte. Für einen Streit ist jetzt wirklich nicht die richtige Zeit.“

Moni stand am Treppenabsatz und sah Volker nach. ‚Wieso Streit?‘ Sie wollte eigentlich von ihm auf der Stelle angefasst werden, vielleicht ein wenig geküsst, Lippenstift hin oder her. Natürlich hätte sie keineswegs etwas dagegen gehabt, von ihm aufs Bett geworfen und leidenschaftlich …

Sie überlegte, ob sie ihm einfach nachgehen sollte. Leidenschaftlich war Volker wirklich nie gewesen. Aber das hier grenzte ja schon an Desinteresse. Vielleicht musste sie die Initiative ergreifen? Sie dachte daran, eine verführerische Pose im Türrahmen seines Schlafzimmers einzunehmen. Sie könnte ihn beim Umziehen beobachten und im geeigneten Moment sich langsam ihrer Kleidung zu entledigen, bis sie nur noch in Push-up, Strümpfen und Pumps dastand. Das sollte wohl deutlich genug sein. Und wenn nicht? Sie war sicherlich stärker als er. Sollte er doch versuchen sich zu wehren! Wer sollte es ihr übel nehmen, wenn sie ihren eigenen Mann vergewal… Volker! Der würde es ihr übel nehmen. Und es würde sie ihrem Ziel mit Sicherheit nicht näher bringen.

Volker brauchte wirklich nicht lange, um sich umzuziehen. Aber es war lange genug, um Monis Enttäuschung wieder zu verdrängen und in einen Anflug von Tatendrang umzuwandeln.

„Wenn du mich jetzt nicht küsst, gehe ich nicht mit“, sagte sie energisch, als er mit dem Schlüsselbund in der Hand im Wohnzimmer auftauchte. Einen kurzen Moment lang, sah es so aus, als ob er daran dachte, die Möglichkeit zu nutzen, sie hier zu lassen. Dann küsste er sie. Die gespitzten Lippen hatte er ohne Schwierigkeiten übersehen und einen echten Kuss konnte man das wohl auch nicht nennen.

„Wir wollen doch jetzt nicht den schönen Lippenstift ruinieren.“

‚Da hätte ich nichts dagegen gehabt‘, dachte Moni. ‚Und wenn Der Lippenstift unbedingt verschont bleiben sollte, hättest du mich mal ganz woanders küssen können!‘

Sie war echt sauer. Nach so viel Aufwand hätte sie ja wohl ein Minimum an Zärtlichkeiten erwarten dürfen. Wenigstens konnte sie jetzt mitgehen, ohne dabei ihr Gesicht zu verlieren. Wenn er sie nicht geküsst hätte, hätte sie zugeben müssen, wie wichtig es ihr war auf dieses Fest zu gehen. In Zukunft musste sie vorsichtiger sein mit solchen Forderungen. Kommentarlos stieg sie in den Wagen.

Kein Wort hatten sie während der Fahrt gesprochen. Und Volker schien das nicht einmal zu bemerken. Er merkte auch nicht mehr, dass sie sauer war. Früher hätte er versucht herausfinden, was sie hatte. Er hätte ihr Löcher in den Bauch gefragt, oder wäre wenigstens selber sauer geworden, weil sie schon wieder schlechte Laune hatte.

Aber heute? Es war ihm wohl völlig egal, was mit ihr war.



Kapitel 4 - Aussenvertreter


Natürlich kamen sie zu früh. Mit Volker war man immer zu früh dran. Die Veranstaltung fand in dem Festsaal einer Dorfgaststätte in einem der unzähligen Vororte statt. Ländlicher, rustikaler Jagdstil. Furnierte Eiche. Ein ausgestopftes, halbes Wildschwein hing Hauer fletschend über der Eingangstür.

‚Symbolisch gesehen sehr passend‘, dachte Moni zufrieden.

Es waren noch kaum Gäste da. Volker stellte sie zwei seiner Kollegen vor und gab sie dann bei ihnen ab. Natürlich hatten die beiden mit keinerlei interessantem Gesprächsstoff aufzuwarten. Moni verzog sich bald an die Bar. Den ganzen Abend über sah sie Volker eigentlich nur noch von Ferne. Moni beobachtete ihn lange Zeit. Sie wartete nur darauf, dass er irgendeiner der Frauen, die bald in kleinen Grüppchen herumstanden, verdächtige Blicke zuwarf.

Langsam kam die Party in Schwung. Moni saß ziemlich allein an der Theke und sammelte leere Gin Tonic Gläser. Alle hier kannten sich irgendwoher und Moni wusste jetzt wieder, warum sie in den letzten Jahren nicht mehr mitgegangen war. Ein Mann Mitte 50 stellte ein weiteres leeres Glas zu den dreien, die bereits vor ihr den Tresen zierten.

„Noch zwei Gin Tonic bitte“, sagte er Mann zu dem Theker und wandte sich dann Moni zu: „Wie ich sehe, haben wir den gleichen Geschmack.“

Moni war versucht, knurrend zu grunzen. Sie hasste solch simple Anmachen. Andererseits war es ihr auch schon lange nicht passiert, dass ein Kerl versuchte, sie ganz offensichtlich anzubaggern. Aber so ein alter Bock? Na, sie war ja selber schon 42. Was war daran alt?

„Kann ich die Leeren abräumen?“ fragte der Theker.

„Jetzt, ja“ schnaubte Moni, die bis dahin die Gläser sorgfältig beisammen gehalten hatte.

„Na, dann Prost!“

Moni hob schweigend das Glas. Sie war nicht sicher, ob sie den Kerl loswerden wollte oder nicht. Bislang war er ja ganz nett.

„Vertreter oder Innendienst?“ fragte Moni, die beschlossenen hatte, dass ein kurzer Smalltalk ihr keinesfalls schaden konnte.

„Kunde.“

„Kunde?“

„Aber ja, ich bin nicht aus der Computerbranche. Ich mache in Mode. Und sie?“

„Ich mache in Spülen, Waschen und Einkaufen.“

Der Mann grinste breit und fröhlich.

„Krisensicheres Geschäft!“

Moni musste lachen. Er schien ein ganz netter Kerl zu sein.

„Bertrand, Frank, ist mein Name.“

„Monika Subowski.“

Sie gaben sich die Hand.

„Ist ein wirklich schönes Kleid, das sie da tragen. Wo haben sie es her?“

„Eine kleine Boutique in der Stadt.“ Moni wusste zwar den Namen, aber wollte ihn nicht nennen. Warum mussten diese Läden auch immer so dämliche Namen haben. ‚Dieses Kleid habe ich von ‚rund und schön‘.‘ Na besten Dank. Das machte solche Fragen zu potentiellen Zeitbomben

„Rund und schön?“

Moni spürte eine zarte Röte aufsteigen.

„Ja, ich glaube schon. Das war der Name.“

„Habe ich mir gedacht.“

Ach ja? Man konnte es also doch sehen, wo sie gewöhnlich einkaufte. Rund und schön, ja. Oder hatte sie den großen Werbeaufdruck auf dem Rücken übersehen? Moni überlegte noch, ob sie sich einen solchen Anflug von Unverschämtheit gefallen lassen sollte, und wenn nicht, was sie darauf antworten konnte. Bevor sie eine Entscheidung fällen konnte, tauchte wie aus dem Nichts eine 1,90, super gebaute Blondine neben ihr auf. Die griff verdächtig vertraut nach Franks Arm und lächelte ihn vielsagend an.

„Liebling, du musst mir helfen, ich kann diese ganzen Entscheidungen nicht allein fällen.“

„Oh, gleich“, sagte Frank und wandte sich gleich wieder Moni zu. „Das hier ist meine Frau Frauke.“ Er zog sie an seinem Arm ein wenig vor. „Und dies hier ist Monika Subowski.“

Prima! Der Kerl hatte vielleicht Nerven! Baggerte sie hier an, obwohl seine Frau nur 10 Meter weiter saß. Derartige Unverfrorenheiten waren typisch für diese Außendienstgelage. Ein weiterer Grund, hier nicht wieder herzukommen.
„Freut mich“, sagte Frauke und in ihrem Lächeln fehlte die ansonsten übliche, mitleidige Abschätzigkeit, die Frauen mit solchen Bombenfiguren sonst immer bei Monis Anblick absonderten.

„Hallo“, gab Moni ungewollt mürrisch zurück.

„Rund und schön?“

„Ja“, sagte Frank.

Was war das hier? Ein Jahrmarkt für Kuriositäten? Die beiden hatten wohl so eine Art Spiel entwickelt. Erst baggerte er dicke Frauen, die allein am Tresen sitzen, an. Dann tauchte sie plötzlich auf, demonstrierte mal eben ihre knackigen Kurven und dann machten sich beiden gemeinsam über das kleine, einsame Dickerchen lustig. Bestimmt zogen sie gleich unter schwerstem Gelächter an ihren Tisch ab. Langsam traten kleine Zornesadern an Monis sonst eher konturlosem Hals hervor. Der Countdown bis sie vor Wut platzte, war gerade bei vier ankommen.

„Wissen Sie, wir produzieren diese Kleider und haben sie erst letzte Woche ausgeliefert. Dass die ersten Exemplare jetzt schon am Körper einer hübschen Kundin zu sehen sind, werte ich eindeutig als Erfolg“, erklärte Frank.

Moni war mit der Erklärung nicht wirklich zufrieden.

„Oh ja, tut mir leid. Ich war in Gedanken. Ich meinte natürlich die Boutique, nicht Sie. Wo habe ich nur meinen Kopf, das ist mir wirklich sehr unangenehm.“

Moni sucht nach einem Anzeichen von Überheblichkeit oder Spott, fand aber keines. Nein, Frauke schien einfach nur nett zu sein. Ihre Entschuldigung war absolut ehrlich gemeint. Und außerdem war sie auch nicht wirklich schlank. Sie war nur groß und sehr vorteilhaft gekleidet. Andererseits war sie natürlich weit davon entfernt, unter die Rubrik ‚rund und schön‘ zu fallen.

„Ist schon gut“, brummte Moni, noch immer voller Misstrauen.

„Kommen Sie doch mit an unseren Tisch“ forderte sie Moni auf. „Mit den Geschäften sind wir gleich durch.“

„Ja, kommen Sie doch mit rüber.“

Moni zögerte, aber Frauke griff ihren Arm, zerrte sie fast von ihrem Barhocker und hakte sich bei ihr unter. Für eine Frau war Moni selber recht groß und mit hochhackigen Schuhen war sie nur noch etwas kleiner als Frauke. Allerdings war Frauke weit geübter auf ihren Pumps unterwegs und Moni hatte das Gefühl, immer ein wenig von ihr gezogen zu werden. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Frauke das gleiche Kleid in Rot trug. Vielleicht ein oder zwei Nummern kleiner. Schlimmstenfalls sechs. Das versöhnte sie ein wenig. Und obwohl es an ihrem Körper viel eleganter herunter floss als an Monis, stellte sie zufrieden fest, dass Frauke an der entscheidenden Stelle der Staudamm fehlte. Offenbar Grund genug für Frauke beim Gehen ein wenig ins Hohlkreuz zu fallen.

An besagtem Tisch saßen in fröhlicher Bierlaune einige Vertreter von Volkers Computerfirma zusammen. Frank stieg sofort in eine angeregte Diskussion über Preise und Liefertermine ein. Auch Frauke beteiligte sich interessiert an diesem Gespräch. Im Prinzip saß Moni hier genauso allein wie an der Bar. Nur, dass mehr Leute dabei waren.

„Gin Tonic?“ fragte Frauke nach einiger Zeit. Moni nickte. „Bleiben Sie sitzen, ich hole uns etwas. Ich glaube mit den Geschäften sind wir jetzt wirklich durch.“

Frank rückte auf den frei gewordenen Stuhl.

„Computer. Das ist eigentlich überhaupt nicht meine Sache, aber wir brauchen eine neue Anlage für unsere Buchhaltung. So ein Theater. Ich verstehe ja eigentlich nur die Hälfte dem, was die mir hier aufschwätzen wollen.“

„Ich hoffe, du hast dir das letzte Angebot schriftlich geben lassen?“ flüsterte Frauke und stellte drei Gin Tonic auf dem Tisch ab. „Morgen, wenn die wieder nüchtern sind, streiten die garantiert alles ab.“

„Liegt auf dem Tisch. Du kannst es ja noch einmal kontrollieren“, flüsterte Frank zurück. „Und halt mir doch die Kerle ein paar Minuten vom Leib, ja.“ Frank küsste seine Frau und sie nahm seinen Platz ein.

Moni begann die zwei zu mögen. Der schlechte Start an der Bar war fast vergessen. Frank hatte sie nicht anmachen wollen und Frauke wollte sich auch nicht über sie lustig machen, das war ihr inzwischen klar geworden.

„Also, dann erst mal Prost!“

Frank zog seinen Gin Tonic in einem Zug dreiviertel leer.

„Meine Frau und ich haben uns, wie gesagt, auf Mode auch in größeren Größen spezialisiert. Alles aktuelle, modische Kleider, die sonst nur in den gängigen Größen zu haben sind. Wir lassen die Sachen in Asien, wie soll ich sagen, ‚kopieren‘ und in Übergrößen produzieren. Daher unser Interesse an ihrem Kleid.“

„Verstehe“, sagte Moni und nippte an ihrem Glas.

„Der Markt wird ja immer breiter“, fuhr Frank fort und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Und wir expandieren sozusagen mit unserer Kundschaft.“

Das war bestimmt einer seiner Standardsprüche. Als Antwort auf diesen Kalauer warf Moni einen kurzen aber eindringlichen Blick auf seinen Bauch. Das mit dem Expandieren stimmte so gesehen wahrscheinlich. Für sein Alter hatte sich Frank einigermaßen in Form gehalten, aber mit einem Athleten in Topform war er wirklich nicht zu verwechseln.

„Geschäftlich gesehen“, grinste Frank. „Alles rein geschäftlich gesehen.“

„Sollte auch keine Anspielung sein.“

„Nein, ist schon klar. Aber worauf ich hinaus will, ist folgendes: Wir suchen Personal. Leute wie sie. Frauen mit hübschem Gesicht und kräftiger Figur, die unsere Produkte auch in der entsprechenden Größe tragen können. Ein bisschen was mit Ausstrahlung, damit wir unseren Kunden einen entsprechenden Eindruck von unseren Waren vermitteln können.“

„Außendienst?“

„Außendienst“, bestätigte Frank. „Natürlich nicht nur, aber ich kann es nicht leugnen. Es ist ein Außendienstjob.“

Moni hatte früher mal mit einem Avon-Koffer in der Hand Klinken geputzt. An diese Zeit hatte sie noch allerschlimmste Erinnerungen. Und diese Erinnerungen standen ausnahmsweise in keinerlei Zusammenhang mit ihrer Figur. Vertreter hatten offenbar den Stempel Freiwild auf Stirn. Jeder schubste einen rum und übte Druck aus. Die Kunden von der einen Seite, die Händler von der anderen. Und wenn man sich erst mal wegen so einer dämlichen Schminke mit der halben Verwandtschaft und Bekanntschaft in die Wolle gekriegt hatte, hatte man sehr schnell die Nase voll, von diesem Job.

„Sie wollen mir doch jetzt nicht etwa einen Job anbieten?“

„Warum nicht?“

Moni lachte und fingerte nach einem Zitronenkern in ihrem Glas. Der Kern hatte sie schon die ganze Zeit genervt, weil er immer auf und ab pendelte, wenn eines der Kohlensäure-Bläschen an ihm hängen blieb.
„Ich glaube kaum, dass das etwas für mich ist. Jeden Tag herumrennen bis die Füße bluten und das womöglich noch in solchen Schuhen.“

„Sie sind wie geschaffen für diese Tätigkeit, glauben Sie mir. Außerdem bekommen sie ein Auto, einen Firmenwagen. Das sind vielleicht 8­–10 Kunden, die sie täglich aufsuchen. Das wird ein Spaziergang, glauben Sie mir.“

„Ach ja?“

„Da trinken Sie nett Kaffee, quatschen ein bisschen und verkaufen das eine oder andere Stück. Manchen Interessenten geben Sie einfach nur die Bestellliste ab. Einzige Voraussetzung ist, dass sie nur Waren aus unserer Kollektion tragen. Die kriegen sie natürlich kostenlos zur Verfügung gestellt.“

„Klingt wirklich gut, aber ich habe so etwas ähnliches schon mal gemacht.“

„Sie haben es hier nicht mit irgendwelchen Hausfrauen zu tun, denen Sie im Sommer Heizdecken aufschwatzen müssen. Das sind alles smarte Geschäftsleute, die im Prinzip wissen, was sie wollen. Sie sollen nur demonstrieren, dass unser Produkt von einer Frau wie Ihnen auch getragen wird und einen Bestellschein ausfüllen“, fuhr Frank hartnäckig fort.

Er schien nicht locker lassen zu wollen. Dabei verstand Moni gar nicht, warum er sie unbedingt einstellen wollte. Irgendwo musste da doch ein Haken sein.

„Ich weiß nicht. Warum sollte ich das tun? Eigentlich bin ich doch gar nicht auf der Suche nach Arbeit.“

„Das habe ich vergessen. Sie haben ja einen krisensicheren Job. Aber erstens könnten Sie viel Geld sparen, für Kleider und Essen zum Beispiel. Und außerdem stellen wir Sie fest ein. Kein Provisionsrisiko.“

Das Wort krisensicher löste bei Moni ein undefinierbares Unbehagen aus. Sie schaute sich automatisch nach Volker um. Der saß mit drei Kollegen an einem Tisch und unterhielt sich angeregt. Ob ihr jetziger Job tatsächlich so krisensicher war, das würde sich erst noch herausstellen.

„Was wäre da so zu verdienen?“ fragte Moni beiläufig, denn da lag sicher der Hase im Pfeffer.

Frank drehte sich kurz zu seiner Frau und tuschelte mit ihr.

„Wir zahlen Ihnen 3200,– Euro brutto. Aber dazu kommen ja noch die Kleider und der Dienstwagen, also insgesamt gesehen …“

„Ist wirklich sehr verlockend“, vollendete Moni den Satz. Die Aussicht einmal für ihre Freude am Essen belohnt, statt bestraft zu werden, hatte zusätzlich einigen Reiz. Im Prinzip hätte sie froh sein können, wenn sie in ihrem Alter, mit ihrer Ausbildung überhaupt noch einmal Arbeit gekriegt hätte. Egal was sie dann bekäme, müsste sie sich sicherlich für die Hälfte krumm machen.

„Ich kann mich trotzdem nicht so richtig dafür erwärmen. Außerdem müsste ich darüber auch erst mit meinem Mann sprechen.“

Im Moment schien es Moni richtiger, ihre Ehe zu retten, bevor sie in Erwägung zog, sie durch einen Job noch weiter zu gefährden.

„Oh, klar! Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Aber warten Sie auch nicht zu lange. Hier ist meine Karte. Rufen Sie mich doch einfach an.“

Moni sah auf die Karte. Eindrucksvoll. Weiß, Grau, Gold, mit geprägten Buchstaben. „40 Plus. Mode in Sondergrößen.“ Hätte auch heißen können: „Mode für die hungrige Frau.“ Das Wort ‚tragbar‘ hätte ruhig irgendwo auftauchen können. Denn wenn die ganze Kollektion so war wie das Paillettenkleid, das Moni sich gekauft hatte, wäre das wirklich schick.

„Vielen Dank. Ich werde mich sicher mal melden“, sagte Moni. „Trinken wir noch einen?“ fragte sie dann mit einem Blick auf die leeren Gläser.

„Gern.“

„Und ihre Frau?“

„Frauke, noch einen GTO?“

Frauke nickte. Moni stand auf, um zur Theke zu gehen. Sie spürte bereits eine leichte Wirkung des Alkohols. Das Gehen auf den Pumps fiel ihr verblüffender Weise jetzt viel leichter als vorhin. Und ob das weiche Schaukeln der Hüfte von ihr gewollt war oder eine Wirkung des Alkohols, war nicht zu entscheiden.

Moni stellte fest, dass sie jede Menge Blicke auf sich zog. Sie konnte die Blicke nicht einordnen. Womöglich amüsierten sich die Kerle nur über die dicke Frau auf den spitzen Schuhen, die offensichtlich Schlagseite hatte. Volker war wohl der einzige Mann, der nicht einen Gedanken an sie zu verschwenden schien. Moni bestellte doppelte Gin Tonic. Sie wollte nicht ewig hin und her laufen, solange sie nicht sicher war, dass die Männer ihr aus Bewunderung nachschauten.

Während sie den nächsten Gin Toni in sich hineinschüttete, beobachtete Volker und sah sich nach den möglichen Konkurrentinnen um. Mit keiner von den durchaus attraktiven Frauen hier schien sich Volker mehr als üblich zu beschäftigen. Sie prüfte die Blicke der Frauen. Da war nichts. Keine von ihnen warf ein Auge auf ihn. Keiner schoss ihr blitzende, böse Blicke zu. Volker sprach die ganze Zeit über mit seinen Kollegen. Sonst geschah nichts.

Dennoch war Moni misstrauisch. Schließlich kümmerte sich ihr Mann auch nicht eine Minute um sie. Frank und Frauke waren wieder mit ihren Verhandlungen beschäftigt.

Moni beschloss, noch einen Gin Tonic an der Bar zu nehmen. Sie verabschiedete sich von Frank und Frauke und versprach, auf alle Fälle anzurufen. Auf dem Weg zur Theke ging sie an Volkers Tisch vorbei. Volker stellte ihr Christoph vor. Vertriebsleiter des Bereiches Süd. Keiner von beiden schien weiter an ihr interessiert und Volker machte keine Anzeichen, dass er nach Hause wollte. Also stand sie ein paar Minuten gelangweilt an Volkers Tisch herum und verzog sich dann an die Tränke.

*

Moni flößte sich viel zu schnell einen weiteren Gin ein. Sie wusste natürlich, dass es längst genug war. Doch was gab es sonst für sie zu tun? Sich mit den Außendienstlern unterhalten? Sie hatte keine Ahnung, wovon die redeten. Die Anekdoten und Histörchen, die sie schon ab 0,5 Promille von sich gaben, strotzen nur so von Anzüglichkeiten und Frivolitäten. Darauf hatte Moni nun gar keine Lust. Wenn sie noch ein wenig abgefüllter wäre vielleicht. Aber da müsste sie nun noch einiges nachtanken, bis sie tatsächlich soweit wäre, über solche Pointen zu lachen und über das gleichzeitige Antatschen und Po-Gekneife generös kichernd hinwegzusehen.

Sie konnte sich an einen Abend erinnern, das war jetzt wohl schon acht Jahre her, da hatte sie tatsächlich einen blauen Fleck nach einer solchen Spaßattacke gehabt. Warum glaubten diese Kerle bloß, dass ein blauer Fleck am Po ein Anzeichen dafür sein könnte, dass eine Frau sich amüsiert hatte?

Kaum fünf Minuten verbrachte sie alleine an der Bar, da stand auch schon ein blasser, blonder Jüngling vor ihr und grinste sie breit an.

„Hallo“, trompete er fröhlich los.

„Hallo“, erwiderte Moni.

„Jens Brockmann.“

„Außendienst?“

„Oh, nein. Ich arbeite im Lager.“

„Hmm“, Moni grunzte und konzentrierte sich wieder auf ihren Drink.

„Ist ein tolles Kleid“, sagte der Kleine.

Moni stellte fest, dass der junge Mann ihr mit gesenktem Kopf wie hypnotisiert auf die Augen starrte. Sie musste lachen und gönnte sich einen Spaß. Offenbar hatte sie doch schon genug getankt und das ‚wir sehen nicht unbedingt gut aus, aber wir sind alle unheimlich sexy‘-Niveau zu erreichen.

„Ja, aber hier und dort kneift es ein wenig.“ Sie rückte mit der freien Hand umständlich den Ausschnitt zurecht. Das war gut gerührt und nicht geschüttelt und keine Brust hatte ihre Stellung verlassen, aber für den Jungen sollte es wohl reichen. Tatsächlich sah der Kleine ihr zur Abwechslung ins Gesicht, und wie es bei blassen Menschen nun mal leicht passierte, überzog eine fleckige Röte seine Wangen. Das war vielleicht schon eine Spur zu direkt für ihn. Man durfte ja nicht außer Acht lassen, dass er nicht im Außendienst tätig war.

„Möchten Sie noch etwas trinken?“ fragte Jens aus dem Lager schnell und sah nach dem Theker.

„Gin Tonic“, sagte Moni und leerte das Glas. Er hatte schon wieder in ihren Ausschnitt geschielt. Die Blicke taten ihr gut. Nicht, dass der Knabe irgendein Interesse in ihr geweckt hätte, aber sie fühlte sich ausgesprochen wohl unter seinen Blicken. Außerdem war der Kleine harmlos.

„Arbeiten Sie in der Buchhaltung?“ wollte Sebastian wissen, nachdem sie angestoßen hatten.

Moni überlegte kurz. Wenn Sie jetzt ihren Mann ins Spiel brachte, würde der Kleine sicher vor Schreck einen Rückzieher machen. Sie schaute rüber zu Volker. Der würde sich auch weiterhin nicht um seine Frau kümmern. Nein, der Kleine sollte sie ruhig noch ein bisschen anhimmeln, das würde ihr wenigstens die Zeit vertreiben.

„Nein, ich arbeite im Außendienst“, log sie halb.

„Außendienst?“

Der Kleine schien überrascht.

„Ja, für einen Kunden hier.“

Der Junge verlor ihre Augen aber auch nicht einen Moment aus dem Blick. Wenn sie den Oberkörper nun langsam hin und her schwenkte, dann müsste der Kleine wohl unwillkürlich den Kopf schütteln. Moni dachte einen Moment lang ernsthaft daran, das auszuprobieren.

„Jetzt ist aber genug“, sagte Moni freundlich. „Wenn du eine Polaroid dabei hast, mach ein Bild von meinem Ausschnitt und nimm es mit nach Hause. Dann kann ich wenigstens meinen Gin in Ruhe genießen.“

„Entschuldigung“, stotterte der Kleine sofort wieder puterrot. „Ich wollte Sie nicht …“

„Ich habe ja nicht gesagt, dass du da nicht hingucken darfst. Ich denke nur, es sollte nicht alles sein, wofür du dich interessierst.“

Niemand hatte ihr das ‚Du‘ angeboten. Aber in diesem Fall hielt sie es durchaus für angemessen. Schließlich kannte der Kleine inzwischen jeden noch so winzigen Leberfleck auf ihren Brüsten. Was sollte sie ihn da noch groß ,Siezen‘?

„Schließlich bin ich kein Spielzeug für große Jungs.“

Vielleicht hatte sie den Kleinen jetzt zu hart angefasst. Er schwieg betreten und starrte an ihr vorbei ins Regal mit den Flaschen.

„Hey!“ rief sie und drehte sein Gesicht mit der Hand zu sich hinüber. „Ich bin nicht sauer, ich finde nur, du solltest auch wissen, welche Farben meine Augen haben, wenn du nachher nach Hause gehst.“

Der Kleine starrte ihr gezwungenermaßen ins Gesicht.

„Sie sind wunderschön!“ behauptete er durch den halb zerquetschten Mund. Moni ließ ihn los und grinste. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie ihm dabei fast den Kiefer ausgerenkt hatte.

„Ich …“, setzte der Kleine zu weitergehenden und bestimmt nicht ganz ehrlichen Erklärungen an.

„Du stehst auf große Brüste“, verkürzte Moni das Elend.

„Ich finde Sie sehen einfach toll aus. Insgesamt meine ich.“

Moni bestellte zwei weitere Gin Tonics und wartete darauf, dass er noch mehr davon sagte. Gin Tonic entwickelte sich nachhaltig zu ihrem Lieblingsgetränk. Er ging genauso geölt die Kehle herunter, wie die Komplimente, die der Kleine ihr die nächsten zehn Minuten zu Hauf in ihren Ausschnitt schüttete. Es war ziemlich lange her, dass ein Mann, oder zumindest etwas, das mal einer werden wollte, ihr solche Sachen gesagt hatte. Das kribbelte mächtig in ihrem Bauch. – Nein, das war der Gin. – Genau genommen musste sie aufs Klo. – Das war wahrscheinlich alles.

„Du entschuldigst mich“, sagte sie und machte sich auf den Weg zu den Toiletten. Nach drei Schritten stellte sie fest, dass sie sich weniger auf das Wiegen in der Hüfte, als auf einen sicheren Tritt konzentrieren sollte. Sie musste sich eingestehen, dass sie breit war.

Nein, doch, sie war betrunken, aber nicht zu knapp. Unsicher sah sie vor dem Abstieg in die Kellergewölbe noch einmal zu dem Knaben zurück, ob er ihre mangelnde Standhaftigkeit wohl bemerkt hatte? Er saß vor seinem Gin und lächelte ihr nach. Sie lächelte ihm ebenfalls zu und war sich nicht mehr sicher, ob sich dieser kleine Scheißer gerade über sie lustig machte. Eine betrunkene, dicke, alte Frau, was glaubte sie eigentlich, was der Bengel von ihr wollte?

Sebastians Blick hatte sich auf einmal verändert. Er schien nachdenklich. Wahrscheinlich war er verschwunden, wenn sie wieder hochkam. Jetzt hatte er wohl doch gemerkt, dass Moni ziemlich betrunken war. Ihr Zeitgefühl hatte auch schon gelitten. Sie sah wieder auf die Stufen. Sie konnte hier unmöglich eine halbe Stunde oder länger auf dem Treppenabsatz zum Klo stehen bleiben und jungen Männer an der Bar zulächeln.

Die Toiletten waren unbeheizt und dementsprechend kalt. Sie brauchte reichlich lange, um ihr Kleid wieder zu Recht zu ziehen. Ewig blieben die Pailletten irgendwo hängen. Vor dem Spiegel kontrollierte sie ihre Haare und ihr Make-up. Die Tür zum Flur wurde vorsichtig geöffnet, und Jens stand in der Tür, die er schnell hinter sich wieder schloss.

„Was machst du denn hier? Das ist die Damentoilette!“

„Ich wollte nur nach Ihnen sehen.“

„Mit mir ist alles in Ordnung“, sagte Moni und wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. Jens schien nicht wieder gehen zu wollen.

„Ich dachte …“

„Ja?“

„Weil Sie so lange auf dem Treppenabsatz gewartet haben …“

Moni wollte gerade darauf hinweisen, dass sie keineswegs so betrunken wäre, wie sie vielleicht wirkte, als sie Jens im Spiegel betrachtete. Plötzlich brannte etwas heiß in ihrem Bauch und das war jetzt nicht der Gin. Sie drehte sich um. Wieso sollte sie auf dem Treppenabsatz gewartet haben? Glaubte dieser Minilüstling …

„Und was jetzt?“ fragte sie energisch.

Jens schwieg.

Das Brennen weitete sich aus. Der Kerl glaubte tatsächlich, dass sie hier mit ihm …

„Na gut“, sagte sie mit einem möglichst sachlichen Tonfall und zog die Träger des Kleides über Schultern. Jens lief noch röter an, als Moni es sich hätte bestenfalls vorstellen können. Sie lauschte. Auf dem Flur war alles ruhig. Sie knöpfte ihren BH auf.

„Das wolltest du doch sehen?!“

Jens sagte nichts, trat einen Schritt näher, legte seine Hände auf ihre Brüste und versenkte Sekunden später seinen Kopf zwischen ihnen. Er hatte Moni heftig gegen die Wand gedrängt und die kalten Kacheln auf ihrem nackten Rücken verursachten einen leichten Schauer. Er leckte ihre Brüste ab und schien etwas die Kontrolle zu verlieren. Moni sah auf ihn herab. Als seine Zunge zwischen ihren Brüsten bis hinauf an ihren Hals glitt, setzte das Brennen wieder stärker ein.
Sie hätte sich jetzt liebend gerne von irgendjemandem, so richtig … Für einen Moment hatte sie das kühle Flair, der gekachelten Umgebung verdrängt. Was zum Teufel war mit ihr los. Der Junge war höchstens 21. Und das hier war das Damen-Klo einer drittklassigen Kneipe.

Dann fühlte sie seine Hand, die unter ihr Kleid geglitten war und sich an ihrer Hose zu schaffen machte. Der kleine Spinner wollte sie tatsächlich hier und jetzt vögeln. Sie fing an nachzudenken. Das Brennen wurde dabei unweigerlich von Kälte des Ortes verdrängt. Als Jens endlich den Bund ihrer Hose gefunden hatte und versuchte sie herunterzuziehen, schob sie ihn sanft aber energisch weg. Aber er ließ nicht sofort nach. Stattdessen biss er ihr in die Brustwarze, die von der Kälte ganz hart war. Mit einem Schlag war sie wieder nüchtern. Das tat weh.

„Hör schon auf damit“, sagte Moni und schob ihn heftig beiseite.

Der Kleine sah sie verständnislos an. Er schien zu überlegen, ob sie das jetzt ernst meinte, oder …

„Das reicht jetzt“, sagte Moni energisch, und es war ihr unübersehbar todernst. „Das hier ist wirklich nicht der Ort und die Zeit …“

Das Rot in Jens Gesicht, rührte jetzt nicht mehr von eventuellen Peinlichkeiten her, sondern von Zorn.

„Blöde, frigide Vettel“, schrie er sie an.

Moni war sprachlos. Fast hätte sie ihrem Instinkt nachgegeben und dem Kleinen eine unvergessliche Ohrfeige verpasst.

„Fette Außendienstschlampe“, fügte der kleine Scheißer noch hinzu, als er die Tür zum Damen-Klo von außen wieder schloss. Oder besser gesagt zuschmiss. Moni war sofort klar. Eine saftige Ohrfeige, wäre das mindeste gewesen, was die kleine Ratte verdient hatte.

Moni konnte vor Staunen kaum den Mund schließen. Sie sah in den Spiegel und hätte augenblicklich losheulen können. Sie sah sich selbst reichlich verblödet dreinschauen, mit dem heruntergelassen Kleid und dem lose baumelnden BH und hätte ihr Spiegelbild am liebsten angespuckt. Sie hätte die Ohrfeige allemal verdient. Was heißt hier: Hätte? Sie hatte sie im Prinzip auch gekriegt. Wie hatte sie sich bloß auf so einen Schwachsinn einlassen können? Nicht genug damit, dass sie sich vor dem Bengel erniedrigte und sich betrank. Nein, sie nahm auch noch aus trunkener Eitelkeit diese dusseligen Komplimente ernst und ließ das Miststück an ihre Brüste ran! Sie musste ja wohl einen Knall haben, keine Frage. Mechanisch schloss sie den BH wieder. Schon wieder wurde die Tür zum Toilettenraum geöffnet. Er sollte es bloß nicht wagen noch mal zurückzukommen!

Frauke warf einen schnellen Blick zurück auf den Gang. Sie konnte diesen kleinen Scheißer nicht übersehen haben.

„Haben wir Besuch gehabt?“ fragte sie mit leicht schnippischem Unterton und beeilte sich, ohne auf eine Antwort zu warten, in eine der Kabinen zu kommen. Moni hätte sofort sterben können. Es wäre der schnellste Ausgang aus dieser verdammten Toilette gewesen. Nicht, dass sie es ernsthaft erwogen hätte, für Frauke und Frank zu arbeiten. Jedenfalls nicht, dass sie wüsste. Aber das konnte sie sich jetzt wohl sowieso abschminken. Das war der grausamste Abend, den sie seit langem erlebt hatte. Sie beschloss, dass es für Frauen wie sie einfach besser wäre, zu Hause vor der Glotze zu bleiben und über die Sesselränder zu quellen. Da konnten einem zumindest nicht solche Sachen passieren.

Sie sah die Träne, die sich in ihrem Augenwinkel aufbaute. Wenn sie jetzt auch noch anfing zu heulen, wäre alles vorbei. Sie versuchte sich zusammen zu reißen. Zog ihr Kleid wieder richtig an und stand wie angewurzelt vor ihrem Spiegelbild.
Frauke postierte sich unmittelbar neben ihr und richtete ihr Haar.

„Ganz schön jung, der Kleine“, sagte sie, ohne eigentliche Boshaftigkeit. „Na ja, die haben wenigstens noch Ausdauer.“

Moni sah hilflos zu, wie die schwarz gefärbte Träne eine Furche durch das Make-up zog. Sekunden später schwamm ihre gesamte Wimperntusche als kleiner, dunkler See um ihre Augen. Frauke starrte sie im Spiegel an. Moni starrte zurück. So einer Frau würde so etwas natürlich nie passieren. Gleich würde sie anfangen zu lachen. Sie würde sie ganz bestimmt auslachen. Sich von so einen kleinen Scheißer ins Bockshorn jagen zu lassen!

„Was ist los?“

Nie im Leben würde Moni ausgerechnet dieser Frau erzählen, dass sie sich gerade in diesem Moment wie ein Haufen Dreck fühlte.

Frauke legte den Arm um sie. Moni tat nichts, um das abzuwehren.

„Der Kerl war ein Arschloch, richtig?“

Moni nickte.

„Ich fühle mich wie ein Haufen Scheiße“, heulte sie wütend los. Sie wollte nicht jammern. Wenigstens ihre Tränen musste sie unterdrücken. Aber die hatten sich ihren Weg längst gebahnt und waren jetzt durch nichts mehr aufzuhalten.
Auf dem Flur war das Klackern von Absätzen zu hören. Jeden Moment musste die Tür aufgehen und eine gut zurechtgemachte Frau würde, schockiert von Monis peinlicher Darstellung, sie von oben bis unten mustern, abschätzig schauen und sich betont desinteressiert in eine der Kabinen verziehen.

„Komm mit“, sagte Frauke und zog Moni in die freie Kabine. Für sie beide war es reichlich eng. Aber das schien Frauke nichts auszumachen.

„Erzähl mir was los ist“, forderte sie und Moni legte ohne zu zögern los. Sie fing ganz vorne an. Da war erst mal Volker und sein mangelndes Interesse, dann der Gin Tonic und zu guter Letzt noch dieser kleine Bastard. Bis dahin war sie noch nicht vorgedrungen, als in der Nachbarkabine plötzlich geflucht wurde.

„Wenn ihr beiden euern Beziehungssalat mal für einen Moment unterbrechen könntet, hier ist kein Klopapier mehr“, kam es aus der Nachbarkabine.

Moni unterbrach ihren Redefluss, weil ihr plötzlich klar wurde, dass sie sich an einem öffentlichen Ort befand. Ihre Probleme mit Volker gingen schon Frauke eigentlich nichts an, aber unbekannte Frauen, die auf der Nachbartoilette hockten erst recht nicht.

„Hey!“

Aus der anderen Kabine wurde ungeduldig an die Zwischenwand geklopft.

Frauke griff nach der Klopapierrolle und deutete Moni an, dass sie aufstehen sollte. Frauke quetschte sich an ihr vorbei zur Kloschüssel. Dann betätigte sie die Spülung und tauchte die Rolle in das fließende Wasser ein. Gleich darauf flog sie im hohen Bogen über die Trennwand und klatschte klitschnass irgendwo auf der anderen Seite mit eine dumpfen ‚Platsch‘ auf.

„Verdammt, seid ihr verrückt geworden?“

Moni musste kichern. Erst dezent. Dann hysterisch. Die Kabinentür nebenan wurde aufgerissen. Man hörte kurze Trippelschritte, so als wenn sie nicht mal den Rock für die paar Meter hochgezogen hatte. Es trippelte bis zu dem Regal mit den Papierrollen und dann wieder zurück.

„Dämliches Lesbenpack!“ schimpfte die Nachbarin, als sie die Kabinentür wieder geschlossen hatte.

„Sei bloß ruhig, sonst kommen wir beide mal rüber und statten dir einen kleinen Freundschaftsbesuch ab“, sagte Frauke so sachlich, dass es schon bedrohlich wirkte.

Es war nicht unbedingt eine Flucht, aber die Tür der Nachbarkabine wurde nach dem Spülen ziemlich hektisch geöffnet und es waren ziemlich schnelle Schritte zu hören, die sich hinaus auf den Flur entfernten. Dann waren sie wieder allein. Moni erzählte Frauke alles, was sie bewegte. Mit jedem weiteren Wort schien sich ihre Laune ein wenig zu bessern. Und als sie endlich fertig war, fühlte sie sich zwar nicht wirklich gut, aber erleichtert.

Frauke hatte sich bislang kaum dazu geäußert. Und auch nachdem Moni ihr alles erzählt hatte, sagte sie lediglich, dass sie jetzt Monis Make-up wieder in Ordnung bringen würde. Moni saß geduldig auf dem Klodeckel und ließ sich von Frauke schminken. Als Frauke ihre Schminke wieder in ihrem Handtäschchen verstaute, stellte Moni fest, dass sie beinahe zu 100% wieder hergestellt war. Natürlich war Fraukes Make-up dunkler als ihres. Sie hätte aber auch wirklich daran denken können, dass man nicht geschminkt aus dem Haus ging und die wichtigsten Utensilien zum Ausbessern auf dem heimischen Nachttisch liegen ließ.

Frauke hakte sich bei ihr unter und gemeinsam verließen sie die Toilette. Moni ging folgsam wieder mit zu den Bertrands an den Tisch. Frank wollte ihr zu Begrüßung irgendetwas sagen, doch bevor er den Mund auch nur halb geöffnet hatte, sagte Frauke: „Lass sie in Ruhe.“ Frank schloss den Mund gehorsam und kommentarlos wieder.

„Möchtest du noch etwas trinken?“ fragte Frauke.

Moni schüttelte den Kopf.

„Soll ich dich nach Hause fahren?“

Moni schüttelte wieder den Kopf. Sie sah sich um. Der kleine Scheißer war nirgends zu sehen. Sie beschloss, dass das auch besser für ihn sein würde.

Eine lange halbe Stunde saß sie ziemlich schweigsam da, dann tauchte Volker endlich auf und nahm sie mit nach Hause. Moni versprach Frauke anzurufen und war jetzt sicher, dass sie das auch tun würde.



Kapitel 5 - Home Sweet home


Von all dem Theater auf der Party hatte Volker scheinbar nichts mitbekommen. Er hatte sich ja überhaupt nicht um sie gekümmert, hatte nicht einmal bemerkt, dass sie bestimmt fast 45 Minuten auf dem Klo verschwunden gewesen war. Sie hätte dort an inneren Blutungen sterben können, ihr Volker hätte es nicht bemerkt.

Moni verspürte die drängende Lust, ihn für die Geschehnisse des Abends verantwortlich zu machen. Schließlich hätte er sich wirklich etwas mehr mit ihr beschäftigen können. Noch waren sie immerhin verheiratet.

„Warum hast du dich den ganzen Abend nicht um mich gekümmert?“ fuhr Moni ihren Mann ohne Vorwarnung an, als er sich schon sicher war, er könne jetzt gleich hinauf ins Bett verschwinden.

„Was?“

„Ich habe langsam das Gefühl, dass du mich nicht mehr liebst.“

Volkers ganze Körperhaltung drückte ein Aufstöhnen aus, das er aber nicht artikulierte.

„Hast du eine andere? Sag’s mir doch, dann weiß ich wenigstens Bescheid.“

„Moni, bitte! Ich habe keine andere. Was soll denn jetzt dieses Theater?“

„Ach, du hast keine andere? Und warum fasst du mich dann nicht mehr an? Bin ich dir zu fett, ja?“

„Nein, das heißt ja, aber das ist es nicht.“

„Ja, nein, das ist es nicht. Sag mir jetzt, warum wir keinen Sex mehr haben, sofort!“

Moni hatte sich langsam in Wut geredet. Sie wollte eine Antwort und zwar pronto.

Volker schien sich vor der Antwort drücken zu wollen. Er verschwand in der Küche. Diesmal ließ Moni ihn aber nicht so einfach entwischen. In der Küche hatte er eine Flasche Sekt geöffnet.

„Ich habe einfach keine Lust, das ist alles“, beantwortete er ihre Frage und nahm einen Schluck aus dem halbvollen Sektglas.

„Keine Lust, ja?“ Moni griff nach Flasche und setzte sie an. Die Flasche war zu voll und der Sekt hatte zu viel Kohlensäure. Fast wäre ihr alles aus der Nase wieder herausgespritzt. Sie verschluckte sich und nach einer kurzen, schmerzhaften Hustenattacke, lief ihr der Sekt von beiden Seiten am Mundwinkel hinunter. Er floss weiter in zwei herzförmigen, kleinen Rinnsale über das Dekolleté und verschwand in der tiefen Spalte zwischen ihren Brüsten. Das kitzelte. Volker drohte zu lachen. Aber das sollte er mal wagen.

„Was soll das heißen: du hast keine Lust‘?“ fragte sie genervt.

„Sex ist mir nicht mehr so wichtig. Das ist wirklich alles. Wir kommen doch gut klar. Alles läuft bestens.“

„Ach ja, du kommst nach Hause, verschwindest im Bett oder gehst Squash spielen. Aber zusammen machen wir überhaupt nichts mehr. Das nennst du bestens klarkommen?“

„Komm schon!“

„Nix, komm schon. Wir sehen uns so gut wie gar nicht mehr. Ich bin hier völlig alleine. Andauernd warte ich darauf, dass du mal nach Hause kommst. Und dann kann ich dir bestenfalls Gesellschaft beim Abendbrot leisten.“

„Mein Gott, so eine Ehe hängt doch nicht nur am Sex!“

„Das nicht. Aber ohne Sex ist mit uns ja gar nichts mehr los. Sex wäre wenigstens etwas, was wir mal zusammen machen würden.“

„Wir haben eben unterschiedliche Interessen.“

„Genau, außer Sex haben wir gar nichts gemeinsam. Und jetzt kommst du mir damit, dass du dazu auch keine Lust mehr hast.“

Moni war jetzt fast auf 180 und hatte bei jedem Satz einen Schluck aus der Flasche genommen. Immer nur kleine, vorsichtige Schlucke, aber die trafen auf den Rest von Gin Tonic, den sie schlagartig reaktivierten. Moni wurde schwindelig. Sie stellte die Flasche auf dem Tisch ab und ging rüber zu Volker. Sie umarmte ihn und merkte gar nicht, dass sie schon wieder weinte.

„Ich will mich nicht scheiden lassen“, sagte sie jammernd. „Auf gar keinen Fall will ich das. Ich liebe dich. Aber es muss doch irgendetwas geben, das uns verbindet. Außer der Steuererklärung.“

Volker schwieg betreten, aber erwiderte ihre Umarmung.

„Ich will mich auch nicht scheiden lassen. Davon ist doch auch gar nicht die Rede. Das ist nur alles so schwierig.“

„Was denn?“

„Ich weiß nicht. Irgendwie bin ich wohl in so einer Art Midlife-Crisis. Ich weiß es wirklich nicht genau.“

Moni wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Du schaust dich nach einer anderen Frau um?“ resignierte sie.

„Nein, wirklich nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich habe einfach nur keine Lust mehr. Vielleicht geht das ja wieder vorbei.“

Volker schien ernsthaft mitgenommen. Einen Moment lang glaubte Moni ihm, dass es keine andere Frau gab. Aber was sollte der Kram mit der Midlife-Crisis? Das war doch alles keine ausreichende Erklärung.

„Vielleicht können wir das ja irgendwie beschleunigen“, sagte sie aufmunternd und ließ ihre Hand über seine Hose gleiten.

„Ich glaube nicht“, sagte er und schob sie sanft weg. „Jetzt muss ich erst mal eine Nacht darüber schlafen und alles durchdenken. Lass uns morgen weiter reden, ja?“

Moni schaute ihm verwirrt nach. Was war bloß mit ihm los?

„Willst du mich nicht vielleicht doch mit hoch nehmen?“ fragte sie, als er schon in der Tür stand und ihr eine gute Nacht wünschte.

„Nein, das ändert bestimmt nichts.“

Moni nahm noch einen Schluck aus der Flasche. Sie war enttäuscht und wütend.

„Scheiße“, schrie sie und gab ihrer Wut nach. Die Flasche zerschellte halbvoll am Küchenregal.

„Verdammte Scheiße!“

Das würde sie heute nicht mehr sauber machen. Ganz bestimmt nicht. Dann öffnete sie die Tür mit dem Eimer und dem Aufnehmer und machte sich an die Arbeit. Die zwei Schnitte in der Handfläche waren nicht tief, aber sie hätte es doch liegen lassen sollen, in diesem Zustand.

*

Moni wachte beinahe vollständig bekleidet, aber unbedeckt in ihrem Bett auf. Ihr Kopf war über Nacht zu einem Kürbis angeschwollen.

Der erste Versuch sich aufzurichten, scheiterte an einer plötzlichen einsetzenden Schwindelattacke. Nach zehn Minuten auf dem Rücken hatte sie das Gefühl, es erneut versuchen zu können. Die kalte Dusche half nicht. Aber die drei Aspirin zeigten bald Wirkung. Sie hatte maßlosen Hunger. Am besten auf etwas Warmes und Deftiges. Vorsorglich holte sie alles aus dem Eisschrank, was essbar war.

Sie aß langsam stopfend, ohne jeden Genuss und schämte sich. Dieser ganze gestrige Abend musste schleunigst aus der Erinnerung gestrichen werden. Erst dieser kleine Widerling, dann hatte sie einer fremden Frau all ihre Probleme aufdrängt und zu guter Letzt von Volker erfahren, dass er tatsächlich keinerlei Interesse mehr an ihr hatte. Das waren drei Unannehmlichkeiten zu viel für einen Abend. Drei weitere Scheiben Speck flogen in die Pfanne, eine satte Portion Rührei und ein krosser Toast musste es jetzt sein.

Volker war natürlich schon wieder von dannen. Die Farbe in ihrem Haar ließ sich nicht auswaschen, dabei hätte sie gerne alles, was sie an gestern erinnerte, in diesem Moment ausgelöscht.

Plötzlich hatte sie genug gegessen. Sie verstaute die Reste wieder im Eisschrank. Der kleine Wichser hatte ihr tatsächlich einen Knutschfleck auf den Brustansatz gemacht. Sie rieb an der Stelle, aber auch der Minibluterguss ging nicht weg. Nichts ging weg. Nichts ließ sich ungeschehen machen. Auf dem Boden lagen immer noch einige Scherben. Am liebsten hätte sie die Türen vom Küchenschrank aufgerissen und einen kleinen privaten Polterabend veranstaltet.

Aus dem Nichts keimte auf einmal wieder Mut in ihr auf. Sie hatte die Türgriffe vom Küchenschrank im Prinzip schon in der Hand. Ehrlich gesagt, war ja nur eine Schlacht verloren, aber nicht der Krieg. Sie schmunzelte bei dem Gedanken an diese Schlacht. Und wie sie diese Schlacht verloren hatte! Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. Vielleicht war wenigstens das ein Vorteil? Schlimmer konnte es jetzt eigentlich nicht mehr kommen. Das war doch etwas, was Mut machen konnte.

Die größte Schwierigkeit war, dass Moni ihren Gegner nicht richtig zu fassen kriegte. Es war schwer gegen etwas oder jemanden zu kämpfen, den man nicht kannte. Man konnte keine Schwächen ausloten, keine Strategien entwickeln. Es blieb einem kein wirklicher Ansatzpunkt. Sie musste zunächst einmal herausfinden, gegen wen sie da  überhaupt antrat.

Dem ersten kämpferischen Impuls folgend hob den Telefonhörer ab und drückte die Wahlwiederholung. Wenn Volker sich heute Morgen mit ihr verabredet hatte, um sich bei ihr auszuheulen, dann hatte er sie sicherlich, kurz bevor er das Haus verließ, angerufen.

Leider meldete sich nur eine Angestellte vom Friseur Frenzel. Offensichtlich wollte Volker sich für sein Date noch aufpeppen lassen. Moni legte auf. Sackgasse. Oder nicht?

Volker ging ja verdächtig oft zum Friseur. Und Frenzel war der Friseur, bei dem Moni vorgestern gewesen war. Wo man sogar ihren Namen gekannt hatte! Sie sah die Friseuse vor sich. Natürlich, es war ganz einfach. Eine Friseuse! Das grenzte schon an Unverschämtheit. Das Küken war mindestens 15 bis 20 Jahr jünger als Moni. Wenn Volker an seinem Arbeitsplatz fremdgegangen wäre, hätte Moni es gestern an den Reaktionen der Kollegen bemerkt. Sie zog sich endlich etwas an. Etwas Schnelles und Bequemes. Sie hatte jetzt keine Zeit, sich aufzudonnern.

Eine viertel Stunde vor Geschäftsschluss stand sie vor Salon Frenzel. Wenn Volker etwas mit dieser kleinen Friseusenschnecke hatte, dann würde er sie jetzt gleich von der Arbeit abholen. Moni beobachtete, wie die junge Frau den Laden aufräumte und abschloss. Dann stand die Friseuse wartend vor dem Eingang. Jetzt hatte sie Volker erwischt. Gleich würde er da vorn um die Ecke biegen. Wahrscheinlich mit Blumen in der Hand. Sie könnte ihn mit der Friseuse in flagranti dingfest machen. Aber Volker kam nicht.

Stattdessen hielt ein Golf GTI mit Kindersitz auf der Rückbank vor dem Geschäft. Die Friseuse stieg ein und verschwand. Das war nicht Volker. Da war Moni ganz sicher.

Volker kam erst am späten Nachmittag wieder nach Hause und fand Moni mit einer Keksdose frustriert vor dem Fernseher. Er stellte seine Sporttasche ab und fragte völlig überraschend: „Wollen wir nicht mal wieder zusammen essen gehen?“
Moni sah in sprachlos an.

„Natürlich nur, wenn du nicht schon gegessen hast.“

Moni warf den angebissenen Keks zurück in die Dose.

„Bin sofort fertig. Ich muss mir nur noch etwas anderes anziehen.“

„Aber lass dir nicht so fürchterlich viel Zeit, ja?“

„Geht ganz schnell. Ehrlich“, versprach sie und stürmte mit fast kindlicher Begeisterung hinauf in ihr Zimmer.

Das Kostüm. Jetzt war es Zeit für das Kostüm. Moni riss die Sachen aus dem Schrank. Gott sei Dank ging das Schminken heute schon besser als gestern. Wenn Volker lange warten musste, bestand die Möglichkeit, dass er es sich womöglich noch anders überlegte. Beinahe hätte sie die Strümpfe zerrissen. Sie musste dringend darauf achten, sich die Fußnägel sauberer zu feilen.

„Ich wusste gar nicht, dass Enterprise immer noch läuft“, sagte Volker, nachdem er die ganze Folge über vor dem Fernseher zugebracht hatte. „Also, du hast dich wirklich beeilt.“

„Tut mir leid.“

„Na ja, hat sich ja wenigstens gelohnt.“

Volker schenkte ihr tatsächlich einen anerkennenden Blick. Er ließ sich sogar unterhaken, auf dem Weg zum Auto. Moni war selig. Es war fast so wie früher. Sicherlich hatte er heute seine Beziehung mit wem auch immer beendet. Jetzt durfte sie ihn nur nicht drängen. Das war ganz wichtig, wenn sie ihn wirklich wiedergewinnen wollte.

Moni fühlte, dass sie heute noch hübscher war als gestern. Das machte die positive Ausstrahlung. Sie saßen an einem Tisch in der hinteren Raumecke des Spaniers und Moni bestellte einen Salat, obwohl sie so gut wie keinen Hunger hatte. Es würde ihr sicherlich schwerfallen, einen ganzen Teller Salat aufzuessen.

Aber es stellte sich als keine besondere Herausforderung heraus. Der Appetit kam mit dem Essen und Moni schloss nun doch noch eine gute Portion Paella an. Volker sagte nicht viel. Sie beobachteten die Flamencotänzer die alle zwei Stunden ihren Auftritt hatten.

„Das steht dir ausgezeichnet“, sagte Volker und zeigte auf das Kostüm.

„Danke.“

„Du hast dich überhaupt in den letzten Tagen irgendwie verändert.“

„Das sind nur die Haare. Ich war bei einem anderen Friseur.“

„Ja, das auch.“

Volker stocherte in seinem Salat herum.

„Du ziehst einige Blick auf dich.“

„Ja? Meinst du?“ fragte Moni betont unschuldig.

„Aber ja. Siehst du den Typen am Tresen, den in dem schwarzen Hemd, meine ich.“

Moni hatte ihn schon gesehen, als sie hereingekommen waren. Sie hatte auch sehr schnell mitgekriegt, wo er hingeguckt hatte. Und aus diesem Grund hatte sie längst beschlossen, hier keinesfalls aufs Klo zu gehen, selbst wenn ihre Blase platzen würde.

„Der ist viel zu jung.“

„Aber er schaut dich sehr interessiert an.“

„Bist du eifersüchtig?“ fragte Moni kichernd.

„Aber nein. Du hast doch selbst gesagt, dass er viel zu jung ist.“

„Wenn es dir nicht gefällt, kann ich mich ja wieder anders anziehen.“

„Um Gottes willen, nein!“

„Dann darfst du aber auch nicht eifersüchtig sein.“

„Bin ich doch gar nicht. Es freut mich, wenn du dir solche Blicke einfängst.“

„Der guckt mir doch eh nur auf die Brust.“

„Na die stellst du ja auch reichlich aus.“

„Das ist noch lange kein Grund …“

„Hör mal Moni, ich bin nicht eifersüchtig. Schließlich sind wir verheiratet und außerdem ist es dein gutes Recht, deine Vorzüge anzupreisen.“

„Ach ja, du bist nicht eifersüchtig und hackst jetzt die ganze Zeit auf meiner Brust rum. Und dass mir andere Männer nachgucken. Wenn das keine Eifersucht ist, was dann?“

Volker lachte. „Hör schon auf. Ich finde es einfach amüsant, dass der Kerl dich anhimmelt, okay?“

Moni wusste nicht genau, ob sie ihm glauben sollte. Aber wenn er eifersüchtig war, war das nur gut.

„Es wäre mir natürlich bedeutend lieber, wenn du mich mal voller Verlangen anschauen würdest.“

„Voller Verlangen, das ist gut.“

Volker lachte und schaute zu dem Kerl im schwarzen Hemd hinüber. Der sah im gleichen Moment weg.

„Er nutzt den Spiegel am Tresen“, sagte Volker plötzlich.

Moni sah auch hinüber. Volker hatte Recht. Der Kerl betrachtete sie einfach weiter im Spiegel und ließ sich von Volkers Blicken nicht im Mindesten abschrecken. Der war ja fast so penetrant wie der Lagerarbeiter von gestern Abend. Die Paella schien irgendwie einen bitteren Nachgeschmack zu haben.

„Blöder Sack!“

„Ist doch nicht schlimm“, versuchte Volker sie zu beruhigen. Er konnte ja auch nicht wissen, warum ihr diese Blicke jetzt so auf die Nerven gingen. Und im Moment war ganz bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, es ihm zu erklären.
„Reg dich nicht auf. Mit dem breiten Becken kommt der doch wohl sowieso nicht Frage.“

„Was?“ fragte Moni irritiert.

„Na, du wirst dir doch wohl nicht so eine deutsche Tanne angeln?“

Moni lachte und verschüttete etwas Wein. Nein, da hatte Volker recht. Bei genauer Betrachtung hatte der Kerl ein viel zu breites Becken.

„Der da!“ sagte Volker plötzlich und deutete mit dem Kopf Richtung Tür, wo ein junger Adonis in Jeans mit einer wirklich bemerkenswerten Figur und braungebranntem Gesicht hereinkam. „Der käme ja wohl schon eher in Frage.“
„Der fühlt sich viel zu schön!“ lästerte Moni.

„Und der schlurfende Gang.“

„Und die hängenden Schultern.“

Moni und Volker lachten und amüsierten sich noch einige Zeit über die beiden, die jetzt nebeneinander am Tresen saßen. Moni war glücklich. Sie hatte das Gefühl, endlich wieder einmal ganz dicht mit Volker zusammen zu sein. Nicht einfach nur durch körperliche Anwesenheit. Sondern so intim, wie es sich für Eheleute gehörte. Sie fühlte sich seit ewigen Zeiten wieder wie seine Frau. Wenngleich er ihr nicht das Gefühl gab, sie als Frau zu begehren. Aber das war jetzt nicht so wichtig. Das kam schon wieder, wenn sie sich eine Zeit lang näher gekommen waren.

„Willst mich wohl loswerden“, scherzte sie, als er nicht aufhören wollte, ihr irgendwelche Kerle anzupreisen.

„Nein. Überhaupt nicht.“

„Klingt aber fast so.“

„Hör mal, Moni“, sagte er unvermittelt ernst. „Ich finde, du musst einfach wieder selbständiger werden.“

„Was?“

„Ja, du hast doch gesagt, dass du keine Lust mehr hast, allein zu Haus auf mich zu warten.“

„Ja und?“ fragte Moni alarmiert. Sie hatte keine rechte Vorstellung davon hatte, in welche Richtung das Gespräch gerade abschwenken wollte.

„Ich verstehe das ja. Und du hast Recht. Aber ich muss auch mein Leben leben. Dazu gehört meine Arbeit und andere Sachen, die ich allein und ohne dich machen muss, weil wir da nicht die gleichen Interessen haben. Ich kann nicht neben dir vor dem Fernseher sitzen, nur um mehr Zeit mit dir zu verbringen. Oder überhaupt zu Hause rumsitzen, weil du dich langweilst“

„Was soll das denn jetzt? Das sollst du doch gar nicht. So, wie es jetzt ist, ist doch alles in Ordnung. Wir hatten doch eben unseren Spaß.“

„Ja, das werden wir auch sicherlich öfter mal machen. Aber trotzdem. Das Problem sitzt tiefer. Im Haushalt ist nicht so viel zu tun, dass es dich ausfüllt. Eigentlich hast du einfach nur viel zu viel Zeit. Ich möchte, dass du darüber nachdenkst, ob du nicht einen Job annehmen willst!“

„Wie bitte?“

„Vielleicht bringt dir das die nötige Selbstsicherheit zurück und gibt dir die Befriedigung, die ich dir verschaffen soll. Ich bin dazu jedenfalls nicht fähig. Du musst dein Leben selbst leben. Eigenen Interessen verfolgen. Dann wird auch unsere Ehe wieder ins Lot geraten.“

„Unsere Ehe wird schon wieder ins Lot geraten, wenn du mich mal wieder vögelst.“ Das war Moni so rausgerutscht. Sie sah sich um und hoffte, nicht zu laut gesprochen zu haben.

„Du weißt genau, dass das nicht wahr ist. “

„Ach nein?“

„Nein, du brauchst weit mehr als das. Und das weißt du auch.“

„Kann schon sein. Aber im Moment habe das ungute Gefühl, dass du mich loswerden willst. Ich soll eine Arbeit annehmen, weil du dann bei einer Scheidung keinen Unterhalt zahlen musst, richtig? So und nicht anders sieht das im Moment für mich aus.“

„Das ist doch vollkommener Blödsinn. Ich will mich nicht scheiden lassen. Auf keinen Fall, das habe ich dir doch gesagt.“

„Und, wenn du lügst?“

Volker schwieg betroffen. Sie hatte ihn verletzt. Es war eigentlich nicht Volkers Art, jemanden derart zu belügen. Aber wer konnte schon wissen, was für Flöhe die andere Frau ihm ins Ohr gesetzt hatte? Moni beschloss, in diesem Punkt nicht nachzugeben.

„Was mache ich denn, wenn du mich verarscht? Dann stehe ich irgendwann ziemlich beschissen da, oder?“

„Ich schwöre dir, dass ich mich nicht scheiden lassen will! Und, dass es keine andere Frau gibt!“

„Ach so!“

„Was?“

„Und das glaube ich, weil mein Mann mir das schwört. Wenn du tatsächlich eine andere hast, dann ist doch dieser Schwur überhaupt nichts wert.“

„Was soll ich tun? Auf dem Boden kniend zu Gott schwören?“

„Wäre vielleicht überzeugend!“

Moni hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass er das ernsthaft in Erwägung zog. Ehe sie sich versah, kniete er vor ihr auf dem Boden und wiederholte seinen Schwur.

„Steh auf, um Himmels willen! Die Leute gucken schon alle hier rüber.“ Sicherlich änderte das Knien nichts an seiner Glaubhaftigkeit, aber es machte doch Eindruck auf Moni.

„Erst, wenn du mir glaubst!“, beharrte er immer noch auf dem Boden kniend. Die Situation wurde Moni langsam peinlich.

„Ich glaube dir ja. Jetzt setzt dich aber auch wieder auf deinen Platz.“

Die beiden Trantüten am Tresen grinsten breit. Moni hätte ihnen am liebsten mal ihre Schlagkraft demonstriert.

„Was soll das? Du benimmst dich unmöglich!“ maulte sie Volker an.

„Du schämst dich für mich?“ fragte er beinahe verzückt.

Moni schluckte.

„Nein.“

„Bist du sicher?“

Doch sie hatte sich einen kurzen Moment geschämt. Das schmeckte bitter, weil sie wusste, wie verletzend das Gefühl für den anderen war. Sie hatte es ja selbst oft genug erlebt. Seit sie sich ihr heutiges Volumen zugelegt hatte, hatte sie mehr als einmal das Gefühl gehabt, dass Volker sich ihretwegen schämte.

„Gut, ich glaube es dir“, erklärte sie und versuchte die Situation zu entschärfen. „Aber es wäre leichter gewesen, wir hätten unsere Schlafzimmer wieder zusammengelegt, dann wäre so was hier nicht nötig.“

„Lass mir damit Zeit. So wichtig kann das doch nicht sein.“

„Na ja“, sagte Moni unsicher, weil er in diesem Punkt einfach nicht einen Zentimeter nachzugeben bereit schien.

„Überleg dir doch meinen Vorschlag. Wenn du einen Job hast, wirst du garantiert glücklicher, als wenn wir jetzt die Schlafzimmer zusammenlegen würden. So oft wie du dich an einem Tag langweilst, könnte dich beim besten Willen nicht vögeln.“

„Volker!“

„Schon gut, war ja nicht so gemeint. Es geht ja nur ums Prinzip. Wenn du es dir anders überlegst, kann ich dir vielleicht sogar einen Job besorgen.“

„Das wird nicht nötig sein“, sagte Moni und dachte an die Bertrands. „Warum können wir nicht miteinander schlafen? Sag mir das doch bitte mal. Ich versteh es nämlich nicht.“

„Das kann ich nicht. Vielleicht ist es ein körperliches Problem, vielleicht ein psychisches, ich weiß es wirklich nicht.“

„Verstehe“, sagte Moni nach kurzem Zögern und hatte endlich einmal das Gefühl, den Kern des Problems verstanden zu haben. Wahrscheinlich schämte sich Volker, weil er nicht mehr konnte. Er war schlicht impotent. Das war wohl alles.
Erleichterung war vielleicht nicht die richtige Reaktion auf diese Erkenntnis. Aber Moni war erleichtert. Wenn es nur das war. Darüber würde sie ihm irgendwann hinweghelfen können. Da gab es nun wirklich jede Menge Möglichkeiten. Typisch für Männer, sich wegen so einer kleinen, organischen Funktionsstörung in Sack und Asche zu hüllen. Solange es keine andere Frau gab, könnte sie zur Not sogar auf Sex verzichten.

„Gut“, sagte sie und beschloss ihre neue Erkenntnis erst mal außen vor zu lassen. Ganz offensichtlich war ihr Mann noch nicht in der Lage, mit ihr über solche Dinge zu sprechen.

„Wir machen es, wie du vorgeschlagen hast. Keinen Sex mehr. Und ich suche mir einen Job.“

„Also“, druckste Volker herum. „Keinen Sex mehr, ist nicht unbedingt das, was ich von dir erwarte. Ich kann im Moment keinen Sex mit dir machen. Aber ich erwarte natürlich nicht, dass du deswegen völlig darauf verzichtest. Wenn du dir einen Liebhaber suchst, hätte ich dafür absolutes Verständnis.“

Moni begann den ganzen Abend, die ganzen letzten Wochen unter einem anderen Blickwinkel zu sehen. Volker liebte sie tatsächlich! Er ging sogar soweit, sie zum Fremdgehen aufzufordern, weil er ihr das bisschen Steifheit nicht mehr bieten konnte. Er musste sich reichlich schlecht fühlen, in dieser Lage.

„So nötig habe ich es nun auch wieder nicht.“

„Vielleicht nicht. Aber wenn, dann möchte ich, dass du weißt, dass ich dir da keine Steine in den Weg legen werde.“

„Danke, das ist wirklich reizend. Aber mein Interesse an deutschen Tannen und Hängeschulterschweinen ist sehr begrenzt.“

Volker lachte und sah zur Theke.

„Nein, so nötig kannst du es eigentlich nicht haben, da gebe ich dir völlig recht.“

Moni bewunderte seine Haltung. Er schlug sich wahrhaft tapfer.

„Ich sollte mich aber vielleicht nicht mehr so provozierend anziehen?“

„Unbedingt! Du solltest dich unbedingt so anziehen. Ich finde, du siehst um Jahre besser aus, als noch vor ein paar Tagen. Außerdem stärkt es ganz bestimmt dein Selbstvertrauen.“

Moni dachte darüber nach, ob er ihr oder sein Selbstbewusstsein meinte, aber das war ja eigentlich auch egal. Wenn es ihm gefiel, würde sie sich weiter zu Recht machen. Zum Abschluss des Abends gab es dann eine wunderbare, gestürzte Karamell-Creme, von der Moni dringend zwei Portionen essen musste. Stärkte auch das Selbstbewusstsein, vor allem wenn man feststellte, dass einem niemand mehr dabei böse Blicke zuwarf.



Kapitel 6 - Top Job


Volker gab sich wirklich reichlich Mühe. In den nächsten Tagen unternahmen sie eine Menge Sachen, die sie schon lange nicht mehr gemacht hatten. Im Gegensatz zu früher schien ihm ihr Gewicht egal geworden zu sein. Das war ihr sehr angenehm, dafür nahm sie gerne in Kauf sich täglich über eine Stunde zurechtmachen zu müssen.

Nach einiger Zeit beschlich Moni allerdings das Gefühl, mit ihrem Mann eher so etwas wie befreundet zu sein. Kein Knistern und kein Gramm Erotik lag in der Luft, wenn sie zusammen ausgingen. Er weigerte sich, wahrscheinlich aufgrund seiner Unpässlichkeit, sie als seine Frau zu behandeln. Einmal kaufte er ihr zwar Rosen, aber auch das war nur eine nette Geste.

Alles waren immer nur Gesten. Ob er mal den Arm um sie legte, oder sie auf die Wange küsste. Sie schien für ihn zum erotischen Neutrum geworden zu sein. Ein Zustand, der ihr nicht sonderlich zusagte. Moni beschloss, das noch eine Weile zu ignorieren. Einen guten Freund konnte sie in diesen Zeiten mindestens genauso gut gebrauchen, wie einen guten Ehemann.

Am Ende der Woche hatte Moni sich endlich bei den Betrands gemeldet. Frauke hatte sie noch am gleichen Nachmittag eingeladen. Sie schien auf Neuigkeiten zu brennen. Es war weit weniger peinlich als Moni sich vorgestellt hatte. Frauke war auch nüchtern betrachtet rundum nett. Sie freute sich für Moni, dass die Dinge wieder in Ordnung zu geraten schienen.

Nach einer Tasse Kaffee und einem Teller voll Keksen, von denen Frauke mindestens genauso viel verputzte wie Moni, holte sie ein Foto aus einem Schuhkarton und zeigte es Moni. Was sie auf den ersten Blick kaum für möglich gehalten hätte, erwies sich als wahr. Es handelte sich um ein Bild von Frauke, vor etwa fünf Jahren aufgenommen. Gut sie war fünf Jahre jünger, aber mit Sicherheit auch 5 Kilo schwerer, als Moni zur Zeit.

„Wie haben Sie das geschafft?“

„Eiserner Wille, sonst nichts“, sagte Frauke nicht ohne Stolz.

„Das kann ich kaum glauben.“

„Doch. Alles, was man sich anfrisst, kann man sich auch wieder abhungern.“

„Das könnte ich nie. Ich würde auch nie so aussehen. Diese Beine, so dünn sind meine Oberschenkel einfach nicht.“

„Waren meine ja auch nicht. Aber die werden wieder so dünn.“

„Bei mir bestimmt nicht. Das sind die Gene. So abnehmen, dass die Oberschenkel dünner werden, könnte ich nie.“

„Ganz sicher könnten sie das. Und sie sähen auch genauso schlank aus, wie ich jetzt. Aber das ist gar nicht so wichtig. Ich zeige Ihnen das nur, weil ich will, das Sie wissen, dass ich öfter und besser verstehe, was Sie fühlen, als Sie vielleicht denken. Das hier ist das einzige Bild, das noch existiert. Alle anderen habe ich vernichtet. Keiner sollte mehr wissen, wie ich früher mal aussah.“

„Das kann ich gut verstehen.“

„Es war aber falsch. Dünn oder dick, die Probleme sind immer die gleichen. Ich hätte die Bilder nicht vernichten sollen. Der entscheidende Punkt ist, dass man etwas aus sich macht. Nicht, ob man es schafft, wieder dünn zu werden. Die Vergangenheit zu verleugnen, ist Unsinn. Man muss immer zu seinem Körper und seinen Gedanken stehen, egal wie man aussieht. Manchmal habe ich das Bedürfnis, dieses Bild zu vervielfältigen und überall zu verteilen. Seht her, das bin ich. Ich habe mich eigentlich nicht verändert.“

„Ich weiß nicht. Sie sehen jetzt aber viel besser aus. Meinen Sie wirklich, ich könnte das schaffen?“

„Ja. Das könnten sie. Aber dann können Sie den Job natürlich vergessen. Und deshalb sind Sie doch hier.“

„Ja klar, eigentlich schon.“

„Sehen Sie! Alles hat zwei Seiten. Also folgen Sie mir.“

Frauke zeigte ihr die ganze Kollektion. Von allen Sachen musste sie ein Stück anprobieren und wenn es passte, durfte sie es mitnehmen. Sie kam mit zwei Koffern voll Kleidung nach Hause und probierte dort alles noch einmal an.

*

Frauke kümmerte sich absolut reizend um sie. Obwohl sie eigentlich sehr beschäftigt war, nahm sie sich die Zeit und arbeitete Moni persönlich ein.

In den nächsten zwei Wochen bekam Volker sie kaum zu Gesicht, so beschäftigt war sie. Sie hatte Termine bei Kunden und handelte Bestellungen aus. Sie bemerkte nach und nach, dass sie all das sehr wohl konnte, und es ihr auch Spaß machte.

Volker hatte recht gehabt. Das musste sie bald zugeben. Jeden Tag wurde sie ein wenig ausgeglichener und selbstbewusster. Morgens stand sie noch eine Stunde früher als Volker auf, um sich fertig zu machen. Und sie kam selten vor ihm nach Hause.

Frank war ein angenehmerer Arbeitgeber. Hin und wieder flirtete er zwar hemmungslos mit ihr, aber das ließ schnell nach, sobald die Geschäfte ins Spiel kamen. Deswegen nahm Moni das nicht weiter ernst. Und es war wohl auch nicht so gemeint. Er hatte halt seinen eigenen Umgang mit den Angestellten.

Mit Frauke hingegen hatte Moni sich richtig gehend befreundet. Am Wochenende waren sie sogar zusammen ins Theater gegangen. Natürlich mit einem Kunden und auf Spesen. Aber nach der Aufführung waren sie noch auf zwei Glas Wein in einer Altstadtkneipe versackt und hatten ausgiebig über Männer und ihre Macken philosophiert.

Die meisten Kunden wickelte Moni um den kleinen Finger. Warum hatte sie früher nicht wahrgenommen, wie leicht sie Männer manipulieren konnte? Hier ein bisschen freie Haut, dort ein kleiner Einblick und sie unterschrieben beinahe alles, ohne im Mindesten darauf zu achten was es war.

Manchmal fragte sie Moni, ob sie es war, die alle diese Klamotten verkaufte oder Playtex. Natürlich musste man zusehen, dass man sich die Männer immer schön auf Distanz hielt, sonst neigten sie schnell dazu, eklig zu werden. Dann zeigten auf einmal alle, dass in ihnen nichts weiter als ein kleiner Lagerarbeiter steckte, der ihren Hormoncocktail im Prinzip nach Belieben zusammen mixte.

Von allen Männern, die sie Laufe der ersten Zeit kennenlernte stellte sich nur einer als akzeptabel nett heraus.

Herr Solinger war Besitzer einer kleinen Boutique, die er nach dem Tode seiner Frau übernommen hatte. Eigentlich war er bereits in Frührente gegangen, aber als seine Frau, die fast zehn Jahre jünger war, plötzlich verstarb, hatte er das Geschäft nicht verkauft, sondern vertrieb sich seine freie Zeit damit. Ernsthaft arbeiten tat er nicht, dafür waren zwei Angestellte da, aber er sah regelmäßig nach dem Rechten. Herr Solinger hatte wohltuend wenig Ahnung von Mode und Moni verpasste beinahe den nächsten Kundentermin, weil der gute Mann so viele Fragen hatte. Sie verabredete sich also für einen weiteren Termin mit ihm und ging mit ihm nach Feierabend essen.

Herr Solinger war klein, untersetzt und trug seinen letzten Haarkranz mit Würde. Anstatt des Vertuschungsversuches mit Hilfe eines langgewachsenen Haarbüschels, das sich andere Männer in dieser Situation gewöhnlich über die ganze Halbglatze zu kämmen versuchten, hatte er seine restlichen Haare adrett auf gleichmäßige anderthalb Zentimeter gestutzt. Genau wie seinen Vollbart. Das war seine Rettung, denn Moni hasste Männer mit Vollbärten. Diese kurz geschnittene Variante lag aber gerade noch im Rahmen des erträglichen.

Solinger war ein rechter Genießer. Spitzbübisch lächelnd klopfte er sich nach dem Essen auf den dicken Kugelbauch und forderte sie auf, noch mehr von dem köstlichen Rotwein zu nehmen. Auch aus seiner Beleibtheit machte er keinen Hehl. Die Weste, die er trug diente offenbar als mehr eine Art Leibbinde, die seine Figur zusammenhielt.

Den Rest des Abends erzählte Solinger nur noch von seiner Frau und wie einsam er seit ihrem Tod wäre. Persönliche Gespräche gehörten genauso zum Geschäft wie das anschließende Ausfüllen des Bestell­zettels.

Moni hörte sich das, nach zwei weiteren Gläsern Wein, gelöst an und stimmte dann zu, dass man zu so fortgeschrittener Stunde wohl besser keine Vertragsabschlüsse mehr in Angriff nehmen sollte. Sie versprach wegen der Bestellung am nächsten Tag noch einmal vorbeizuschauen.

Mit Mühe und Not schob Moni am nächsten Tag den Termin mit Herrn Solinger dazwischen. Viel Zeit blieb ihr nicht, aber es war ja auch nur noch die Bestellung aufzunehmen. Das sollte wohl klappen. Doch da irrte sich Moni gewaltig.

*

Nachdem Herr Solinger ihr zur Begrüßung einen Sherry angeboten hatte, führte er sie nach hinten in den kleinen, recht beengten Büroraum. Doch anstelle der Bestellformulare lagen bald darauf dutzende Fotos von Solingers verstorbener Frau. Ja, Frau Solinger war schon eine Schönheit. Moni brachte es einfach nicht fertig, die Bilder beiseite zu schieben und ihre Mappe mit den Bestellformularen darüber zu legen.

Die Zeit wurde auch schon wieder knapp. Herr Solinger schien enttäuscht. Aber so auf die Schnelle Ware zu bestellen, das behagte ihm gar nicht. Nein, Moni musste versprechen, am folgenden Tag mit mehr Zeit noch einmal vorbeizuschauen.
Herr Solinger entwickelte sich als ausgesprochen zeitintensiver Kunde. So etwas musste es ja auch geben. Moni hatte bereits dazu gelernt und ihn für den nächsten Tag als letzten Punkt auf ihrer Liste vermerkt. Open End, sozusagen. Es war schon kurz vor Feierabend, als sie vor Solingers Laden parkte.

Herr Solinger war noch dabei, ihr von den Vorzügen einer Beamtenlaufbahn und der entsprechenden Altersversorgung zu erzählen, als die letzte der beiden Angestellten sich zum Feierabend abmeldete.

„Ich schließe dann ab“, sagte die etwa fünfzigjährige hagere Frau.

„Ja, ja. Tun Sie das, Frau Möller“, sagte Solinger beiläufig und versuchte Moni unverdrossen den Unterschied zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und seinen Pensionsansprüchen zu erklären.

Moni beschlich in diesem Moment der Verdacht, dass sie sich gerade in eine relativ unglückliche Situation gebracht hatte. Allein hier hinten mit Herrn Solinger. Das Geschäft leer, die Straßen waren auch schon leer. Was, wenn Solinger auch nur ein gut getarnter Lagerarbeiter war?

Moni wurde etwas unruhig. Solinger konnte sie sich sicher vom Leib halten, wenn es darauf ankam, aber sie hatte überhaupt keine Lust sich schon wieder in einer solch unangenehmen Lage zu befinden.

„Wir sollten doch langsam zum Geschäftlichen kommen, soviel Zeit habe ich heute nicht.“

Sie sah Herrn Solinger an, dass er eine weitere Vertagung in Erwägung zog.

„Also, wenn wir uns jetzt gleich an die Arbeit machen, können wir das noch bequem schaffen“, fügte sie schnell hinzu.

Einen weiteren Termin mit Herrn Solinger konnte sie geschäftlich gesehen beim besten Willen nicht mehr rechtfertigen. Sie sah in Gedanken schon voraus, dass Herrn Solingers Bestellung nach all diesem Aufwand eher kläglich ausfallen würde.

„Gut, das muss ja auch mal sein. Ich beanspruche Ihre Zeit weiß Gott über Gebühr.“

So nett Solinger auch war, jetzt klappte Moni demonstrativ ihr Bestellbuch auf.

„Das was Sie da tragen, also das nehme ich in jedem Fall.“

„Sehr schön.“ Moni notierte die Bestellnummer. „Welche Größe?“

„Ja, ich weiß nicht, was meinen Sie?“

„Die meisten Kunden bestellen vier Größen“, erklärte Moni. Herr Solinger schloss sich dem allgemeinen Trend an.

„Was kann ich Ihnen noch anbieten?“

„Also, ich kann mir diese Kleider immer so schlecht vorstellen. Das Gelbe schien mir interessant zu sein.“

Moni hatte ihm die Kollektionsstücke, die sie im Wagen hatte, vor zwei Tagen gezeigt.

„Wenn ich das vielleicht noch einmal sehen könnte?“

„Aber gerne“, sagte Moni und ließ sich von Solinger die Tür aufschließen. Als sie vor ihrem Wagen stand, überlegte sie einen kurzen Moment lang, ob sie sich jetzt nicht lieber absetzen sollte. Aber wenn Herr Solinger unredliche Absichten gehabt hätte, dann hätte er es bereits versucht, als sie beide allein im Laden waren. Außerdem waren sie endlich bis zur Bestellung gekommen. Das war mit Sicherheit der ganz falsche Zeitpunkt, um in den Sack zu hauen.
„Ja, das meine ich“, sagte Solinger, als er die Tür wieder verschlossen hatte.

Moni hatte vorsorglich den ganzen Kleidersack mit in den Laden geschleppt. Wer wusste schon, was der Kerl als nächstes sehen wollte?

„Wenn Sie es mal anziehen könnten?“

„Wie bitte?“

„So kann ich die Kleider nicht richtig einschätzen. Ich habe da kein Auge für. Schließlich bin ich nicht vom Fach.“

Moni zögerte.

„Hier können Sie sich umziehen.“ Solinger hatte den Vorhang der Kabine aufgerissen.

Moni zögerte immer noch. Dann dachte sie ans Geschäft und betrat die Kabine. Hinter dem geschlossenen Vorhang wartete sie zwei Minuten. Sie hatte sich überlegt, dass Herr Solinger vielleicht versuchen könnte, sich plötzlich zu ihr zu gesellen. Womöglich, wenn er glaubte, dass sie gerade halb ausgezogen wäre. Aber nichts geschah.

„Sind Sie soweit?“ fragte er irgendwann ungeduldig.

Moni hatte noch nicht einmal angefangen sich um zuziehen.

„Ja, ja, einen Moment noch!“

Dann zog sie sich hektisch das gelbe Strandkleid an und präsentierte sich darin Herrn Solinger.

Der saß in einem Sessel neben dem Spiegel und bat sie ein wenig in dem Kleid auf und ab zu gehen, damit er sich rundherum einen Eindruck verschaffen könnte. Moni tat ihm widerwillig den Gefallen. Er sollte den Bogen besser nicht überspannen.

Herr Solinger bestellte das Kleid in der üblichen vierfachen Ausfertigung. Dann wollte er nach und nach den gesamten Rest der Kollektion sehen. Moni knurrte innerlich und machte sich an die Arbeit. Sie beeilte sich beim Umziehen und vergaß irgendwann den Vorhang ganz zu schließen. Im Spiegel sah sie auf einmal, wie Solinger durch den Spalt schielte und versuchte sie beim Umkleiden zu beobachten. Rasch zog sie den Vorhang ganz zu.

Von diesem Kleid bestellte Solinger sechs Exemplare. Außerdem stellte Moni fest, dass die Anzahl der Bestellungen mit der Länge, des auf und ab Flanierens vor ihm anstieg. Herr Solinger schien einen übermäßigen Gefallen daran zu finden Frauen beim Umziehen zu beobachten. Probehalber ließ Moni bei dem letzten Kleid den Vorhang mit Absicht ein wenig offen stehen. Und richtig, von dem letzten Kleid ihrer aktuellen Kollektion bestellte Solinger den größten Posten.

Moni fand das irgendwie unseriös auf diese Art und Weise ihrer Kleider, im wahrsten Sinne des Wortes, an den Mann zu bringen. Aber was waren Geschäfte schon anderes als Kaufen und Verkaufen. Und wenn sich Autoreifen mit nackten Frauen besser verkaufen ließen, wer sollte ihr dann einen Vorwurf machen, wenn sie ein bisschen was von sich sehen ließ? Wenn es doch den Umsatz steigerte?

Herr Solinger jedenfalls schien vollauf zufrieden zu sein. Und Monis Bestellbuch war besser gefüllt, als sie zunächst erwartet hatte. Das hatte zwar Zeit gekostet, aber so lief das Geschäftsleben eben, mal so, mal so.

Wenn sie natürlich vorher gewusst hätte, dass Herr Solinger nur Kleider kaufte, die sie ihm persönlich präsentiert hatte, dann hätte sie seinen Termin erstens von vornherein zum Feierabend hin gelegt und sich zweitens die drei Termine sparen können, die sie umsonst gekommen war und sich nur die Geschichten über seine verstorbene Frau angehört hatte.

Sie trank noch drei kleine Gläser Sherry mit Solinger, der nun nicht mehr von seiner Gattin und seiner Altersversorgung sprach, sondern sich endlich mit den Kleidern beschäftigte. So wurde es spät abends als sie sich endlich von ihm verabschiedete.

*

Aus dem Fall Solinger zog sie einige Konsequenzen. Als erstes beschaffte sie sich ein kleines Büchlein, in dem sie hinter jedem Kundennamen vermerkte, was er für Macken und für Vorlieben hatte und wie sie darauf am besten eingehen konnte. Bei Solinger vermerkte sie, dass sie möglichst viel Zeit und Ware mitnehmen sollte. Ein anderer Kunde wurde sehr zugänglich, wenn sie sich vor ihm bückte. Der Kerl ließ ewig etwas fallen. Zuerst hatte Moni sich darum nicht gekümmert, aber als sie einmal etwas für ihn aufgehoben hatte, hatte sich ihre Bestellmenge schlagartig verdoppelt.

So ging das in einem fort. Die Liste wurde länger und länger. Und Monis Eifer immer größer. Sie entwickelte einen unglaublichen Ehrgeiz, die perfekte Verkäuferin zu werden. Eine, die alle Tricks und Schlichen kannte und früher oder später bei jedem Kunden seinen wunden Punkt entdeckte. Verkaufen hatte mehr mit Psychologie zu tun, als es auf den ersten Blick aussah und Moni begann daran richtig Spaß zu haben.



Kapitel 7 - Heiße Luft


Als Moni am Freitag frühzeitig nach Hause kam, fand sie Volker in der Küche mit dem Abwasch beschäftigt. Sie lachte schallend, als sie ihren Pilotenkoffer auf den Küchenstuhl gewuchtet hatte. Volker ließ sich anstandslos auf die Wange küssen. Dann erledigte sie das Abtrocknen und Volker lud sie dafür zum Essen ein. Es hatte sich alles wieder eingerenkt. Sie war zufrieden.

Beim Nachtisch schlug sie Volker vor, jemanden für den Haushalt einzustellen. Schließlich hatten sie ein Gehalt mehr und Moni war nicht arbeiten gegangen, weil zu wenig Geld da war. Der Haushalt kam jetzt eindeutig zu kurz. Ehrlich gesagt hatte Moni auch keine Lust mehr, zusätzlich noch die Hausarbeiten zu erledigen. Lieber wollte sie von ihrem Gehalt eine Haushaltshilfe bezahlen. Sie konnte ihre Zeit besser nutzen, um in der Welt der Modegeschäfte herumtoben und ihre Kleider loszuschlagen.

Volker war absolut ihrer Meinung und hörte sich tatsächlich an, was sie für Anekdoten aus ihrem neuen Berufsleben zu erzählen hatte. Moni wurde erst jetzt klar, dass sie früher nie etwas zu erzählen hatte. Dann erzählte Volker von seinen Geschäften. Und Moni konnte kaum fassen, dass sie das interessierte. Sie fand es richtig spannend, ihre Erfahrungen zu vergleichen. Früher hatte Volker nie von der Arbeit erzählt. Oder hatte er? Doch. Ganz, ganz früher. Aber irgendwann hatte sie es nicht mehr hören wollen? Keine Ahnung, warum.

Der Abend verging wie im Flug. Moni vermisste nicht einmal den Sex, obwohl es der Sache natürlich den letzten Schliff verliehen hätte. Sie hatten sich gut amüsiert und waren beide müde von der anstrengenden Woche und dem Wein. Da hätte ein bisschen Sex bestimmt für Ausgleich gesorgt.

Am Samstag verbrachte Moni den ganzen Tag in der Innenstadt. Sie bekam zwar die Kleider umsonst, aber es fehlte ihr immer wieder an passenden Accessoires. Strümpfe, Schuhe, sie kaufte gleich drei Paar Schuhe und Schmuck. Früher war es immer so gewesen, dass sie in die Stadt ging um einzukaufen, aber einfach nichts Passendes fand. Jetzt wusste sie nicht nur, wo sie bestimmte Sachen in der richtigen Größe kriegte, schließlich war sie ja vom Fach, sondern traute sich auch, viel mehr Sachen auszuprobieren.

Spät abends kam Volker nach Hause. Sie hatte ihn noch gar nicht vermisst. Trotz Haushaltshilfe gab es genug für sie zu tun. Als er endlich neben ihr auf Sofa saß, tranken sie noch eine Flasche Wein zusammen und sahen etwas fern. Zu mehr hatte Moni gar keine Lust.

Für den Sonntag hatte Moni nichts auf der Liste. Sie fiel sofort in ein tiefes, schwarzes Loch. Nachdem sie sich daran gewöhnt hatte, den ganzen Tag über auf Achse zu sein, graute ihr vor der Aussicht, 12 Stunden auf dem Sofa vor dem Fernseher zu verbringen. Es war ihr auf einmal schleierhaft, wie sie das hatte jahrelang durchziehen können. Kekse waren auch nicht keine mehr im Haus. Sie hatte schlicht vergessen welche zu kaufen. Wenigstens war das ein Grund zur nächsten Tankstelle zu fahren.

Volker hatte sich kurz nach dem Frühstück verabschiedet. Er wollte in die Sauna. Erst als sie die Haustür ins Schloss fallen hörte, wurde ihr klar, dass sie ja auch in die Sauna gehen könnte. Es kam ihr zwar kurz in den Sinn, dass sie sich dort wohl nackt präsentieren müsste, aber wem es nicht gefiel, der konnte ja weggucken.

Sie schnappte sich ein paar Sachen und beeilte sich, Volker, wenn möglich noch vor dem Schwimmbad, einzuholen.

Die Eile wäre nicht nötig gewesen. Vor dem Friseur Frenzel erkannte sie Volker schon weitem. Er stand vor dem Laden und sah auf die Uhr. Offensichtlich wartete er auf jemanden. Also doch, dachte Moni und spürte, wie ein Brei aus Angst durch ihr die Därme schoss. Wie hatte sie die ganze Zeit über so dumm sein können? Wieso hatte sie ihm bloß getraut? Sie war doch eine Frau. Eigentlich hätte sie es besser wissen müssen!

Die Tür des Salons Frenzel ging auf. Erst kam der junge Friseur aus dem Laden. Volker würde sich wohl noch ein bisschen gedulden müssen. Tat er aber nicht. Zu Monis Erstaunen gab Volker dem Mann die Hand und sie gingen gemeinsam die Straße hinunter. Moni beschloss ihnen zu folgen. Vielleicht hatte er sich ja nur mit seinem Friseur befreundet. Ein schwacher, unglaubwürdiger Hoffnungsstrahl erfasste ihr Herz. Aber wer verabredete sich schon mit seinem Friseur, um mit ihm in die Sauna zu gehen?

Zwei Querstraßen weiter verschwanden die beiden Männer in einem Treppenaufgang. Von wegen Sauna! Moni beeilte sich, ihnen zu folgen. Wer wusste schon, wohin die beiden da verschwanden? Moni überflog die Klingeln. Wahrscheinlich so ein Hausfrauenpuff. Ihr Blick blieb an einer großen Marmorplatte hängen.

„Therme dry – Sauna and more.“

Moni schwitzte nicht nur von den paar Schritten, die sie eben gerannt war. Das ging ihr alles zu sehr durcheinander. Also doch eine Sauna! Aber warum ging Volker mit seinem Friseur und nicht mit ihr in die Sauna? Er hatte sie ja nicht einmal gefragt, ob sie Lust hätte ihn zu begleiten. Entsprechende Sachen hatte sie ja dabei. Sie beschloss den beiden zu folgen und endgültig zu klären, was hier lief.

Moni schob die Glastür auf. Drinnen war alles unbeschreiblich edel ausgestattet: Marmor an den Wänden, Chrom und Edelhölzer. Farne in großen Steintrögen, milde, punktuelle Halogenbeleuchtung, ein gewaltiger Tresen aus Edelstahl und Holz, gehalten durch eine Stahldrahtverspannung.

Das hatte alles nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem öffentlichen Schwimmbad. Am absurdesten wirkten jedoch die beiden Figuren hinter dem Tresen. Der eine, eine schmächtige Bohnenstange mit Zopf, der selbst für einen Bademeister recht dürftig bekleidet war. Der andere mit Schnauzbart und schwarzen Haaren hatte eine mit Nieten übersäte Lederweste über dem nackten, aber offenbar eingeölten Oberkörper. Die beiden starrten Moni an, als käme sie von einem anderen Stern.

Moni starrte wohl genauso zurück und zögerte einen Moment. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, gerade etwas falsch zu machen. Trotzdem trat sie beherzt an den Tresen und orderte einmal Sauna.

„Nur Männer!“ erklärte die Lederweste knapp.

„Ist heute Herrentag?“ wollte Moni wissen, die mit der Kurzinformation nichts so recht anfangen konnte.

„Ist heute Herrentag fragt es?“ kreischte die Bohnenstange in wenig männlicher Stimmlage.

Der Schnauzbart grinste breit. Und erklärte mit einem umso sonoreren Bass: „Ja genau, heute ist Herrentag. Von Montag bis Sonntag ist Herrentag.“

„Und wann kommen dann Frauen rein?“ fragte Moni, die ihre Gedanken im Moment nicht richtig auf die Reihe kriegte.

„Oh Gooot! Helga, es will dich foppen!“

Die Bohnenstange schien völlig hysterisch zu werden. Moni sah sich um. Mit Helga konnte, sofern sie noch alle Tassen im Schrank und alle Sinne beieinander hatte, nur der Kerl in Leder gemeint sein.
Der beugte sich mit verschränkten Armen etwas vor und sagte bestimmt, aber keineswegs unhöflich: „Frauen kommen hier gar nicht rein.“

„Verstehe“, sagte Moni entgegen ihrer Überzeugung. Ihre Intuition sagte ihr, dass jede weitere Frage nur noch verwirrendere Antworten provozieren würde. Sie drehte sich auf den Absätzen um.

„Vielen Dank auch“, rief sie höflich aber gedankenlos zurück und drängte sich durch die Tür.

„Manche schnallen es einfach nicht“, trompetete die Bohnenstange.

„Vielleicht war die nicht echt.“ sagte der andere.

„Ne Transe? Nie im Leben…“, erklärte die Bohnenstange kategorisch mit lächerlich langgezogenem ‚A‘.

Draussen sog Moni beherzt einige Züge Abgase ein und versuchte, sich zu sortieren. Das ginge wohl am besten zu Hause. Sie machte sich auf den Heimweg und begann nachzudenken.

*

Sie dachte noch immer über das Geschehene nach, als Volker gut gelaunt und sichtlich entspannt nach Hause kam. Zu einem Ergebnis war sie mit ihren Überlegungen noch nicht gekommen, aber dafür hatte sich bei ihr schlechte Laune eingestellt. Das entging auch Volker nicht, und er machte den verhängnisvollen Fehler zu fragen, was denn los sei. Kaum waren die Worte Zufall und Sauna gefallen, beendet Volker das Gespräch abrupt.

„Wir können da gerne drüber reden. Aber gib mir bitte erst einen Moment Zeit. Warte hier, bin gleich wieder da.“

Er verschwand in seinem Zimmer und tauchte einige Minuten später mit einer Flasche Whiskey in der Hand wieder auf.

„Irgendwie war klar, dass das alles nicht gut gehen würde. War mir schon klar, dass ich das nicht ewig verheimlichen konnte. Also: Sebastian und ich gehen da hin und wieder hin, um jemanden aufzureißen.“

„Aber da kommen doch nur Männer rein!“

„Eben!“

Moni war nicht blöd und hatte natürlich längst begriffen, worauf das alles hinauslief. Aber entweder wollte sie es nicht glauben, oder nicht hören, oder nicht wahrhaben, keiner wusste es.

„Ich glaube, ich verstehe das nicht“, sagte sie stur.

„Doch, das verstehst du schon“, sagte Volker und goss sich das Glas randvoll. „Du entschuldigst sicher, wenn ich mich nebenbei sinnlos betrinke?“

Moni nickte.

„Also. Tendenzen in dieser Richtung hatte ich irgendwie schon immer bemerkt, schon in der Schule. Aber da waren es immer nur vereinzelte Phasen. … Dachte ich zumindest. … Dann haben wir geheiratet und es war lange Zeit nichts. Als es wieder losging, dachte ich, es sei wieder nur eine Phase. Es ging jedoch nicht wieder weg. Dann habe ich Sebastian getroffen und der hat mir die Türen geöffnet und irgendwann war dann klar: Es ist keine Phase, alles andere waren Phasen, aber das ist die Realität. … Und seitdem ziehe ich regelmäßig mit Sebastian los.“

Monis Kehle war völlig ausgetrocknet. Sie fühlte wie die Schleimhaut im Hals rissig wurde, sie konnte jeden Moment innerlich verbluten, weil ihre eigene Schleimhaut aufplatzen und kleine harte Hautfetzen ihren Hals aufschlitzen würde.

„Du bist schwul!“ stellte Moni fest und die Worte schrappten an der ausgetrockneten Haut im Hals nur knapp vorbei, ohne ernsten Schaden zu verursachen.

Volker rührte ungerührt mit seinem Finger in dem vollen Whiskeyglas herum.

„Sag es!“ Das sollte nicht wie eine Drohung klingen, tat es aber. War wohl die trockene Kehle dran schuld.

„Ich bin schwul“, sagte er tonlos. „Prost.“

Er nahm einen guten Schluck und verzog das Gesicht.

Moni war weder in der Lage etwas zu sagen, noch etwas zu denken. Sie konnte nicht einmal denken: ‚Hilfe, mein Mann ist schwul?‘ Obwohl das sicherlich ein sinnvoller Gedanke gewesen wäre. Aber er kam ihr einfach nicht. Entweder rasten ihre Gedanken so schnell und so wirr durch ihren Schädel, dass sie einfach keinen richtig zu fassen kriegte, oder aber, so kam es ihr eigentlich vor: Sie hatte keine Gedanken.

„Tja, dein Mann ist schwul. So sieht’s aus. Ich bin schwul und du bist fett. Haben wir beide vorher nicht gewusst. So eine Ehe bringt wohl immer einige Überraschungen mit.“

Moni konnte immer noch nichts denken. Sie hatte nicht einmal die Beleidigung wirklich wahrgenommen. Irgendwo draußen im Universum schien etwas rosa zu rauschen.

Volker sah sie erwartungsvoll an. Seine Augen waren feuchter als eine gesunde Hundeschnauze. Sie wusste, dass es ihm leid tat. Was auch immer es war.

„Herrgott, sag endlich was! Sag wenigstens ‚schwule Sau‘ oder so was in der Art. Ich kann das ab. Sei nicht so … so scheiß sprachlos. … Schrei mich von mir aus an, aber schau mich nicht an wie ein angeschossener Dackel. Das tut weh!“

Moni schüttelte den Kopf. Sie hatten endlich wieder einen Gedanken gefasst: ‚Whiskey‘.

Sie bediente sich. Volker wurde mit jeder Minute nervöser. Whiskey brannte einem den Magen aus. Sie nahm noch einen Schluck und spülte den Kloß runter. Der Whiskey brachte Klarheit.

„Was zum Teufel soll ich damit anfangen? Was soll ich jetzt tun?“

Volker schien erleichtert, dass sie endlich etwas sagte. Wahrscheinlich war es ihm völlig egal, was sie sagte.

„Ich weiß es nicht. Es tut mir leid. Aber es ist nun einmal so.“

„Toll. Toll. ­– Toll!“

Moni knallte das Glas auf den Tisch.

Volker starrte in sein Glas und wünschte sich wahrscheinlich, dass alles im Leben so klar und goldig warm wie Whiskey wäre. Aber das war es nicht.

„Ich rackere mich ab und mache mir endlose Gedanken, wie ich meine Ehe retten kann. Und was kommt dabei raus? Mein Mann ist schwul. Wie lange hättest du mich strampeln lassen, bevor du mir endlich gesagt hättest, wie sinnlos dieses ganze Theater ist.“

„Ich weiß nicht. Ich weiß das alles ja selbst noch nicht so lange.“

„Großer Gott! Ich dachte du bist impotent und mache voll auf Rücksicht und du tanzt während dessen mehrere Tage die Woche in einem Männerpuff auf. … Ich fasse es nicht!“

„Das ist kein Puff!“

„Ach nein?“

„Das ist eher ein Club für Gleichgesinnte.“

„Schön, das beruhigt ungemein.“

Moni schenkte sich nach. Sie trank eindeutig schneller als Volker.

„Und dann versprichst du mir, dass du dich nicht scheiden lassen willst! Und, dass es keine andere Frau gäbe! Das war ein Witz, nicht wahr? Ein Witz!“

Bevor Volker etwas einwenden konnte fuhr sie fort.

„Nein, keine andere Frau. Eine ganze Horde durchgedrehter Männer, die sich in der Sauna versuchen gegenseitig zum Herzinfarkt zu treiben. Prost!“

„Komm schon, übertreib jetzt nicht. So ist das nun auch wieder nicht. Und scheiden lassen will ich mich wirklich nicht.“

„Was soll denn das für eine Ehe werden, wenn du null Interesse an mir hast?“

„Ich habe dich schließlich irgendwann mal geheiratet. Da habe ich dich ja wohl geliebt, oder? Und in meinem Vertrag stand nichts über Sex. Nur wegen des Sexes habe ich dich bestimmt nicht geheiratet.“

„Vorsicht! Sag jetzt nichts Falsches!“

„Ach Quatsch. Für ’ne Frau warst du toll im Bett.“

„Für ’ne Frau?!“

„Ich habe dich damals geliebt und tue das noch heute. Nur meine Sexualität hat sich verändert, sonst nichts.“

„Klingt wirklich gut. So… so… überzeugend. Du armer Hund bist leider von heute auf morgen schwul geworden. Und wie soll so eine Ehe mit dir praktisch aussehen?“

„So wie bisher. Es hat doch bislang ganz gut geklappt.“

„Aber jetzt weiß ich nun mal, dass du schwul bist!“

„Das ist ja eher ein Vorteil, weil jetzt kein solches Geheimnis mehr zwischen uns steht.“

„Pah! Was weiß ich, womit du als nächstes rausrückst? Womöglich bist du gar kein Vertreter, sondern arbeitest in Wirklichkeit als Geheimagent für den Vatikan.“

„Unsinn! Lass diesen Unsinn. Ich meine es ernst. Wir haben jetzt die Chance, unsere Ehe viel ehrlicher und solider gestalten.“

„Ha. Ha. Ha. Sehr komisch. Wie darf ich mir das vorstellen? Ehrlicher!? Mir wird übel, und das ist nicht der Whiskey.“

„Wo willst du hin?“ fragte Volker, als Moni aufgestanden war und nach ihrem Mantel suchte.

„Ich fahre ein bisschen betrunken Auto. Zu einer Freundin vielleicht.“

„Mach keinen Unsinn! Ich kann dich doch fahren!“

Moni starrte auf das halb geleerte Whiskeyglas in Volkers Hand und musste lachen.

„Na, dann nimmst du eben ein Taxi.“

„Lass mich bloß in Ruhe! Ich muss nachdenken, ja. Und dann reden wir weiter.“

Moni verließ die Wohnung. Sie hatte den Autoschlüssel dabei und benutzte ihn auch.

Frauke war noch auf. Sie war nicht böse über die Störung und hörte sich Monis kleines Problem in aller Ruhe an.



Kapitel 8 - Eine echte Freundin


„Natürlich, du kannst gerne eine Zeitlang bei uns wohnen, wenn du irgendwo unterkriechen möchtest“, erklärte Frauke, nachdem Moni ihr alles schon zum dritten Mal erzählt hatte und ganz nebenbei ihre sämtlichen Vorräte an Sherry vernichtet hatte.

„Danke, ich werde wohl wenigstens heute Nacht hier bleiben.“

Aus der einen Nacht wurden dann doch drei. Moni hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Bei Frauke fühlte sie sich im Moment ganz wohl. Sie wohnte in dem Gästezimmer, hatte weitestgehend ihre Ruhe. Hatte aber nach der Arbeit jemanden mit dem sie reden konnte.

„Willst du dich jetzt doch von ihm scheiden lassen?“ fragte Frauke eines Tages.

„Nein!“ antwortete Moni kategorisch. „Das will ich nicht. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll. Was würdest du tun?“

„Keine Ahnung!“

Angestrengt dachte Frauke nach.

„Ich glaube, wenn ich ihn lieben würde, wäre es mir eigentlich egal.“

„Egal? Mein Gott, ich meine, es wird nie wieder so ein richtiges Eheleben sein. Wie kann einem das egal sein?“

„Warum nicht?“

„Weil es nie wieder Sex geben wird. Darum nicht.“

„Aber den kannst du dir doch woanders holen. Und wenn Volker schon sagt, dass er da nichts dagegen hat, dann ist doch im Prinzip alles in Ordnung.“

„Welcher Mann hätte wohl Interesse an einer verheirateten Frau.“

„Typen, die fremden Frauen auf die Toilette folgen?“

„Danke, das war gemein! Auf solche Klappskallis kann ich auch gerne verzichten.“

„Im Ernst. Da wird sich schon was finden.“

„Ich glaube nicht, dass ich daran wirklich Interesse habe.“

„Aber es ist doch nur für den Sex.“

„Eben.“

„Dann musst du dich wohl von Volker trennen.“

„Das will ich aber nicht“, meckerte Moni, die sich irgendwie im Kreis drehte. „Dann verzichte ich lieber auf Sex.“

„Geh wenigstens zu ihm zurück und klär diese Geschichte. Vielleicht gibt ja noch eine andere Möglichkeit.“

„Das muss ich sowieso irgendwann tun.“

„Genau, also mach es bald! Damit du es hinter dir hast.“

Frauke hatte Recht. Moni konnte sich nicht ewig vor der Auseinandersetzung mit dem Unvermeidlichen drücken. Vielleicht war heute nicht der günstigste Tag dafür, aber Moni riss sich zusammen und fuhr nach Hause.

*

Volker schien sie nicht erwartet zu haben. Sebastian sowieso nicht. Und Moni hatte Sebastian schon gar nicht erwartet. Die beiden machten sich gerade fertig zum Ausgehen. Sie starrten Moni, die plötzlich mit großen Augen in der Tür stand, entgeistert an. Moni grüßte Sebastian nur sehr flüchtig und zog Volker am Arm widerspruchslos mit in die Küche.

„Das ist ja wohl das Letzte. Jetzt bringst du deine Stricher schon mit in unserer Wohnung!“

Volker schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

„Sebastian ist doch kein Stricher. Er ist nur ein guter Freund.“

„Dann eben deinen Kuppler“, setzte Moni gereizt nach.

„Jetzt reicht’s aber! Ich verstehe ja, dass du sauer bist. Aber Sebastian hat mit dieser ganzen Geschichte überhaupt nichts zu tun.“

„Ach nein? Er war es doch, der dich mit in diesen Puff geschleppt hat?“

„Sauna!“

„Puff!“

„Ach, was soll das. Auf dieser Ebene unterhalte ich mich erst gar nicht mit dir.“

Volker wollte gehen. Aber Moni hielt seinen Arm fest und riss ihn heftig zurück.

„Wage es nicht mich hier stehen zu lassen!“, drohte sie.

„Was sonst? Legst du den bösen Jungen sonst übers …“

Mit der Ohrfeige hatte er beim besten Willen nicht gerechnet. Volker starrte sie stumm an.

„Verdammt, da bist jetzt selbst dran schuld!“

„Weil ich lieber Männer mag?“ stotterte Volker immer noch geschockt. Keiner von beiden hatte in den 17 Jahren Ehe je die Hand gegen den anderen erhoben.

„Ja“, sagte Moni und begann unangekündigt zu weinen.

Volker versuchte sie zu trösten und in den Arm zu nehmen.

„Lass mich!“ schrie sie hysterisch.

Er zog sich wütend zurück. Die Küchentür flog krachend ins Schloss, und er war weg.

Moni stürmte hinterher. Im Wohnzimmer saß Sebastian und blätterte unbeteiligt in einer Marie Claire.

„Wo ist er hin?“ schrie Moni ihn an. Sebastian zeigte stumm mit dem Finger in Richtung Schlafzimmer.

„Freu dich bloß nicht zu früh!“ rief sie Sebastian vom Treppenabsatz zu. „So schnell gebe ich nicht auf.“

Sebastian zuckte mit den Achseln und blätterte seelenruhig weiter in der Zeitschrift herum.

Vom Anklopfen hielt Moni in diesem Stadium nichts. Volker saß zusammengesunken auf seinem Bett. Moni baute sich schwer atmend vor ihm auf und hätte ihn am liebsten mit den Fäusten bearbeitet. Es sah nicht so aus, als ob Volker zu wirklicher Gegenwehr fähig gewesen wäre.

„Es…“, Moni wollte das nicht sagen: „…tut mir leid.“

„Mir ja auch“, lenkte Volker geknickt ein.

„Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich bin nur noch wütend.“

„Vielleicht brauchst du noch etwas mehr Zeit, um dich an den Gedanken zu gewöhnen.“

„An den Gedanken gewöhnen. Den Gedanken, dass du …!“

Moni bemerkte, dass sie schon wieder begann, sich aufzuregen und versuchte sich zusammenzureißen: „Ja, ich denke schon. Wenn ich mich damit überhaupt irgendwann abfinden kann.“

„Besser wäre es ja.“

„Ich packe ein paar Sachen und verschwinde erst mal wieder.“

„Wann kommst du zurück?“

„Keine Ahnung.“

„Ich möchte aber gerne, dass du bald wieder nach Hause kommst. Es ist sehr einsam ohne dich.“

„Ach ja, nun dein Trost sitzt ja schon in meinem Sofa und liest meine Zeitschriften.“

„Oh, Moni …“

„Schon gut“, sagte Moni. Sie hatte auch keine Lust mehr weiter zu streiten.

Moni packte sich Sachen für zwei Wochen ein.

Sebastian und Volker waren unten im Wohnzimmer. Ihre Pläne für diesen Abend schienen geplatzt zu sein. Volker schien einen Abend zu Hause vorzuziehen.

„Glaub ja nicht, dass ich mich geschlagen gebe“, sagte Moni zu Sebastian, der sie mitleidslos ansah.

„Ist bestimmt nur ein taktischer Rückzug.“

„Du gehst gerade knapp an einer Ohrfeige entlang.“

„Hört auf euch anzugiften!“ fuhr Volker dazwischen.

„Wenn Madame aufhört rum zu zicken, an mir soll’s nicht liegen.“

„Ihr geht mir auf die Nerven, alle beide.“

Volker stand auf und verschwand wütend wieder in der Küche.

„Na toll, jetzt hast du ihn deprimiert.“

„Ich?“ rief Sebastian. „Wer hier wohl den Frustpoller spielt, möchte ich mal wissen?“

Was bildete sich dieser Kerl bloß ein?

„Blödmann!“ schimpfte Moni und nahm ihre Taschen auf.

„Dumme Ziege!“ konterte Sebastian sofort.

Moni lag noch etwas auf der Zunge, aber sie ließ es gut sein.

*

Frauke war überrascht, als sie Moni so schnell wieder sah. Insbesondere mit den beiden Koffern.

„Es hat keinen Zweck. Sobald ich ihn sehe, werde ich wütend und fange an mich mit ihm zu streiten. Und dann war auch noch dieser Sebastian da. Der ist doch letztlich schuld an der ganzen Geschichte.“

„Glaubst du das wirklich?“

Moni brauchte nicht lange nachzudenken.

„Nein, natürlich nicht. Aber wütend bin ich trotzdem.“

„Warum?“

„Keine Ahnung, ich bin völlig hilflos. Die glauben doch, dass ich als Frau einfach nichts wert bin.“

„Aha! Du meinst, weil du sexuell nicht mehr attraktiv bist, bist auch als Mensch nichts mehr wert, ja? Ziemlich sexistisch gedacht.“

„Das ist mir doch egal, wie das gedacht ist. Fakt ist: Mein Mann glaubt, dass ich nur noch ein Wesen zweiter Klasse bin. Das kann ich nicht ertragen.“

„Und deswegen verlässt er dich auch nicht einfach und quält sich ewig weiter mit dir rum.“

Moni schwieg.

„Warum gibst du den Männern nicht wenigstens eine Chance?“

„Du hast gut reden. Du hast abgenommen, du bist attraktiv, dein Mann ist normal und liebt dich.“

„Meinst du dein Mann ist schwul, weil du zu dick bist?“

„Nicht?“

Frauke musste lachen. Das war unpassend, aber ansteckend.

„Wäre es dann nicht leichter gewesen, sich eine dünnere Liebschaft anzulachen?“

„Ja, ja, du hast schon Recht. Es ist nicht meine Schuld.“

„Das ist wahr.“

„Aber wenn ich rechtzeitig abgenommen hätte, vielleicht …“

„Das ist kompletter Unsinn. Ich sage dir mal was zum Abnehmen. Mein Mann hat mich geheiratet, weil ich so war, wie ich war. Als ich abgenommen habe, verschwand auch eine Menge Interesse an mir. Der baggerte jetzt jedes kräftig gebaute Modell an, das er zu Gesicht bekommt. Hat er dich etwa noch nicht angebaggert?“

„Nein.“

„Nein?“

„Nicht richtig.“

„Na also! Ich war mit dem Fett an mir nicht zufrieden. Er schon. Und das sucht er sich jetzt woanders. Soll ich deshalb wieder zunehmen? Oder ihn verlassen?“

„Geht er denn fremd?“

„Selten. Aber das ist mir auch egal. Er wird auf alle Fälle bei mir bleiben. Zwar auch nicht gerade deshalb, weil ich sein erotischer Tagtraum bin, aber weil wir schon viel zu lange zusammen leben, um uns über solche Kleinigkeiten aufzuregen.“

„Wenn er nie mehr mit dir schlafen würde, wäre das doch wohl keine Kleinigkeit? Na, und hin und wieder wird dein Mann ja wohl mit dir …“

„Das schon, aber das ist nicht der Punkt. Auch wenn er es ganz lassen würde, änderte sich an meinen Gefühlen für ihn doch wohl nichts.“

„Meine Gefühle ändern sich aber.“

Moni konnte sich einfach nicht dem Gedanken abfinden, dass sie in Zukunft mit ihrem eigenen Mann befreundet sein würde.

„Wenn du möchtest, helfe ich dir. Wir könnten uns mit deinem Mann an einem neutralen Ort verabreden und du versuchst ihn einfach mal ausreden zu lassen. Vielleicht findet sich ja dann eine Lösung, wie es weitergehen soll.“

„Du kommst mit und hältst mich zurück, wenn ich ihm an die Gurgel gehe?“

„Klar.“

„Na gut, so wird’s gemacht.“

*

Frauke rief Volker an und machte gleich eine Verabredung für den kommenden Donnerstag aus. Eigentlich war Moni das zu früh. Volker bestand auch noch darauf, dass Sebastian mit von der Partie wäre. Moni gab widerwillig nach, weil sie zugeben musste, dass sie selbst ja auch nicht allein käme.

Als der Donnerstag nahte, war Moni nicht mehr so sicher, dass das alles eine gute Idee war. Aber Frauke ließ nicht locker. Den ganzen Donnerstagnachmittag verbrachten die beiden Frauen damit, sich zurecht zu machen. Das war eigentlich idiotisch, sich für ein Treffen mit zwei schwulen Männern so aufzumotzen. Aber erstens lenkte es Moni ab und zweitens fühlte sie sich in netten Klamotten einfach sicherer.

Frauke schien bald ebenso aufgeregt zu sein wie Moni. Obwohl ihr das alles doch eigentlich egal sein konnte. Punkt 19 Uhr standen die beiden Frauen aufgedonnert wie zwei Oscar-Gewinnerinnen auf dem Parkplatz vor dem portugiesischen Restaurant, in dem sie verabredet waren. Sie mussten sich tatsächlich von dem Küchenjungen durchs offene Fenster nachpfeifen lassen, während sie dort zehn Minuten standen. Schließlich beschlossen sie, drinnen zu warten, um keinen zweifelhaften Eindruck aufkommen zu lassen.

*

Volker und Sebastian ließen sie weitere zehn Minuten warten. In einem Restaurant zu sitzen und nicht wenigstens etwas bestellen zu können, machte hungrig.

Moni bestellte wortkarg einen Vorspeisenteller. Sie wollte sich jetzt keinesfalls einschränken. Wenn dieser dämliche Sebastian auch nur einen Ton zu ihrem Essverhalten verlauten liesse, gäbe es Hackfleisch zum Hauptgang.

Aber Sebastian übersah die Mengen, die sich bald auf ihrem Teller türmten beiläufig. Gott sei Dank schlug auch Frauke ordentlich zu. Moni dachte, dass Frauke nur einen Salat und etwas gedünsteten Fisch nehmen würde. Um ihre Figur zu halten. Aber ein paar Pfund mehr könnten ihr nicht schaden, meinte Frauke und bestellte die halbe Karte rauf und runter.

Das Gespräch ging anfangs schleppend voran. Erst nachdem alle das zweite Glas Weißwein hinter sich gelassen hatten, entspannte sich die Atmosphäre ein wenig. Aber wirklich wohl fühlte sich wohl keiner am Tisch.

„Also, wie geht es jetzt weiter?“ versuchte Moni, das Gespräch in die richtige Bahn zu lenken.

„Karamell-Pudding, unbedingt, sonst hätten wir gar nicht herkommen müssen“, sagte Sebastian.

Und das war das bisher erste Mal, dass Moni ihn nicht ganz so unsympathisch fand.

„Ich dachte eigentlich an etwas anderes“, setzte Moni nach.

„Diese eingeweichten Zimtkekse! Stimmt, die sind auch nicht schlecht.“

„Ich meine nicht das Essen“, wurde Moni deutlicher.

„Ach, Problemrunde, das wohl mehr dein Revier, Volker.“

„Ja genau.“

Volker faltete pedantisch eine Serviette zusammen.

„Ich möchte, dass du möglichst bald nach Hause kommst.“

„Und dann? Wie soll es weiter gehen?“

„Das werden wir sehen.“

„Ich habe aber keine Lust, immer irgendwelche fremden Kerle in meiner Wohnung anzutreffen“, sagte Moni und schaute ziemlich eindringlich zu Sebastian hinüber.

„Das liesse sich regeln.“

„Wenn der Herr sich auch damit abfinden kann?“ hakte Moni gleich nach.

„Ich denke schon. Sebastian?“

Sebastian reagierte nicht.

„Sebastian! Sie will nicht, dass du bei mir zu Hause herumhängst!“

„Schon klar, kein Problem“, wischte Sebastian die Frage beiseite.

„Hörst du überhaupt zu?“ fragte Volker.

„Ich glaube kaum“, sagte Frauke. Sie so saß als einzige so, dass sie sehen konnte, wo Sebastian die ganze Zeit hinstarrte.

Auch Volker drehte sich nun um.

„Den kenne ich aus der Therme.“

„Genau“, sagte Sebastian abwesend und machte ein Zeichen mit der Faust. „So eine Kanone.“

„Nichts für euch“, sagte Frauke, die den Küchenjungen identifizierte. „Der hat uns schon auf dem Parkplatz nachgepfiffen.“

„Ach was! Das waren die Küchendämpfe, die haben ihm das Hirn vernebelt.“

Moni saß fassungslos da. Auch Volker hatte nur noch Augen für diesen albernen Küchenjungen. Keiner schien sich sonderlich für ihre Probleme zu interessieren. Selbst Frauke hatte sie verlassen. Waren die alle verrückt geworden. Offensichtlich war sie die einzige, die noch bei Verstand war.

„Ich sage euch, der steht nicht auf Kerle“, beharrte Frauke.

„Pah, du hättest mal sehen sollen, wie er sich in Therme an den Ägypter rangemacht hat. Du weißt schon, den mit der misslungenen Dauerwelle, dem die Haare immer so am Kopf kleben.“

Volker nickte. Offensichtlich kannte er den Ägypter. Moni war der Hunger auf Karamell-Pudding vergangen. Hatte hier jemand ein Stöckchen zum Apportieren geworfen, dass alle Hunde lossprangen, wie von der Tarantel gestochen?

„Könntet ihr euch jetzt mal zusammenreißen.“

Volker wendete sich endlich vom Tresen ab.

„Entschuldigung, wo waren wir?“

„Soll das jetzt immer so laufen? Wir gehen essen und du glotzt jedem Kellner nach?“

„Nun mach mal einen Punkt, Mutter“, mischte sich Sebastian ein. „Das ist nicht irgendein Kellner. Das ist ein portugiesischer Musterknabe. Schau dir nur mal diese Figur an! Ich wette, er hat ganz wunderbare zarte Hände.“

„Wenn er sie nach dem Spülen eincremt, bestimmt“, flachste Frauke, die sich ja wohl bestens mit Sebastian zu verstehen schien.

„Außerdem ist es nur der Küchenjunge“, erklärte Frauke. „Ansonsten muss ich Sebastian aber Recht geben, das ist schon ein süßes Geschöpf.“

„Wenn ich gewusst hätte, dass hier solche Modelle die Steaks weich klopfen, wären wir hier schon öfter mal essen gegangen, nicht wahr?“

Volker verweigerte die Antwort.

„Na, los Volker, das war eine Frage“, zickte Moni. „Wärest du wegen eines Küchenjungen hier essen gegangen?“

Volker zuckte die Achseln.

„Der Italiener, wo wir sonst hingehen, hat gleich zwei von der Sorte zu bieten.“

„Ach, wer weiß, was die hier noch für Schätze in Ihrer Küche versteckt halten“, winkte Sebastian ab.

„Einen Ausweis vom Gesundheitsamt bräuchte man jetzt.“

„Frauke!“

Sebastian und Volker lachten.

„Dann könnten wir sogar die Fingernägel kontrollieren!“ freute sich Sebastian.

„Zeigt her eure Händchen, zeigt her eure…“, alberte Frauke ungerührt weiter und schwenkte dabei die eigenen Hände im Takt.

„Schwänzchen“, vollendete Volker hemmungslos albern.

Das war nicht komisch. Fand zumindest Moni. Auch, wenn sie mit dieser Einstellung ziemlich einsam dasaß. Sie war enttäuscht von Frauke. Sie sollte sich nicht mit den beiden amüsieren, sondern ihr gefälligst helfen, ihren Mann zurück zu kriegen.

„Der ist nie im Leben schwul“, setzte sie gleich wieder nach.

„Darauf gehe ich jede Wette ein.“

„Angenommen“, triumphierte Frauke.

„Um was?“

„Eine Flasche Champus in einem Lokal freier Wahl“, setzte Frauke fest.

„Das wird teuer.“

Volker nickte, als Sebastian ihn fragend ansah.

„Die Wette gilt.“

„Wie wollt ihr das denn rauskriegen?“ fragte Moni, die allmählich nur noch genervt war und sich ausgegrenzt fühlte.

„Kein Problem! Wer will jetzt Karamell-Pudding? Drei? Moni?“

„Fünf!“ antwortete sie mürrisch. Wenn sie schon keinen Spaß hatte, konnte sie sich wenigstens mit ihrem Lieblingspudding trösten.

„Alles klar“, sagte Sebastian und stand auf. Er sprach mit dem Küchenjungen am Tresen und kam zurück.

„Sieht schlecht für dich aus, er kommt gleich zu uns rüber.“

„Abwarten“, sagte Frauke grinsend.

Kurz darauf kamen fünfmal Karamell-Pudding und der Küchenjunge an ihren Tisch.

Moni musste feststellen, dass Sebastian bei dem fünften Pudding wohl an den jungen Portugiesen gedacht hatte und nicht etwa an sie.

Philipe stellte sich in gebrochenem Deutsch vor, und er hatte wirklich schöne zartgliedrige Finger. Mit denen er aber leider Monis zweiten Pudding verzehrte. Das machte ihn ihr keineswegs sympathisch. Gott sei Dank schien Volker keinen Hunger mehr zu haben und er schob ihr irgendwann kommentarlos seinen angefangenen Pudding rüber. Volker war halt ein Schatz. Jedenfalls, wenn er endlich damit aufhören könnte, diesen völlig unterbelichteten Küchenjungen anzuhimmeln.

„Ahh, trinken Tokaier, sehr gut Schnaps.“

Was daran amüsant war, blieb Moni eindeutig verschlossen. Auch die folgende Erzählung von Mutti, die arm zu Hause sitzt, und fünf Geschwister und in Deutschland Wetter schlecht, alles viel schön in Portugal. Blah, blah, blah.

Sicher war der Junge nett, aber warum mussten alle am Tisch so tun, als wenn sie gerade dem jungen James Dean begegnet wären. Offensichtlich schien Frauke jedoch die Wette zu gewinnen. Jedenfalls hatte Moni den Eindruck, dass sie von ihm die eindringlichsten Blicke zurückbekam. Nach dem vierten oder fünften Tokaier flüsterte er ihr sogar etwas ins Ohr. Damit war die Sache für Moni entschieden. Sie fand, die beiden Männer könnten jetzt aufhören, sich weiter lächerlich zu machen. Es war wirklich albern mit anzusehen, wie ihr ausgewachsener Mann einem vielleicht 20jährigen portugiesischen Küchenjungen Blicke zuwarf, als säße ihm Marilyn Monroe gegenüber und hätte ihr Feuerzeug verloren.

Frauke war unterdessen aufgestanden und schien noch etwas zu bestellen. Auch der junge Portugiese stand nun auf und verschwand endlich wieder in der Küche. Wenn Moni noch nüchtern genug war, könnten sie jetzt endlich mal über die wichtigen Sachen in ihrem Leben sprechen.

Frauke kam mit ihrer Jacke zurück an den Tisch.

„Wollen wir schon gehen?“

„Ich habe gerade gezahlt. Einen Schlüssel hast du, ja?“

„Was? Ich bin ohne Auto hier!“

„Ich denke, dein Mann kann dich fahren.“

„Nein, warte, ich komme mit.“

„Tust du nicht, meine Liebe.“

„Was?“

In diesem Moment sah Moni, dass der Küchenjunge seine Jacke ebenfalls angezogen hatte und am Ausgang wartete.

„Das kann nicht dein Ernst sein!“

„Oh doch, das ist mein völliger Ernst. Und Jungs, war ein schöner Abend mit euch. Wir sehen uns. Ich sage euch dann, wo wir den Champagner schlürfen!“

Damit verabschiedete sie sich und verschwand mitsamt dem Küchenjungen.

„Scheiße“, fluchte Sebastian belustigt. „Das kommt uns teuer.“

„Mal gewinnt man, mal verliert man“, stellte Volker trocken fest.

„Das deprimiert mich. Ich brauche jetzt dringend noch ein bisschen Aufmunterung. Stört euch doch nicht, wenn ich mich ins Chaps verziehe?“

„Keineswegs.“

„Wir sehen uns Samstag. … Madame!“

Moni nickte.

Sie blieb allein mit Volker zurück, und sie war nicht wütend.

„Ist das immer so, wenn ihr loszieht?“ fragte sie mit einem leicht resignierten Unterton.

„So und manchmal schlimmer.“

„Schlimmer, na darüber möchte ich gar nicht nachdenken.“

„Soll ich dich gleich zu Frauke bringen?“

„Ich könnte auch mit dir nach Hause fahren, oder?“

„Na klar!“

„Das andere wäre jetzt doch nur ein Umweg.“

„Gefiel dir der kleine Portugiese eigentlich auch?“ fragte Moni, obwohl seine penetranten Blicke da kaum einen Zweifel dran gelassen hatten.

„Fandest du ihn nicht niedlich?“

„Er war ganz süß, ein bisschen jung vielleicht, aber sonst fand ich, war da nicht viel dran“, gab Moni ehrlich zu.

„Eben. Genauso sehe ich das auch.“



Kapitel 9 - Unruhige Zeiten


Am nächsten Tag holte Moni ihre Koffer wieder ab. Frauke war nicht gerade fit. Erst im Morgengrauen war sie nach Hause gekommen.

„Hat sich das wenigstens gelohnt?“ wollte Moni wissen.

„Wie man’s nimmt. Es war zumindest mal eine Abwechslung.“

„Kommt das öfter vor?“

„Nun tu bloß nicht so heilig, wer von uns stand denn halb nackt auf dem Klo?“

„Ich war betrunken.“

„Das ist kein Grund. Ich kann mich nicht jedes Mal betrinken, wenn ich mich amüsieren will.“

„Ich weiß nicht, ob das die richtige Art ist, sich zu amüsieren.“

„Jetzt hör aber auf!“

„Schon gut, schon gut, du kannst ja machen, was du willst. — Triffst du ihn wieder?“

„Bist du verrückt?“

„Wieso?“

„Was soll denn so eine Frage? So einen trifft man doch nicht wieder, zumindest nicht mit Absicht.“

„Aha.“

„Jaaha. Wie ich sehe, hast du dich ja ansonsten wieder eingekriegt. Wenn ich ehrlich bin, finde ich Volker sehr nett, wäre wirklich schade gewesen, ihn wegen einer solchen Kleinigkeit sausen zu lassen.“

„Kleinigkeit?“

„Reg dich bloß nicht wieder auf. Übrigens finde ich Sebastian auch sympathisch. Du kannst den beiden ausrichten, dass ich am Montag Zeit hätte, meinen Gewinn einzukassieren. Wenn ihnen das passt, treffen wir uns alle im Chez Louis.“

„Ein französisches Restaurant?“

„Nicht ganz. Aber ich denke, du kriegst dort auch etwas zu essen.“

„Ich weiß wirklich nicht, ob ich nächste Woche schon wieder so einen Abend ertragen kann.“

„Du musst ja nicht mitkommen!“

„Was?“

„Beruhige dich, das war ein Scherz“, rief Frauke sofort und nahm sie plötzlich in den Arm. „Natürlich kommst du mit, sonst gehe ich auch nicht.“

„Lass mich aber nicht wieder so hängen!“

„Ich weiß nicht, was du willst. Hat doch bestens geklappt! Du bist wieder bei deinem Mann, und ich freue mich für dich. Also stell dich nicht so an und hab ein bisschen Spaß!“

„Ein bisschen Spaß, wenn mein Mann mit dem Kellner flirtet?“

„Es war nur der Küchenjunge, also halb so schlimm.“
Volker und Sebastian nahmen die Verabredung an. Früher waren sie nie viel ausgegangen. Das schien sich jetzt nachhaltig zu ändern. Sebastian ließ sich nicht sehen, obwohl das Moni inzwischen auch egal gewesen wäre. Man gewöhnte sich schnell an das Unvermeidliche. Und anwesend war er irgendwie immer. Sebastian hier, Sebastian da. Volker schien kaum noch ein anderes Thema zu kennen.

„Ich muss zum Friseur“, erklärte Moni am Donnerstag, als Volker sie anrief, um sich mit ihr in der Stadt zu verabreden. Er wollte sich Schuhe kaufen. Seit neuestem hatte Volker einen Schuhfimmel. Er hatte in den letzten 6 Wochen bestimmt 5 Paar Schuhe gekauft. Und es sah nicht so aus, als wenn er endlich mal genug hatte.

„Geh doch zu Sebastian!“

„Nein.“

„Warum denn nicht?“

„Ich lasse mir nicht von dem Liebhaber meines Mannes die Haare ruinieren.“

„Ohh Moni, wie oft soll ich es dir noch sagen. Ich habe nichts mit Sebastian. Er ist wirklich nur ein Freund.“

„Das weiß ich ja“, lenkte Moni ein.

„Also, geh zu ihm. Er macht das gut und umsonst.“

„Die paar Kröten für einen vernünftigen Haarschnitt habe ich gerade noch.“

„Wie du willst. Also, wir sehen uns heute Abend.“

Moni legte auf und überlegte. Im Salon Frenzel wollte die Frau sie nicht mehr dran nehmen, zu spät. Sebastian grinste sie breit an und zeigte auf seinen leeren Stuhl. Moni zögerte einen Augenblick, dann setzte sie sich trotzig.

„Mach keinen Unsinn! Du musst am Montag mit mir ausgehen. Wenn du mich verunstaltest, verderbe ich dir den Abend und lasse es so aussehen, als ob wir beide verheiratet wären.“

„Uuh!“ Sebastian verzog das Gesicht, als hätte ihm das kalte Metall einer Klinge das Herz durchstoßen. „Das würdest du nicht tun.“

„Darauf kannst du Gift nehmen.“

„Du gemeines Stück! Na, dann muss ich mir wohl Mühe geben. Schließlich geht es um mein Leben.“

Moni sah das breite Grinsen im Spiegel. Dann beugte sich Sebastian griff in ihre Haare und sagte: „Aber im Ernst Darling, wie soll’s denn werden.“

„Nenn mich nicht Darling!“

„Liebling? Herzchen? Schätzchen? Oder vielleicht Schnuckelchen?“

Moni sah wütend in den Spiegel.

„Frau Moni?“ fragte Sebastian flüsternd.

„Nenn mich wie du willst, aber schneid mir vernünftig die Haare.“

„Gut, Darling, also wie möchtest du’s?“

„Schwarz?“

„Dein Haar ist schwarz, Darling.“

„Der Ansatz.“

Fachmännisch begutachtete Sebastian den Ansatz.

„Frühestens in zwei Wochen.“

„Ich weiß nicht, mach, dass ich gut aussehe.“

„Du siehst gut aus, Darling.“

Der Kerl war verrückt.

„Schneid mir jetzt endlich die Haare.“

„Also kürzer?“

„Hrrm.“ Moni knurrte wie Terrier kurz vor dem Sprung. Sie hätte diese Labertasche am liebsten gewürgt.

„Schon gut, schon gut“, er hatte heute eine deutlich schwule Tonlage aufgelegt. Sonst sprach er eigentlich eher normal. „Darf’s ein bisschen mehr Diva sein?“

„Klingt gut.“

„Oder wollen wir mehr den Vamp raus lassen?“

„Diva gefällt mir gut!“

„Sonst hätten wir noch Modell Kuschelbär und diese Woche im Angebot, weil auslaufend, Variante Zottelliese.“

„Mach mir die Diva.“

„Darling, ich bitte dich, … doch nicht hier.“

Sebastian schlug sich mit gespieltem Entsetzen die Hand an die Wange.

Moni musste lachen. Er war verrückt, aber er war auch witzig.

„Also die Diva, einen kleinen Moment.“

Sebastian griff nach der Schere und schnitt unsichtbar und mit elegantem Schwung zwei Strähnen weg. „Voilá! Tatatataaa. Tusch, tusch, tusch.“

„Also gut, dann nehme ich doch lieber die Zottelliese.“

„Das ist nicht dein Ernst, Darling.“

Sebastian schien ernsthaft entsetzt.

„Nein? Dann fang jetzt aber auch an.“

Als er endlich fertig war, und das hatte weiß Gott länger gedauert, als Moni jemals bei einem Friseur gesessen hatte, war das Ergebnis durchaus befriedigend. Fairerweise musst Moni zugeben, dass es doch eher umwerfend war. Es war genau, das, was sie sich unter Diva und halblangen schwarzen Haaren vorgestellt hatte. Genau wie auf dem Foto. Sie konnte sich den Unterschied zu vorher nicht erklären, aber er war deutlich sichtbar. Das Haar saß einfach besser.

„Was schulde ich dir?“ fragte Moni.

„Nichts. Wenn ich damit deine Laune für Montag gerettet habe, dann war’s das allemal wert.“

Jetzt sprach er wieder ganz normal.

„Kriegst du keinen Ärger mit deinem Chef?“

„Isch glaube nischt, die Franzosen haben so ein weisches Herz, Cherie.“

„Na, das musst du wissen, vielen Dank. Wir sehen uns Montag.“

„Isch freu misch. Und meine Empfehlung an den Herrn Gemahl.“ Moni war schon fast aus der Tür, als sie überlegte, doch noch einmal zurück zu gehen. Ein paar Schläge konnten Sebastian sicher nicht schaden.

*

„Ich war doch bei Sebastian und soll dich grüßen. Haare schneiden kann er, das muss ich zugeben“, erzählte Moni ihrem Gatten, als er nach Hause kam.

„Ja, sieht gut aus“, bestätigte Volker.

„Und er hat kein Geld haben wollen. Wenn er bei dir auch kein Geld nimmt, dann wird er bald mit seinem Chef Ärger kriegen.“

Volker lachte.

„Wohl kaum. Er ist ja nicht angestellt.“

„Wie, nicht angestellt?“

„Sebastian Frenzel! Das ist sein Laden und er hat noch zwei Filialen in der Stadt.“

„Ohh! … Und ich hatte angenommen, du hältst ihn aus.“

„Aber ich habe dir doch immer gesagt, dass er kein Stricher oder so etwas ist. Er ist wirklich nur ein Freund, den ich beim Squash spielen kennengelernt habe. Alles andere ist purer Zufall.“

„Ich werde mich aber nicht bei ihm entschuldigen!“

„Wofür?“

„Na, weil ich dachte…“

„Oh, Darling, Sebastian hat ein dickes Fell. Falls er wirklich beleidigt wäre, sähe das ganz anders aus. Und wenn man anders ist als andere, sollte man als erstes lernen, etwas einstecken zu können.“

Das konnte Moni nur aus eigener Erfahrung bestätigen. Allmählich kam ihr der Verdacht, das schwul sein und dick sein eine Menge Parallelen haben könnte.

„Nennst du mich jetzt auch schon Darling? Ich habe gerade erfolglos versucht, Sebastian das abzugewöhnen.“

„Tut mir leid. Er nennt jeden, den er mag, Darling. Das hat wohl sprachlich etwas abgefärbt.“

„Ist ja nicht so schlimm, solange du es ernst meinst.“

„Aber natürlich meine ich das ernst“, sagte Volker mit erheiterter Überschwänglichkeit, die sich Moni nicht erklären konnte. Dann nahm er sie sogar in den Arm und küsste sie. Natürlich nur auf die Stirn.

„Wie kannst du daran zweifeln, dass ich das ernst meine?“

„Brich dir kein Bein!“ ermahnte ihn Moni. „Vergiss nicht, du bist schwul.“

Erst schaute Volker indigniert, dann lachte er und drückte sie noch fester an sich und küsste sie sogar flüchtig auf Mund.

„Das hatte ich einen Moment lang fast vergessen. Aber nett, dass du mich daran erinnerst.“

Seit sie wieder zu Hause wohnte, fühlte sich Moni tatsächlich verbundener mit Volker als in den letzten paar Jahren. Vielleicht nicht so verbunden, wie in den ersten Jahren, schon gar nicht auf dieselbe Art, aber es war besser als noch im letzten Jahr zum Beispiel. Vielleicht hatte Volker ja Recht. Vielleicht war das alles gar nicht weiter schlimm und vielleicht brachte auch die neue Ehrlichkeit das Gefühl füreinander wieder.



Kapitel 10 - Die Löwengrube


Am Montag war die Überraschung perfekt. Sebastian hatte sie bei der Wahl ihrer Kleider beraten. Moni hatte das selbst gewollt. Sie wusste nicht, was sie da geritten hatte. Aber sie vermutete: Wenn er ihre Haare so gut stylen konnte, dann wusste er auch, was sie am besten dazu tragen konnte. Deshalb eilte Sebastian zwei Stunden vor dem Aufbruch zwischen Volkers und ihrem Zimmer hin und her und bewertete das Outfit der beiden. Auch Volker schien sich voll und ganz auf Sebastians Geschmack zu verlassen. Sie würden zu spät kommen, das war jetzt schon klar. Moni saß neben Sebastian auf dem Sofa und begutachtete über seine Schulter hinweg die Frisurenseiten in der neuen Elle. Sie warteten auf Volker.

Der kam noch einmal zu ihnen herunter und wollte als allerletztes die Schuhfrage geklärt wissen. Die italienischen Slipper siegten, die unechten Krokoschuhe befanden Moni und Sebastian einmütig für unchic. Volker sah geknickt drein. Er hatte auf Kroko gesetzt.

Moni sah ihrem Mann nach, der still fluchend die Treppe hinauf hetzte. Ein eigenwilliges Gefühl beschlich sie. Es war ein mütterliches, besorgtes Gefühl. Aber das dort war nicht ihr Sohn, der sich auf ein erstes Rendezvous vorbereitete. Das da oben war ihr Mann, der versuchte sich in eine männliche Variante der Venusfalle zu verwandeln.

„Tja, Darling, du musst dich wohl damit abfinden, dass du nicht mehr die letzte bist, die das Bad verlässt“, sagte Sebastian ohne von der Zeitschrift aufzuschauen.

„Ja, es ist eigenwillig, ich liebe ihn aber immer noch.“

„Er dich auch, Darling. Ich muss es wissen. Er ist mir damit zwei Jahre lang auf die Nerven gegangen.“

Leicht verbittert schaute Moni Sebastian an. Was bildete sich dieser Friseur ein?

„Oh, oh. Nicht, dass ich ihn nicht verstehen würde. Aber, wenn dir einer zwei Jahre lang die Ohren volljammert, dass er nicht schwul sein könne, weil er doch seine Frau liebe, dann ist das wirklich anstrengend. Besonders dramatisch, wenn wir gerade nach einem erfolgreichen Nachmittag aus der Sauna kamen. Dann, Darling, könntest du das auch nicht mehr hören. Ganz im Ernst, niemand ist erleichterter als ich, dass er endlich aufgeflogen ist. Seitdem ist er wie ausgewechselt. Viel länger hätte ich das auch nicht ausgehalten. Ich weiß gar nicht, wie er das überhaupt aushalten konnte.“

Sebastian war eine harte Nuss, das wurde Moni in diesem Moment klar. Aber er war eine ehrliche und faire, harte Nuss. Das glaubte sie zumindest. Und sie wusste plötzlich, dass wenn einer die Frage, die sie quälte, wirklich beantworten würde, dann war er das.

„Sag mal Sebastian: Ist mein Mann eigentlich wirklich schwul?“

Sebastian sah sie irritiert an.

„100%“, sagte er dann ohne jeden Akzent. „Das ist vielleicht schwer zu glauben. Aber ich weiß es ganz sicher.“

„Und … und das schwul sein ist alles. Ich meine, das ist es, womit wir das Problem haben?“

„Hatten, Darling, hatten. Jetzt hast nur noch du es. Er hat längst begriffen, wie es läuft. Nur für dich ist das noch neu. Du hast die Wahl, du kannst mit ihm leben oder ohne ihn. Letzteres würde ihm wehtun, aber es würde nichts ändern. Eins aber ist sicher. Er ist schwul.“

„Danke.“

„Wofür?“ fragte Sebastian.

„Ich hätte es bestimmt nie geglaubt. Nicht so richtig jedenfalls. Ich konnte ihm das einfach nicht abnehmen. Immerhin haben wir hunderte Male Sex gehabt. Das klingt einfach nicht überzeugend, wenn dir so jemand plötzlich sagt, dass er schwul ist. Jedenfalls nicht, wenn du selbst eine Frau bist.“

„Ah, ich verstehe. Und mir glaubst du’s?“

„Ja!“

„Warum?“

„Du bist schwul. Da klingt das einfach überzeugend. Ich glaube, ich habe es jetzt erst richtig kapiert.“

„Klingt gut.“

„Fertig“, rief Volker von der Treppe dazwischen. „Wir können. Wie sehe ich aus?“

„Phantastisch“, lobte Moni.

Sebastian sah auf die Uhr. „Was lange währt, wird endlich gut. Nun lasst uns gehen, ja?“

Die eigentliche Überraschung des Abends war natürlich das Chez Louis. Moni ging eingehakt zwischen Sebastian und Volker durch die Tür.

„Oh, mein Goott“, stöhnte Sebastian nach dem ersten Blick. „Das sind ja nur Frauen!“

„Beiß die Zähne zusammen!“ fordert Volker ihn unsentimental auf. „Womöglich hast du der Hälfte davon schon den Kopf gekrault.“

„Geschmackloser, grober Kerl.“

„Hört auf zu streiten, da vorn sitzt Frauke“, fuhr Moni energisch dazwischen.

Moni wollte einen Schritt nach vorn machen, wurde aber unter beiden Armen festgehalten. Sebastian und Volker waren einfach stehen geblieben und schauten sie an.

„Es will sich in unsere Beziehung einmischen, Volker tu doch was.“

„Was soll ich machen, es ist meine Frau.“

Moni lachte. „Benehmt euch anständig und führt mich jetzt charmant an meinen Platz. Dann könnt ihr zicken so viel ihr wollt.“

Das schien die Sprache zu sein, die die beiden verstanden. Sie wurden sofort lammfromm. Allmählich wurde Moni klar, wie ihre Ehe in den nächsten 100 Jahren ablaufen würde.

„Faires Angebot“, sagte Volker.

„Kompromissling“, zischte Sebastian lachend.

Frauke war nicht allein gekommen. Sie hatte Frank mitgebracht.

„Das ist mein Mann, Frank.“

Sebastian griff nach der Hand.

„Küss die Hand, Madame.“

Er konnte wohl jeden Dialekt zücken wie eine Scheckkarte. Bedauerlicherweise machte Sebastian aber Ernst mit dem Handkuss und Moni spürte, wie ein Schamgefühl sich in ihr breit machen wollte. Wahrscheinlich hatte sich Volker auch mal so gefühlt, als er sie vorstellen musste. Frank nahm das aber sehr gelassen und heiter. Wahrscheinlich hatte Frauke ihn vorgewarnt.

„Witziger Laden hier. Das konnte ich mir keinesfalls entgehen lassen, als ich davon gehört habe.“

„Viel Feind, viel Ehr“, sagte Sebastian nach kurzen Rundumblick, in einer typischen nasalen Tonlage, die er den ganzen Abend beibehielt.

„Eine gute Wahl, Darling, wenn man den Verlierer auf dem Boden zerschmettert sehen möchte. Hier dürften die Chancen für eine Revanche wohl gegen Null tendieren.“

„Ich weiß nicht“, erwidert Frauke kokett. „Gleiches Spiel, andere Karten.“

„Um dem Drumrumreden gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, ich weiß von der Wette und auch von dem Ausgang“, erklärte Frank ohne jede Dramatik. Frauke beobachtete Monis Reaktion. Sie war geschockt. Frauke lächelte nur.

„Das ist gut. Mit allem Respekt, Sir, aber Ihre Frau ist ein echtes Luder, sie hat mich so schnell aus dem Rennen geworfen, dass ich nicht mal ‚papp‘ sagen konnte. Eigentlich dürfte sie ohne Leine und Maulkorb gar nicht auf die Öffentlichkeit losgelassen werden.“

„Die Leine ist lang und unsichtbar.“

„Ach, ich weiß nicht. Passen Sie bloß auf sie auf!“

„Sie läuft mir schon nicht weg.“

„Davor hätte ich auch gar keine Angst, aber sie verdirbt ja unsereins den ganzen Spaß.“

Moni war noch viel zu durcheinander, um sich dieser Art Fröhlichkeit hinzugeben. Niemals hätte sie erwartet, dass Frauke ihrem Mann von diesem Küchenjungen erzählte.

„So, jetzt wollen wir uns aber auch amüsieren. Was ist das hier überhaupt? Der Jahres-Weltkongress der Tuppawaren-Vertreterinnen? Warum sind hier fast keine Männer? So was gibt’s doch gar nicht. … Und hier müssen wir den kostbaren Champagner verschütten. … Na, ist vielleicht das Beste, was wir machen können.“

„Ich find’s großartig“, behauptete Frank.

„Ober“, rief Sebastian ziellos in die hysterische, kochende Menge Frauen um ihn herum. „Ach du großer Gott! Nein. Volker! Das glaubst du nicht. Halt dich fest.“

Sebastian hatte nach Volkers Arm gegriffen.

„Siehst du, was da auf uns zukommt. Ich träume wohl.“

Der Kellner, der an den Tisch trat, trug nichts als eine alberne, schwarze Fliege als Oberbekleidung. Sein Oberkörper konnte nicht ganz mit dem von Arnold Schwarzenegger mithalten, aber man nahm ihm ab, dass er in diesem Outfit auch bei minus dreißig Grad nicht frieren würde.

„Guten Abend, was darf’s sein?“

„Das klingt ja beinahe verboten.“

‚Halt einmal den Rand‘, dacht Moni. Das gab doch gleich eine Schlägerei, wenn er jetzt die Bedienung anmachte.

„Es ist alles erlaubt, was auf der Karte steht.“

„Ouuh, und was nicht auf der Karte steht?“

„Das ist verboten.“

„Na, da bestellen wir doch gern mal Champagner. Zwei Flaschen, aber gut gekühlt.“

„Kommt sofort.“

Als der Kellner wieder durch die Menge abschob, stellte Moni fest, dass man offenbar vergessen hatte, die Hosen hinten zuzunähen. Außerdem steckte ein Geldschein in dem Beinausschnitt seiner Unterhose.
„Darling, das Publikum ist grauenerregend, aber die Bedienung erste Sahne.“

„Ich wusste, dass euch das gefällt“, erklärte Frauke.

„Was sagst du Moni, wird das ein Abend?“

„Na, ich weiß nicht.“

„Die schlechte Laune lassen wir dir gleich vom Champagner wegblasen.“

Es war eindeutig ein anderer Kellner, der den Champagner brachte. Gleiches Outfit, ähnlich durchtrainierter Körper, aber blonde Haare.

„Thorsten, was machst du denn hier?“

„Oh, hallo Sebastian. Ihr seid’s. Ich verdiene hier meine Kohlen.“

„Das ist Thorsten, von dem habe ich dir erzählt“, sagte Sebastian und stieß ihn heftig in die Rippen.

„Nett“, sagte Volker. War das alles, was er herausbrachte. Moni stellte verwirrt fest, dass sie ihn beinahe aufgefordert hätte, endlich auch mal den Mund aufzumachen, sonst würde er nie Erfolg haben. Schließlich hatte er sich über zwei Stunden zurechtgemacht.

„Was ist denn mit der anderen Grazie? Die uns eben bedient hat.“

„Oh, wenn sich hier Schwule rein verirren, dann sind die Tische immer für mich. Die anderen machen nur in Frauen.“

„Wir sind ein gemischter Tisch!“ stellte Frank grinsend klar.

„Genau!“ pflichtete Sebastian ihm bei. „Wir wollen auch eine gemischte Bedienung. Los Moni, sag was!“

„Ich will Kühe!“ sagte Moni. Das war ihr einfach so in den Kopf geschossen. Das Geschrei an ihrem Tisch ging in dem Gejohle der Frauen an den Tischen rundherum fast unter.

„Ich werde sehen, was ich machen kann.“

„Hey, warte mal“, sagte Volker und schob ihm einen Geldschein in die Hose. Moni glaubte nicht richtig zu sehen, konnte aber nur noch lachen. Das alles war schon irgendwie witzig.

Die Korken knallten und der Champagner begann zu fließen. Auch das Licht floss. Aber es floss ab. Richtung Bühne. Genau, da war eine Bühne in der Mitte des Raumes. Auf der begann in diesem Moment ein amerikanischer Cop, mehr oder weniger erotisch sich seiner Uniform zu entledigen.

„Gott, ich liebe Uniformen!“ kreischte Sebastian fast. „Das erinnert mich an den Tag, als ich wusste, dass ich schwul werden würde!“

Frauke lachte laut.

„Was war das für ein Tag?“

„Oh, eigentlich ein ganz normaler Tag. Nur eben, dass mir klar wurde, dass ich schwul war. Kinder, stellt euch diesen Schock vor. Ich war zarte 15 und da kommt doch dieser schmucke Postbote in seiner Uniform mit dem Einschreiben daher und verhört mich in diesem unverschämt rotzigen Tonfall: ‚Deine Eltern nicht da?‘, ‚Nein‘ sag ich ganz eingeschüchtert, und da legt der erst richtig los: ‚Hmm, macht nichts. Da! Unterschreib!‘ faucht er mich an. Und dann, man fasst es nicht, lässt mich dieser brutale Kerl da einfach mit meinem Ständer stehen. Ich sage euch, so was prägt einen Mann fürs Leben.“

Frauke wollte sich gar nicht wieder beruhigen vor Lachen.

„Ich wünschte, wir hätten eine Postbotin gehabt damals, wer weiß, was aus mir geworden wäre!“ sinnierte Frank.

„Wahrscheinlich Marineattaché in Westindien.“

Langsam entspannte sich Moni.

„Hey, da kommt der Bauarbeiter.“

„Was?“

„Das ist meine Lieblingsnummer“, rief Frauke.

„Schau, schau, Madame kennt sich aus“, lästerte Sebastian sofort.

„Ich habe ja schließlich auch weibliche Kunden, denen ich nach dem Geschäftsessen etwas bieten muss“, verteidigte sich Frauke.

„Ay jouuw!“ veralberte sie Sebastian.

„Gott, sieh dir bloß diese Frauen an. Die rasten ja völlig aus.“

Um die Bühne herum war tatsächlich die Hölle los. Die Bude war stark verräuchert und objektiv gesehen schwitzten und kreischten hier an die hundertfünfzig Frauen völlig orientierungslos herum.

„Also, ich möchte jetzt nicht vor dieser Meute stehen“, sagte Volker

War das eine erste Bemerkung gegen Frauen an sich? Moni beschloss nicht weiter über Volker nachzudenken. Der Bauarbeiter war für’s erste spannender. Als er den Helm abgenommen hatte, fielen lange schwarz gelockte Haare über seine Schultern. Er hatte himmlisch, pardon himmelblaue Augen und tanzte gut, na ja, er bewegte halt seine Hüften wie ein junger Gott. Und wie sich dieser muskulöse, eingeölte Körper wohl anfühlen musste? Darüber beschloss Moni jetzt nicht weiter nachzudenken. Aber bestimmt sehr geil, da war sie sicher.

„Du hättest da oben höchstens Flugobst zu fürchten.“

„Danke für das Kompliment“, sagte Volker.

Moni nahm noch einen Schluck Champagner, die Luft war hier so trocken. Oder kam das vom Kreischen. Nein Moni war sicher, dass sie nicht gekreischt hatte. Das musste die Luft sein.

Als die Show zu Ende war bestellte Frank die dritte Flasche Champus. Moni musste auf die Toilette und Frauke ging sicherheitshalber mit. Vor dem Klo war eine lange Schlange.

„Komm, wir gehen aufs Männerklo.“

„Was?“

„Ich muss. Und hier sind so gut wie keine Männer, also ist es bestimmt frei.“

„Du spinnst“, sagte Moni.

„Wir sind zu zweit. Was soll passieren? Außerdem, wer weiß wen wir treffen?“

Moni kicherte wie ein Schulmädchen, als sie in den Vorraum vom Herrenklo einbogen.

„Siehst du, alles frei!“

Die Türen zu den einzigen beiden Kabinen flogen zu und Frauke rief durch die Trennwand: „Gefiel dir wohl, der Bauarbeiter, was?“

„Wie kommst du darauf.“

„So, wie du gekreischt hast?“

„Ich habe nicht gekreischt.“

„Ach nein?“

„Wirklich nicht.“

„Sah aber verdammt so aus.“

„Ich weiß doch, ob ich kreische oder nicht.“

„So, wie dein Mund aufgerissen war, hätte ich schwören können, dass du gekreischt hättest.“

„Ich sag’s dir, ich habe nicht gekreischt.“

„Du hast gekreischt!“ Das war nicht Fraukes Stimme und sie kam auch nicht aus der Nachbarkabine. „Wir haben alle gekreischt. Und wenn der Kerl nicht bei dir in der Kabine hockt, dann mach zu, wir müssen auch mal. Wenn der Kerl da aber drin ist, mach lieber gleich freiwillig auf.“

Draußen lachten einige Frauen.

„Danke, das werde ich dir nie vergessen“, sagte eine große, kräftige Frau mit viel zu tiefer Stimme, als Moni kurz darauf die Kabinentür öffnete.

„Hey“, rief sie und schaute noch mal aus der Kabine. „Wo ist er hin?“

Einige Frauen aus der Schlange vor dem Herrenklo lachten und eine rief: „Wenn es bei dir nicht so dringend ist, dann lass mich vor.“

„Denkste.“ Schon flog die Tür zu.

„Das ist wie beim Länderspiel“, sagte Frauke. „In der Halbzeit muss das Wasserwerk die Pumpen anschmeißen.“

Die Männer waren so fröhlich, weil sie die dritte Flasche fast allein geleert hatten. Sebastian und Frank tranken gerade Bruderschaft.

„Hey, Liebling, du solltest jetzt mal müssen. Das ganze Herrenklo ist voller williger Damen mittleren Alters, die alle einen Mann erwarten.“

„Aber bestimmt nicht mich“, scherzte Frank zurück.

„Wer weiß? Vielleicht nimmt es ja die eine oder andere nicht so genau.“

„Werd’ nicht biestig!“

„Vielleicht leiht dir ja der Bauarbeiter seinen Helm. Dann hast du die freie Auswahl.“

„Ein Luder, nicht wahr?“ wollte Frank von Sebastian wissen.

„Aber ein entzückendes!“

„Das ist wahr! Zurück zum Geschäft.“

Sie waren vielleicht zehn Minuten auf dem Klo gewesen und Frank und Sebastian, hatten bereits ein Geschäft gemacht. Er sollte auf den nächsten Modenschauen, die Frisuren machen und außerdem sollten die Vertreterinnen von Franks Modehaus bei Sebastian Rabatte bekommen.

„Hört auf mit dem Kram. Das ist ja nicht auszuhalten. Wir wollen uns amüsieren“, ging Frauke nach wenigen Minuten dazwischen.

In der zweiten Show, die sich nur dadurch von der ersten unterschied, dass der Bauarbeiter vor dem Polizisten auftrat, war Moni klar, dass sie zumindest zweimal harmlos gekreischt hatte. Das war aber der Champagner. Nicht sie selbst, versteht sich.



Kapitel 11 - Abschleppunternehmen


Allmählich kehrte der Alltag wieder ein. Moni konnte auf einen erfolgreichen Monat als berufstätige Frau zurückschauen. Sie hatte ihr erstes Gehalt mit einem guten Gefühl in zwei Wochen auf den Kopf gehauen. Dass sie jemals nicht gearbeitet hatte, schien ihr inzwischen unvorstellbar.

Was hatte sie die ganze Zeit über gemacht? Wäsche, Geschirr, Einkauf. War das nichts wert gewesen? Doch sicherlich, aber ihr neuer Job, das war eine ganz andere Dimension. Sie konnte Zahlen vorweisen. Sie hatte gut verkauft. Sie konnte selbständig neue Kunden werben. Jeder noch so kleine Erfolg gab ihr ein besseres Gefühl als der Anblick ihrer Küche nach 4 Stunden putzen.

Das Verhältnis zu Volker hatte sich schneller als erwartet normalisiert, sofern man das überhaupt so nennen konnte. Mit Sebastian verstand sie sich inzwischen auch prima. Er war kein Fremdkörper mehr in ihrer Wohnung, und sie hatte sich daran gewöhnt, dass er hin und wieder auf ihrem Sofa herumhing, wenn sie nach Hause kam. Außerdem konnte er nicht nur Haare schneiden, sondern auch vorzüglich kochen. Und das tat er mindestens einmal die Woche.

Moni musste zugeben, dass das Leben hätte bequem so weiter laufen können. Sie fühlte sich tatsächlich zufrieden. Nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte, aber es war schon ein Zustand von Zufriedenheit.

„Du hast doch nicht abgenommen?“ fragte Frauke sie eines Morgens.

„Nein, wie kommst du darauf?“

„Dein Rock wirft an der Seite Falten. Der sollte aber eng sitzen. Hier, probier eine Nummer kleiner!“

Sie warf ihr einen anderen Rock zu. Der saß deutlich besser.

„Du machst heimlich Diät!“

„Blödsinn, ich schwöre dir, dass ich gar nicht auf so eine Idee käme.“

„Das ist auch besser so. Sonst muss ich leider deinen Vertrag kündigen und mir eine andere Vertreterin suchen.“

„Das ist bestimmt nur der Stress und die viele Bewegung der letzten Wochen.“

„Schon gut, schon gut, reg dich bitte nicht gleich wieder auf. Es war nur ein Scherz, wenn du nicht gerade gertenschlank wirst, kannst du ruhig abnehmen. Aber übertreib es nicht.“

„Ich will nicht abnehmen!“

„So?“

„Wozu? Ich esse viel zu gern.“

„Dann guten Appetit!“

„Hab ich, danke!“

„Übrigens, was machen deine beiden Männer?“

Moni lachte. Sie hatte zwar zur Zeit zwei Männer, aber keinen wirklich für sich.

„Die turteln in der Sauna.“

„Wir sollten mal wieder gemeinsam losziehen. Vielleicht ins Chez Louis?“

„Ich glaube nicht, dass du die da noch mal reinkriegst. Wir gehen aber heute Abend ins Spiders, wenn du willst, kannst du mitkommen.“

„Heute nicht, wir haben einige Händler aus Taiwan zu Gast.“

„Wo geht ihr hin, in den Pfirsichgarten?“

„Wir wollen den Mann doch nicht mit der Europäischen Fassung der Peking Ente quälen. Frank hat ein Restaurant ausgemacht, das momentan bayerische Wochen hat. Die Kerle war bei Ankunft schon enttäuscht, dass man Neuschwanstein von hier aus nicht sehen konnte und niemand in Trachten herumläuft.“

„Schade, dass ich dich heute Abend nicht im Dirndl sehen kann.“

„Hör bloß auf, Frank hat mich auch schon gefragt, ob ich nicht sowas anziehen kann.“

„Dann muss er aber auch Krachlederne tragen.“

„Das macht der glatt.“

„Na, wenn das so ist, musst du wohl in das saure Dirndl beißen.“

Frauke wurde ungewöhnlich brummig.

„Das ist nicht witzig. Ich hab allein drei Stunden gebracht, um so was zu finden.“

„Du hast ein Dirndl?“

Moni wollte sich gerade ausschütten vor Lachen.

„Sei ruhig!“ warnte Frauke sie. „Wenn du das irgendjemandem erzählst …“

Moni nahm die Drohung gar nicht zur Kenntnis und lachte weiter.

„Ein einziger Lacher noch und du wirst eingeladen zum Dienstessen. Heute Abend. Und dreimal darfst du raten, was die Kleiderordnung vorsieht!“

Frauke war richtig genervt. Moni hielt sich die Hand vor den Mund und unterdrückte das Lachen. Plötzlich begann Frauke zu lachen.

„Komm mit, ich zeig dir das Monstrum. Dann hast du wenigstens wirklich was zu lachen.“

Moni hätte es gerne mal anprobiert, aber er war klar, dass es ihr nicht passte. Sonst hätte sie es sich womöglich ausgeliehen, um Sebastian und Volker irgendwann einmal richtig zu schocken. Das hätte ein Spaß werden können. Die beiden hätten wohl nicht einen einzigen Blick von ihren Lieblingskellnern kassiert.

Moni wünschte, sie hätte ein Dirndl gehabt und hätte es heute Abend angezogen.

Das „Spiders“ war ein alteingesessener Szenetreff. Es war nicht besonders gemütlich, ein Haufen eigenwilliger Typen säumte den Tresen. Die Tische waren in kleine Nischen eingebettet. Der Laden war wie gemacht, um Leute abzuschleppen.

Die Kundschaft bestand überwiegend aus Männern mittleren Alters, die zum Teil einen sehr eigenwilligen Geschmack bewiesen. Von Typen in Leder, die aussahen, als hätten sie gerade eine Pause in einer Filmpersiflage über den zweiten Weltkrieg eingelegt und wären nur auf einen Sprung hier vorbeigekommen, bis hin zu zwei Frauen mit verdächtig kräftigem Oberlippenbewuchs, war so gut wie alles vertreten. Aber es gab auch einige echte Frauen. So schien es zumindest auf den ersten Blick. Ein bunt gemischter Laden halt. Sebastian schien hier jeden zweiten, wenn nicht sogar jedermann zu kennen. Und auch Volker begrüßte einige der Leute am Tresen sehr persönlich.

Moni fühlte sich hier überhaupt nicht wohl. Im Gegensatz zu ihren beiden Begleitern, die sich offenbar köstlich amüsierten.

Sie mied den Tresen, wo das eigentliche Geschehen stattfand und verzog sich in eine der Nischen. Der Gin Tonic war preiswert und gut geschenkt. An Wänden hingen Stars aus den vierziger und fünfziger Jahren in Schwarzweiß fotografiert und zum Teil signiert. Dass Marlene Dietrich wirklich diese Kaschemme aufgesucht haben sollte, wagte Moni allerdings zu bezweifeln. Fred Bertelmann, das war schon eher wahrscheinlich.
Heute war wohl nicht Monis Tag. Keiner ihrer beiden Männer kümmerte sich sonderlich um sie. Eine Zeitlang saß sie allein vor ihrem Gin Tonic. Dann setzte sich ein älterer Mann mit einem steifen Bein ihr gegenüber. Seine Krücken lehnte er an die Tischkante, wo sie nach wenigen Sekunden abrutschten und blechern auf den Boden krachten. Moni beugte sich vor, hob sie auf und stellte sie sicher in seiner Reichweite an der Wand ab. Der Alte verspürte offensichtlich nicht den Drang sich zu bedanken. Er würdigte sie keines Blickes

„Fernet!“

„Kommt sofort, Benno.“

Der Wirt brachte ein viel zu volles Glas von diesem gräuslichen Kräutersaft. Und das, was sich ihr keineswegs als Benno vorgestellt hatte, kippte das dunkelbraune Gesöff runter wie Apfelsaft.

„Noch einen.“

Den zweiten kippte er nicht mehr ganz so schnell hinunter. Dann starrte er Moni glasig an.

Moni versuchte zu lächeln. Der Mann reagierte überhaupt nicht. Vielleicht schaute er auch an ihr vorbei. Seine Gesichtsmuskeln wirkten angespannt, seine Augen weiteten sich. Plötzlich schlug er mit dem Kopf auf den Tisch. Moni zuckte erschreckt zurück. Der Körper gegenüber zuckte auch. Seine Arme fegten alles vom Tisch, was nicht festgeschraubt war. Sein Gesicht lief leicht bläulich an. Schon flog der Kopf wieder nach vorn und diesmal blieb er mit der Stirn auf der Tischkante liegen. Ein würgendes Geräusch überzeugte alle Gäste, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Der Fernet-Mann schob den Tisch mit Gewalt ein gutes Stück von sich fort und klemmte Moni zwischen Bank und Tischkante ein. Dann erbrach er sich lautstark auf den Boden.

„Benno! Alles klar?“

Der Wirt und drei andere Gäste standen um den Tisch herum und versuchten Benno wieder aufzurichten. Die Leute am Tresen unterbrachen ihre Gespräche kurz und schauten herüber. Als die zur Hilfe geeilten Gäste Benno einige Male auf den Rücken geschlagen hatten und der sich daraufhin ein wenig beruhigt zu haben schien, schleppten sie den inzwischen eher grünlichen Kameraden hinaus an die frische Luft.
„Epileptiker?“ fragte Moni, den vor ihr knienden Wirt.

„Nein, Alkoholiker“, erwiderte er und wischte weiter auf.

„Hat ein abfaulendes Bein, ist voll mit Antibiotika und all so ‘m Zeug. Aber er lässt das Saufen einfach nicht.“

Moni stand auf, nachdem der Wirt mit dem Wischen fertig war und sie endlich den Tisch wieder in seine alte Position zurückschieben konnte.

„Ich bringe Ihnen gleich ein neues Glas. Tut mir wirklich leid, aber ich kann ihn ja nun wirklich nicht aussperren, nachdem er seit zwanzig Jahren hier Gast ist.“

„Ist ja nichts passiert“, log Moni höflich.

Sie wusste nicht, ob sie noch einen Gin Tonic trinken wollte. Sie wusste auch nicht, ob sie überhaupt noch länger hier bleiben wollte. Ihr war übel. Sebastian brachte ihr das neue Glas und Moni setzte sich einen Tisch weiter. Sie wollte auf gar keinen Fall, dass sich der gute Benno gleich wieder zu ihr setzte. Da hätte sie allerdings keine Sorge haben müssen. Benno kam zehn Minuten später rundum erneuert, wie es schien, durch die Tür, platzierte sich gleich an den Tresen. Den Rest des Abends trank abwechselnd Bier und Fernet. Clint Eastwood hätte an seiner Stelle erst mal ausgeschlafen, aber der Kerl machte weiter, als wäre nichts gewesen. Moni wusste nicht, ob sie diesen Ehrgeiz, sich tot zu saufen bewundern, oder einfach als das nehmen sollte, was es war: Schwachsinn.

Sebastian setzte sich zu ihr. Er sah besorgt aus.

„Ist nicht dein Fall, dieser Laden?“

„Absolut nicht.“

Sebastian warf einen fast wehmütigen Blick in die Runde. Am Tresen schien der Gute-Laune-Pegel mit der Lautstärke unaufhaltsam anzusteigen.

„Und das hier ist noch einer der harmloseren Läden.“

„Treibst du dich oft hier rum?“

„Ich? Hmm, ja eigentlich schon. So drei bis viermal die Woche.“

„Und Volker?“

Sebastian nickte.

„Ich finde es ätzend und irgendwie schmuddelig. Ich fühle mich schon ganz klebrig.“

Sebastian lachte.

„Ja, das ist nichts für zart besaitete Gemüter.“

„Muss das so sein?“

„Gehört irgendwie dazu. Wenn du interessante Leute treffen willst, musst du dich an abseitigen Orten umsehen.“

„Kann mir gar nicht vorstellen, dass sich hier überhaupt jemand wohl fühlt.“

„Wenn man die Leute erst mal näher kennen gelernt und sich an ihre Macken gewöhnt hat, fühlt man sich hier schnell zu Hause.“

„Ich glaube nicht, dass ich das möchte.“

„Eine Horde überkochender, kreischender Hausfrauen, die nackte Kerle angeifern ist auch nicht gerade das Paradies, oder?“

Den letzten Satz hatte Moni kaum richtig registriert. Sie hatte einen Kerl entdeckt, von dem sie vorhin noch gedacht hatte, dass es der Türsteher der Sauna sein könnte. Aber er sah ihm nur irgendwie ähnlich. Das war es natürlich nicht gewesen, was ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Sondern eher die Tatsache, dass dieser Kerl gerade einen Arm um ihren Mann gelegt hatte. Nicht genug damit, jetzt ließ er seine Hand auch noch auf seinen Hintern hinab gleiten.

Als Moni nicht antwortete, folgte Sebastian ihrem Blick.

„Oha, Volker hat sich wieder mal was geangelt. Schau mich bitte nicht so an, ich habe das nicht eingefädelt“, fügte er schnell hinzu, als er Monis Medusenblick bemerkte. „Hey, das macht Volker ganz allein, da habe ich nichts mit zu tun.“

„Kein Problem“, sagte Moni und kippte den Gin hinunter. „Damit muss ich mich wohl von nun an einfach abfinden. So ist es doch, nicht wahr?“

„Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, wenn du dich jetzt aufregst und Theater machst.“

„Das habe ich auch gar nicht vor. Holst du mir bitte noch etwas zu trinken.“

„Das gleiche?“

„Ja bitte.“

Während Sebastian am Tresen Nachschub für sie orderte, musste Moni mit ansehen, wie ihr Mann und der in Leder gekleidete Schnauzbart heftig zu knutschen begannen. Ja wirklich, sie küssten sich. Erwachsene Männer. Auf den Mund.

‚Reiß dich zusammen‘, sagte Moni zu sich selbst. ‚Die sind schließlich schwul, da ist das völlig normal.‘ Das Gin-Glas riss sie Sebastian förmlich aus der Hand. Einsicht trat gegen Gefühl an. Moni war nicht sicher, dass sie sich selbst davon überzeugen konnte, dass all das wirklich normal war. Irgendeine Stimme in ihr wollte aufschreien. Oder anschreien.

„Ist vielleicht doch nicht so gut, wenn du mal siehst, wie das so läuft.“

„Ooh, doch“, sagte Moni energisch. „Das ist sogar sehr hilfreich. Ich bin nur nicht sicher, ob mir das gefällt.“

„Aber du weißt doch schon seit einiger Zeit, dass dein Mann, …“

„Ich will dir mal was sagen, Sebastian. Es ist etwas ganz anderes, ob man weiß dass jemand schwul ist, oder ob man seinem eigenen Mann dabei zusieht, wie er mit einem schnauzbärtigen Macho wild knutschend und fummelnd am Tresen einer abgewrackten Spelunke herumhängt. Das ist wirklich etwas ganz anderes, das kann ich dir sagen.“

Moni fühlte ihren Puls in Schläfen hämmern. Sie war wütend. Aber nicht auf Volker, sondern auf sich selbst.

Sebastian war aufgestanden.

„Wo willst du hin? Du kannst mich jetzt nicht allein lassen!“

„Ich wollte nur Volker ein wenig zurückpfeifen.“

Moni griff nach Sebastians Arm und riss ihn heftig zurück.

„Das lässt du schön sein“, befahl sie, und als er sich wieder gesetzt hatte: „Das ist nett von dir, aber es ist sein Recht, das zu tun wonach ihm der Sinn steht. Wenn ich das nicht abkann, ist das mein Problem.“

„Korrekte Einstellung, zweifellos. Aber du musst ja nun auch nicht unbedingt darunter leiden, oder?“

„Richtig, deshalb werde ich auch nach diesem Glas gehen. Aber das trinke ich in Ruhe zu Ende. Schon aus Prinzip“

„Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Nein danke. Ich möchte keinem von euch den Spaß verderben, sofern das hier Spaß für euch bedeutet.“

„Kann ich sonst irgendetwas für dich tun?“

„Ich glaube nicht, nein.“

Moni spürte, dass die Zeit auf einmal drängte, sie kippte den Rest in ihrem Glas hinunter und zückte ihr Portemonnaie.

„Lass das stecken, ich erledige das.“

Sebastians Blick war bekümmert. Er sah aus, als ob er sich schuldig an alledem fühlte.

„Danke“, sagte Moni betreten und nahm ihre Jacke.

*

Der Abend war fortgeschritten und bedenklich kühl für diese Jahreszeit. Moni hatte Schwierigkeiten mit dem Kopfsteinpflaster, das sich nicht recht mit ihren Pumps vertragen wollte.

Sie beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen. Das war ein ordentliches Stück, aber wenn es ihr zu viel wurde, konnte sie ja jederzeit ein Taxi anhalten.

Schade, dass man in dieser Stadt nie den Sternenhimmel sehen konnte. Das hätte ihrem Gefühl von totaler Einsamkeit mit Sicherheit den letzten Kick gegeben. Eigentlich war das hier keine Gegend, um nachts alleine Spazieren zugehen. Schon gar nicht für eine Frau.

Aber Moni verspürte keine Angst. Nicht mal einen Anflug von Angst. Hier draußen, allein auf der Straße fühlte sie sich seltsam frei. Einsamkeit konnte auch ein Gefühl der Stärke sein. Moni fühlte sich stark. Auf diesen verdammten Pumps würde der Heimweg allerdings Stunden dauern. Sie zog die Dinger aus.

Der Boden war feucht und kalt. Sie würde sich eine Eierstockentzündung holen, aber es ließ sich viel angenehmer gehen. Und gegen Eierstockentzündungen gab es schließlich Antibiotika.

„Scheiß Köter“, schrie sie in die verlassene Dunkelheit um sich herum. Sie hätte gleich losheulen können. Sie, das Universum und der ganze Rest … und was war als erstes im Weg: Zwanzig Meter und sie trat in einen Hundehaufen. Das war zu viel. Das war entschieden mehr als ein Mensch ertragen konnte. Der Himmel hätte einstürzen können, okay. Jede verdammte Jugendgang hätte sie mit links aus ihren blöden Nikies gehauen. Aber ausgerechnet Hundekacke! Nicht so ein banaler Mist! Das war’s! Ihr Leben war diesem Augenblick gelaufen. Sie hockte sich auf den Kantstein und heulte. Fror und heulte eine viertel Stunde. Dann erst gewann die Vernunft wieder Oberhand. Sie zog die Satinstrümpfe aus und warf die dreißig Euro einfach auf die Straße. Dann zog sie die Pumps wieder an und machte sich auf die Suche nach einem Taxi.



Kapitel 12 - Frühstück zu Dritt


Erst glaubte sie, Sebastian hätte bei ihnen übernachtet. Aber dann erkannte sie den Schnauzbart. Volker schaute sie nervös an. Sie stand in ihrem fast durchsichtigen Nachthemd, ungewaschen, mit hellblauem Teddyfell-Puschen im Türrahmen und wollte Kaffee. Der Schnauzbart hatte sie noch nicht registriert. Sie gab dem Fluchtimpuls nicht nach. Das alles hatte doch keinen Sinn. Das hier war ihre Wohnung und sie wollte Kaffee. Jetzt.

„Morgen“, murmelte sie so unbeteiligt wie möglich und nahm Volker die Kaffeekanne aus der Hand. „Danke.“

Der Schnauzbart starrte sie an, als ob er den Klabautermann vor sich hätte. Der würde ja wohl jetzt nicht in Panik geraten in seiner Lederkluft mit all den Nieten.

„Das ist Moni. Das ist Manfred“, stellte Volker sie mit hilfloser Geste vor. „Moni und ich …“

„Sind verheiratet“, vollendet Moni den Satz, als sie sein Stocken bemerkte. „Das stört sie doch nicht, oder?“

Sie hielt ihm die Hand hin. Gute Manieren hatte Manfred ganz sicher. Er sprang sofort vom Frühstückstisch auf, schüttelte ihr die Hand und stellte sich korrekt vor.

„Manfred Echternbrink. Tut mir leid, wenn ich störe.“

„Überhaupt nicht. Was gibt’s zum Frühstück, Darling?“

Volker hatte die Situation noch nicht so ganz im Griff.

„Brötchen. Manfred hat bereits Brötchen geholt.“

„Wunderbar. Perfekter Service. Die sind ja sogar noch heiß“, sagte Moni gutgelaunt, aber müde und schnitt eine Semmel an.

„Ich … ich dachte, du wärst bei Frauke.“

„Wieso?“

„Na, als du gestern so überraschend verschwunden warst, da habe ich gedacht du wärst …“

„Nööh.“

„Aha.“

„Wenigstens habe ich jetzt nicht zu viel Brötchen geholt. Ich wusste ja nicht, ob Volker Mehrkornbrötchen isst, oder nicht“, versuchte Manfred vorsichtig, der Unterhaltung eine neue Richtung zu geben.
„Tut er nicht, aber ich.“

„Nur zu“, forderte Manfred sie freundlich auf.

Seine offensichtliche Freundlichkeit schien so gar nicht zu seinem mit Nieten beschlagenen Äußeren zu passen.

Die Unterhaltung am Frühstückstisch gestaltete sich weit zäher, als die drei Monate alte Marmelade, die Volker aufgetischt hatte. Moni wollte nicht zu dieser Zähigkeit beitragen. Sie hatte aber auch kein Bedürfnis, sich groß zu unterhalten, bevor sie sich richtig wach fühlte.

Nach seinem letzten Bissen wartete Manfred noch lange fünf Höflichkeits­minuten, bevor er sich verabschiedete. Volker brachte ihn zur Tür.

„Bevor du jetzt loslegst! Es tut mir leid. Ich dachte wirklich, du wärst …“, sagte Volker, als er zurückkam.

„Ich habe gar nicht vor, mich über diese Geschichte großartig aufzuregen.“

„Ich sagte doch, es tut mir leid.“

„Das braucht es nicht.“

„Tut es aber. Und es kommt nicht wieder vor.“

Moni schaute ihn mit schiefgelegtem Kopf an und lachte ungläubig.

„Erzähl mir nicht so einen Unsinn, mein Lieber. Das musste doch früher oder später so kommen.“

Volker schwieg betreten.

„Darauf läuft doch alles hinaus, oder nicht?“

„Ist schon richtig, ja.“

Moni griff nach dem letzten Brötchen. Volker hatte kaum etwas gegessen. Die Szene war ihm sichtlich unangenehmer als ihr.

„Hattest du wenigstens Spaß?“

Volker lächelte. Das schien ihm als Antwort auszureichen.

„Hast du ein Gummi benutzt?“

„Sicher. Selbst wenn nicht, wärest du ja nicht im Mindesten in Gefahr.“

„Ich mache mir auch weit mehr Sorgen um mich als um dich.“

„Jetzt klingst du wie meine Mutter!“

„Ich fühle mich jetzt auch wie deine Mutter.“

„Möchtest du noch Kaffee, Mutter?“

Moni fand das überhaupt nicht lustig. Das Gefühl, sich wie Volkers Mutter zu fühlen, behagte ihr nicht sonderlich.

„Das ist genau das Problem“, sagte Moni.

„Was?“

„Irgendwie fühle ich mich nicht mehr wie deine Frau, nicht mal mehr wie deine Freundin, sondern eigentlich nur noch wie, … na, deine Mutter.“

„Das war doch nur Spaß.“

„Egal. Tatsache ist doch: Ich habe dich als Mann geheiratet und nicht als Sohn adoptiert.“

„Was soll das, du bist nicht meine Mutter.“

„Ich bin nicht mal richtig eifersüchtig, es ist nur noch Sorge und so eine Art mütterliche Eifersucht in mir. Das ist nicht gut.“

„Hör auf, ich sehe dich nicht als meine Mutter, rede dir doch nicht so was ein.“

„Als was siehst du mich denn?“

„Als …“ Volker stockte und fing endlich mit dem Überlegen an. „Als besonders gute Freundin.“

„Wirklich?“

„Ja. Als Freundin.“

„Eine gute, alte Freundin, ja?“

Volker antwortete nicht.

„Räumst du ab?“ fragte Moni und verließ den Frühstückstisch.

„Wo willst du hin?“

„Ich glaube, ich gehe ein wenig spazieren.“

Moni hatte ausgiebig gebadet und ihre ältesten Klamotten angezogen. Ein paar feste Schuhe und dann rein ins Auto.

Sie hatte keine Ahnung, wohin sie fahren sollte. Auf der Autobahn schwenkte sie Richtung Lübeck ab. Ans Meer zu fahren schien ihr eine glänzende Idee und es war nicht weit. Sie fuhr an Lübeck vorbei Richtung Neustadt. Und dann weiter bis nach Fehmarn. Es war gar nicht so leicht, auf Fehmarn ans Meer zu gelangen. Schließlich fand sie aber eine kleine Stelle. Kein Strand, die Bäume gingen bis ans Wasser und das Ufer war steinig.

Es war einfach nicht die richtige Jahreszeit, um ans Meer zu fahren. Die Luft war kühl und Moni zog ihre Jacke dicht zusammen. Die Miniwellen plätscherten an die Steine, auf denen sie hockte. Was sie hier wollte, wusste sie auch nicht recht. Wenn sie wenigstens das Rauchen nicht aufgeben hätte, dann könnte sie jetzt genüsslich eine Zigarette durchziehen.

Hier war nichts los.

Sie fuhr zurück nach Grömitz. Da sollte auch zu dieser Jahreszeit noch Betrieb sein. Die trübe Brühe der Ostsee lud nicht gerade zum Baden ein, das Wetter auch nicht. In einigen Strandkörben saßen sture Dauergäste und trotzten gut eingepackt den Widrigkeiten des Himmels. Und auf der Strandpromenade gingen vereinzelt meist ältere Paare spazieren. Etwas an deren Anblick stieß Moni sauer auf.

In einem der Cafés ließ sie sich von einem mürrischen Kellner einen Kaffee zum Aufwärmen bringen. Außer ihr waren da noch zwei ältere Paare an den Tischen.

Was Moni an diesen Leuten störte, war diese unerhörte Intimität. Die störte sie, weil jetzt wusste, dass sie genau das vermisste. Es ging nicht um Sex, es war egal, ob Volker schwul war, oder sie immer noch irgendwelche Gefühl füreinander hatten. All das war zweitrangig. Worum es eigentlich ging war, dass er sie niemals mehr so anschauen würde, niemals Händchen haltend mit ihr über die Promenade wandeln würde, niemals mehr diese Wärme in seinem Blick hätte, mit der sich die älteren Paare hier teilweise überhäuften. Noch nicht einmal die gelangweilte, aber totale Vertrautheit, die ein anderes Paar zutage trug, würde ihr jemals in vollem Umfang zuteilwerden. Und Volker hatte recht, sie war nicht seine Mutter, sie fühlte sich nur so. Selbst wenn sie es schaffte, wie eine Mutter für ihn zu werden, war es nicht das, was ihr das Gefühl geben würde, das sie suchte.

Kein Grund zur Panik, sie war gerade mal 42 Jahre alt, wog … Sie wusste es nicht. Auf der Promenade fand sie eine Waage, bei der einem das Horoskop samt Gewicht für einen Euro kundgetan wurde. Wo da der Zusammenhang war, blieb Moni schleierhaft.

„Beruflich sollten Sie zurzeit kein Risiko eingehen.“

Das hatte Moni auch gar nicht vor. Es wurde Zeit den Tatsachen ins Auge zu sehen. Also, 42 Jahre und 91 Kilo. Das waren die Fakten. Sie musste dringend neu anfangen.



Kapitel 13 - Wirklich gute Freunde


Moni hatte keine Lust schon nach Hause zu fahren. Auf dem Rückweg machten sie einen Abstecher zu den Bertrands. Sie wusste, dass Frauke ihr die Idee Volker zu verlassen wieder ausreden würde. Vielleicht wollte sie das sogar. Wenn sie wirklich überzeugt wäre, dann hätte Frauke mit ihren Argumenten sicherlich keine Chance.

Frauke war nicht allein. Sie trug noch immer ihr Dirndl und im Wohnzimmer hingen drei zwergenwüchsige Asiaten auf dem Sofa herum und naschten Erdnüsse.

„Du siehst ja scheußlich aus“, sagte Frauke zur Begrüßung.

„Ich war ein wenig spazieren“, erklärte Moni ihren Aufzug.

„So kannst du aber nicht mitgehen.“

„Mitgehen? Wohin?“

„Die  Taiwaner haben sich entschieden noch einen Tag länger zu bleiben. Wir gehen aus. Hast du keine Lust mitzukommen.“

„Du hast schon wieder Kummer mit Volker, ja?“

„Nicht so richtig, eigentlich.“

„Komm, du ziehst dich schnell um und dann geht’s los. Die schlechte Laune werden wir dir schon austreiben.“

„Ah, Verstärkung! Gerade im richtigen Moment“, rief Frank, der mit einer Flasche Wein aus der Küche kam.

„Na gut“, sagte Moni. „Ich fahre schnell nach Hause und ziehe mich um.“

„Nicht nötig, du hast noch genug Sachen hier.“

„Aber die habe ich doch abgeholt.“

„Bis auf die Sachen aus der Wäsche! Sie liegen oben in deinem Zimmer und warten auf dich.“

Frauke begleitete sie in das Gästezimmer. Tatsächlich lag noch fast eine halbe Tasche Klamotten auf dem Bett. Moni hatte in letzter Zeit so viele Sachen angeschafft, dass sie etwas den Überblick verloren hatte.

„Die sind wirklich niedlich, diese Taiwaner. Die eine hat sich gestern so dermaßen viele Weißwürste reingehauen, dass er sich übergeben musste. Na, vielleicht konnte er auch das Bier nicht vertragen.“

Frauke kicherte und spielte nervös an den Perlen ihrer Kette herum. Irgendwie schien sie Moni heute anders als sonst.

„Warte ich helfe dir“, rief sie als Moni ihren BH ungeschickt hinter ihrem Rücken schließen wollte. „Warum machst du ihn nicht vorne zu und ziehst ihn dann herum?“

„Mmh, habe ich noch nie drüber nachgedacht“, erklärte Moni.

Frauke glitt der Häkchen-Verschluss aus der Hand und Monis BH baumelte lustlos, lose vor ihrer Brust herum. Bevor Moni nach den losen Enden greifen konnte hatte Frauke schon um sie herumgegriffen und mit geübtem Griff die Brüste wieder in die Halbschalen verfrachtet.

„Mann du hast vielleicht ein Holz vor der Hütten“, sagte sie und schloss den BH. „Da werden die Taiwaner aber orange Ohren kriegen.

Moni hörte gar nicht hin. In Gedanken war sie noch bei der Berührung ihrer Brüste durch Frauke. Nicht, dass es wirklich unangenehm gewesen wäre. Eigentlich war alles ganz normal, nur das Moni den Eindruck hatte, dass ihre Hand eine hundertstel Sekunde zu lange auf ihren Brüsten gelegen hatte. Doch wahrscheinlich bildete sie sich das ein. Es war das erste Mal, dass eine Frau sie dort berührt hatte, deswegen maß sie dem wohl zu viel Bedeutung bei. Frauke war eine wirklich gute Freundin, da war das schon in Ordnung, wenn sie ihr beim Anziehen half.

„Los geht’s“, rief Frank fröhlich, als Frauke und Moni untergehakt die Treppe herunterkamen. Die Taiwaner waren wie auf Befehl aufgestanden. Vielleicht hatten sie aber auch gar  nicht gesessen.

„Wohin?“ wollte Frauke wissen.

„Ins Bayerisch Zell. Das ist den Jungs nicht auszureden.“ Bei dem Wort ‚Bayerisch‘ grinsten die drei von einem Ohr zum anderen.

„Wirst sehen! Die laufen jedem Dirndl, wie hypnotisierte Meerschweinchen nach.“

Es war noch etwas früh fürs Bayerisch Zell, was jedoch die wenigen Gäste keineswegs vom Schunkeln zur Blasmusik abhalten konnte. Im Angebot waren Haxen, Kraut, Weißwürste und halbe Maß. Nichts wonach Moni jetzt der Sinn stand. Vorerst bestellte sie nur ein Weizen. Ganz nüchtern würde sie das hier bestimmt nicht ertragen können. Die Taiwaner saßen kaum, oder standen sie noch, da fingen sie auch schon mit dem Schunkeln an. Im Prinzip konnte diese naive Fröhlichkeit nur anstecken. Es dauerte vielleicht zwei Stunden und drei weitere Weizen und Moni schunkelte mit. Rechts und links je einen Taiwaner im Arm ging es hin und her, bis ihr übel wurde.

Sie hätte doch etwas essen sollen. Also bestellte sie sich vorsorglich eine Haxe mit Kraut. Die Taiwaner waren begeistert, als Moni herzhaft in die Haxe biss. Was daran so toll war blieb ihr schleierhaft, aber nach jedem Bissen rissen sich die beiden Taiwaner darum, ihr mit einer Papierserviette die Mundwinkel abzutupfen. Danach grölten sie jedes Mal vor Lachen. Der dritte Taiwaner fühlte sich dermaßen zurückgesetzt, dass er nach einiger Zeit aufstand und zu Moni herüber kam. Jetzt war er aber auch mal dran. Das war wie im Kindergarten. Darüber musste selbst Moni lachen.

Als der Abend später geworden war und Musik ein wenig zivilisierter ging das Tanzen los. Nicht, dass die Taiwaner irgendeine Ahnung vom Walzer oder irgendeinem anderen europäischen Standardtanz gehabt hätten. Sie hüpften um Moni herum, wie die Zwerge um Schneewittchen. Und bei einer schnellen Drehung musste sie achtgeben, die kleinen Kerle nicht loszulassen, sonst hätte sie wahrscheinlich einen unfreiwilligen Rekord im Hammerwurf aufgestellt. Es war selbstverständlich, das Moni führte, das asiatische Trio war willenlos fröhlich.

Auch Frauke musste tanzen. Da führte gar kein Weg drum herum. Wenn auch klein, so waren die Zwerge doch äußerst energisch, wenn darum ging ihren Willen zu bekunden. Frank blieb genüsslich grinsend auf der Bank sitzen und trank in Ruhe seinen Wein.

Frauke hatte wohl schon von gestern ausreichend Erfahrung mit den Taiwanern. Sie gingen ihr ja mit dem Kopf gerade über den Brustansatz. Daher hatte sie ihre Hand beim Tanzen auch nicht auf den Rücken ihres Partners gelegt sondern auf ihren Hinterkopf. Als Moni nach einer flotten Drehung zu ihr hinüber sah, tunkte sie ihren Taiwaner mit flachen Nasen in Spalte zwischen ihre hochgezurrten Brüste. Dabei kicherte sie anstößig. Der Taiwaner schien begeistert. Nach der nächsten Drehung zwinkert Frauke ihr zu und signalisierte, dass sie das doch auch mal zu probieren. Moni dachte gar nicht daran, jetzt irgendwelche gelben Stubsnasen in ihr Dekolleté zu pressen. Sie sah rüber zu Frank. Der war einfach nur fröhlich und schien nicht zu bemerken, was seine Frau da schon wieder trieb.
Monis momentaner Partner steckte seine Nase auf einmal ganz von selbst in Sachen, die ihn nichts angingen. Sie zog seinen Kopf wenig feinfühlig zurück und fand sein breites Grinsen völlig unangebracht. Energisch schüttelte sie den Kopf und überlegte, ob sie ihm das gleiche Signal noch mal mit dem erhobenen Zeigefinger deutlich machen sollte.

Kaum hatte sie seinen Kopf wieder losgelassen, war seine Nase wieder da, wo sie nicht hingehörte. Moni brach den Tanz ab. Für die anderen beiden Taiwaner war sie damit anscheinend auch gestorben. Sie setzte sich zu Frank und bestellte ein weiteres Weizen. Keiner forderte sie in der nächsten Stunde zum Tanzen auf.

„Findest du das eigentlich gut, was Frauke da macht?“

„Wenn es ihr nichts ausmacht?“ Frank zuckte die Achseln und Frauke schien es wirklich nichts auszumachen. Sie amüsierte sich  köstlich. „Dann kann es nur gut fürs Geschäft sein.“

„Tolle Einstellung.“

„Was willst du, Moni? Warum siehst du immer alles so eng?“

„Ich sehe das nicht eng. Aber ich muss doch meine Geschäfte nicht mit den Brüsten machen.“

„Da bin ich mir gar nicht so sicher“, sagte Frank mit einem unverschämten Blick auf Monis Oberkörper.

„Frank!“

„War ja nicht so gemeint!“ entschuldigte er sofort. „Aber manchmal siehst du das alles wirklich ein bisschen zu eng.“

Damit konnte er Recht haben. Doch war sie wohl nicht die einzige hier, die das alles etwas enger sah. Eine der Bedienungen hatte gerade dem übereifrigsten Taiwaner eine kräftige Ohrfeige verpasst, nachdem er versucht hatte einen kleinen Weißwurstrest in ihren Ausschnitt zu werfen. In daraufhin entstehenden Tumult machte sich ein vollbärtiger Riese in Krachledernen daran, für Ordnung zu sorgen. Frank war ebenfalls sofort aufgesprungen und ging dazwischen. Er diskutierte kurz mit dem Riesen, der sich durch das fortgesetzte Grinsen, des Davids vor ihm provoziert fühlte. Minuten später hatte Frank die Zeche bezahlt und sie standen allesamt vor dem Lokal und suchten ihr Auto.

Ein Taiwaner sprang wild gestikulierend auf und ab.

„Nein, da gehen wir jetzt nicht wieder rein“, erklärte Frank energisch. Doch der kleine Kerl gab nicht auf unverständliches Zeug zu rufen.

„Da ist Auto“, übersetzte der einzige von den dreien, der Deutsch konnte. Und er hatte Recht. Auf der anderen Straßenseite fuhr gerade ein Abschleppwagen mit Franks Auto auf dem Haken Richtung Berliner Tor.

„Das war’s dann ja wohl“, rief Frank genervt und winkte nach einem Taxi. Er setzte die drei in den Wagen und gab dem Fahrer die Adresse ihres Hotels.

„Wäre mir lieber, dass keiner von denen Deutsch könnte. Die müssen morgen unbedingt ihr Flugzeug erreichen“, sagte Frank und sah dem Taxi nach. „Lasst uns von hier verschwinden, bevor wir mitkriegen, wohin die abbiegen. Dann müssen wir nämlich hinterher und uns um sie kümmern."

Irgendetwas lag hier in der Luft. Frank und Frauke hatten die Fahrt über kaum gesprochen. Wahrscheinlich stand ein Ehekrach bevor. Moni wollte sich verabschieden. Doch Frank drängte darauf wenigstens noch einen Gin Tonic auf diesen rundum gelungenen Abgang zu trinken. Wenn Frauke nicht ebenfalls gedrängt hätte, wäre Moni gegangen. Aber vielleicht wollten die beiden nicht allein sein, um dem drohenden Krach zu entgehen.

Frauke verschwand in der Küche und mixte die Drinks. Frank setzte sich neben sie aufs Sofa.

„Du siehst heute wirklich wieder zum Anbeißen aus“, säuselte Frank ohne Vorwarnung.

„Hör auf mit mir zu flirten, wenn du Krach mit Frauke hast!“

„Ich hab gar keinen Krach mit Frauke“, behauptete Frank.

Frauke kam zurück und stellte die Gläser auf den Tisch.

„Sag deinem Mann, er soll aufhören mit mir zu flirten“, sagte Moni patzig.

„Warum? Wenn er da Lust zu hat? Soll er doch. Ich muss mich jetzt erst mal aus dieser Zwangsjacke befreien. Bestimmt habe ich schon überall Abdrücke in der Haut.“

Frauke ließ sie gleich wieder mit Frank allein. Das war Moni im Moment gar nicht recht.

„Hoch die Tassen“, prostete Frank ihr zu.

„Hoch die Tassen“, wiederholte Moni. Wenn er trank konnte er ihr wenigstens keine Komplimente machen.

Das war keine gute Idee, merkte Moni nach dem ersten Schluck. Gin Tonic auf Weizenbier! Da konnte man gleich Öl ins Feuer gießen und genau das fühlte sie bei dem ersten Schluck. Der Gin schoss ihr wie eine Fontäne in den Kopf. Langsam setzte sie das Glas ab. Sie war von einer Sekunde auf die andere unzurechnungsfähig.

„Alles in Ordnung?“, fragte Frank besorgt.

„Ja, ja“, antwortete Moni und atmete tief durch.

„Findest du mich eigentlich unattraktiv?“

„Nein, nein“, sagte Moni beiläufig und dachte nur daran, dass ihr Kopf wieder klar werden musste.

„Könnte man fast meinen, so wie du immer auf mein Werben reagierst?“

Allmählich ließ der Hammerschlag nach und Moni konnte dem Gespräch wieder einigermaßen folgen.

„Hör auf Frank, du bist verheiratet.“

„Wenn ich nicht verheiratet wäre, dann käme ich also in die nähere Wahl, ja?“

„Kann schon sein. Du bist aber nun mal verheiratet.“

Der kurzzeitige Nebel hatte sich gelichtet, jetzt fühlt Moni sich pudelwohl.

„Also bin ich nun dein Typ, oder nicht?“

Moni sah keinen Sinn darin zu lügen, zumal mit Frank eh niemals etwas passieren würde, schon wegen Frauke nicht.

„Ja, du bist mein Typ“, sagte sie kurz entschlossen. „Und wenn du nicht verheiratet wärst, würde ich jetzt über dich herfallen!“

Warum sie diesen Satz noch nachgeschoben hatte, wusste sie nicht. Das war kompletter Unsinn. Sie war betrunken, soviel war sicher. Sie musste sofort gehen, oder sie würde anfangen Blödsinn zu reden.

„Dann sollten wir wenigstens Brüderschaft trinken. Das ist ja wohl das mindeste.“

Frank reichte ihr das Glas. Ihr war grad’ überhaupt nicht nach trinken zumute.

Frank stieß an und hielt den Arm vor. Moni sah auf das Glas, das sich überraschend in ihrer Hand fand und kreuzte dann mechanisch seinen Arm. Sie tranken einen kräftigen Schluck und dann küsste Frank sie auf den Mund.

„Na, das ging aber flott! Ich bin doch gerade erst aus dem Zimmer gegangen“, rief Frauke von hinten.

Moni stieg die Schamesröte ins Gesicht.

„Wir haben nur Brüderschaft getrunken, sonst nichts“, erklärte Frank.

„Ach so. Na dann, …“, sagte Frauke spitz und setzte sich auf die andere Seite neben Moni aufs Sofa. „… dann wirst du ja wohl mit mir ebenfalls Brüderschaft trinken.“

Moni stieß ohne nachzudenken mit ihr an. Auch, dass Frauke ihr beim folgenden Kuss die Zunge in den Mund schob registrierte sie zwar, aber nahm es einfach so hin. Im Moment war sie völlig durch den Wind. Sie merkte nicht mal, dass Frauke und Frank beide aufgestanden waren und sie im nächsten Moment allein auf dem Sofa saß.

Das erste, was sie wieder deutlich wahrnahm, war das Geräusch, das die Ginflasche  auf dem Glastisch verursachte. Dann kam eine Flut von Informationen hinzu. Die beiden saßen wieder neben ihr. Das Licht war dunkler als sonst und flackerte. Ihr Gin-Glas war ganz voll. Frauke trug offensichtlich nur einen Morgenmantel. Und es musste etwas zu bedeuten haben, dass sie sich zu dritt auf das Sofa quetschten, während die beiden Sessel und das kleine Zweiersofa frei waren. Wieso quetschten sie sich überhaupt? Das Sofa war groß genug für vier Erwachsene Menschen. Dann entdeckte Moni die Hand. Sie gehörte Frauke und lag auf der Innenseite ihres Schenkels. Sie sah Frauke an. Sie hatte einen sehr eigenwilligen Blick. Oder konnte Moni nicht mehr richtig gucken?

Da war aber noch eine Hand. Die gehörte Frank und lag auf ihrer Brust. Sie wollte eigentlich etwas sagen, aber als sie sich zu Frank drehte berührte ihre Nasenspitze seine.

Er würde sie jeden Moment küssen, das war ihr gleich klar. Sie musste aufs Klo, sofort. Aber sie konnte unmöglich aufstehen. Sie presste die Beine zusammen und die Hand die sie dabei einklemmte verursachte einen leichten Schauer. Sie hatte eine Gänsehaut auf dem ganzen Körper.

Moni versuchte sich zu beruhigen und klar zu denken. Noch war nichts passiert, sie durfte auf keinen Fall Frank küssen, dann wäre alles in Ordnung. In zwei Minuten wäre der Spuk vorbei. Dann könnte sie wieder aufstehen und alles wäre vergessen. Sie spürte, dass Frank seine Zunge wieder aus ihrem Mund ziehen wollte und saugte sich daran magnetisch fest. Sonst tat sie nichts. Es war nicht ihre Schuld. Sie tat wirklich nichts. Sie hielt nur Franks Kopf fest, weil er sonst vielleicht doch noch die Zunge aus ihrem Mund gekriegt hätte.

Eine leise Stimme flüsterte ihren Namen in ihr Ohr. Was wollte Frauke, sie hatte das doch mit angezettelt. Frauke Hand glitt an ihrem Oberschenkel hinauf. Moni klemmte die Beine fest zusammen. Frank küsste gut. Und wenn man sie schon in so eine Lage brachte wollte sie auch etwas davon haben. Plötzlich begann Frauke an Moni herum zu zerren. Wenn sie jetzt plötzlich wollte, dass Moni aufhörte, hatte sie sich geschnitten. Sie würde solange mit Frank knutschen, bis sie satt war. Aber Frauke wollte gar nicht das Moni aufhörte, sie hatte nur begonnen, sie auszuziehen. Das wiederum wollte Moni eigentlich nicht. Aber ihr blieb keine Wahl, denn andererseits wollte sie auch Frank nicht loslassen.

Es dauerte nicht lange bis Moni wusste, dass sie ganz nackt war. Auch Frauke hatte ihren Morgenmantel ausgezogen. Moni spürte ihre Haut auf ihrem Rücken. Frauke hatte sich hinter sie gesetzt und mit beiden Händen nach ihren Brüsten gegriffen. Also habe ich mich vorhin doch nicht geirrt, schoss es Moni durch den Kopf. Ein falscher Gedanke und Frank hatte sich von ihr gelöst. Er stand vor ihr und begann sich zu entkleiden. Frauke knabberte derweil an ihrem Ohr herum und schlang plötzlich ihre Biene um Monis Oberschenkel. Sie klebte an ihr wie ein Käfer auf dem Rücken.

Die paar Sekunden hatten gereicht und Moni wusste, dass alles was sie hier tat Blödsinn war. Das hatte alles nichts mit ihr zu tun. Sie wollte das gar nicht. Als Frank seine Unterhose zu Boden gleiten ließ, dachte Moni aus heiterem Himmel daran, das Volker jetzt begeistert wäre. Frank war besser bestückt, als Moni jemals jemanden gesehen hatte. Warum schoss ihr bloß Volker in den Kopf? Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen. Sie hätte Frank niemals küssen dürfen. Das war ein Fehler gewesen. Aber das hatte sie nun mal gebraucht. Was jetzt kam war mehr oder weniger die Konsequenz.

Moni war schon viel zu weit gegangen. Von hier an regelte der Hormonspiegel alle weiteren Entscheidungen. Und Franks Schwanz war nicht geeignet ihren Hormonspiegel maßgeblich zu senken. Daher wunderte sich Moni nicht, als sie ihn auf einmal in der Hand und Sekunden später im Mund hatte.

Doch blieb er aber nicht lange, denn sie hatte Frauke vergessen. Die zog sie mit ziemlicher Kraft wieder zurück und ihre Beine schoben blitzschnell Monis Schenkel auseinander. Frank lag flugs auf ihr und küsste sie wenigstens noch einmal, bevor das kam, was Monis Hormone verrauchen ließ.

Von einer Sekunde zur nächsten war anstelle jeglicher Erregung nichts weiter als ein leichtes, aber nicht unangenehmes vaginales Völlegefühl zurückgeblieben. Frank küsste ihre Brüste, das war an sich nichts schlimmes, aber was Frauke sagte war es.

„Nimm meine Brüste!“ zischte sie fortwährend und hielt ihm statt ihrer die von Moni hin. Moni wurde schlagartig nüchtern. Sie fühlte sich wie ein Abziehbild, wie eine Papierfigur, die zwei Leute beim Vögeln zwischen sich geschoben hatten.

Eigentlich schlief Frank gerade mit Frauke und nicht mit ihr. Er benutzte dabei nur ihren Körper. Wahrscheinlich weil sie größere Brüste hatte, oder womöglich, weil sie dicker war. Wer wollte das wissen? Frauke schien das ähnlich so zu sehen.

‚Das war’s ja wohl‘, dachte Moni und wartet geduldig, das Ende dieser perversen Nummer ab.

Als Frank sich erschöpft zu Boden sacken ließ, war Moni emotional längst nach Australien ausgewandert. Das alles war ihr völlig schnurz. Als Frauke ihr auch noch ein ‚Danke‘ ins Ohr hauchte, hätte sich eigentlich ein Brechreiz einstellen müssen. Aber Moni registrierte zufrieden, dass diese Zeiten vorbei waren. Sie stellte sich längst nicht mehr so an wie früher. Inzwischen war sie abgehärtet.

Kommentarlos sammelte sie ihre Sachen vom Boden auf und ging aufs Klo. Jetzt war aber Schluss. Sie wollte nichts weiter, als einen normalen Mann, der sie liebte und es ihr hin und wieder besorgte. Das war alles. Und wo wachte sie morgens auf? In einem Irrenhaus. Voller schwuler S/M Tucken, voller Voyeuristen und perverser Freunde denen sie als Bumskörper dienen soll. Aus!

„Schluss. Aus. Und vorbei!“ rief sie noch einmal zur Bekräftigung, als sie durch das Wohnzimmer zur Haustür stürmte.

„Moni!“

Frank blieb mit glasigen Augen und einem Gin Tonic in der Hand auf dem Teppich sitzen. Aber Frauke lief Moni nach.

„Moni!“

Moni dachte gar nicht daran sich umzudrehen.

„Moni!“ rief Frauke noch mal. Eine Hand hatte Monis Schulter festgehalten. Frauke stand mit offenen Bademantel halb entblößt vor ihr auf der dunklen Straße.

„Es tut mir leid“, sagte sie und meinte es ganz bestimmt ehrlich.

„Ist schon gut“, sagte Moni seelenruhig. „Ich suche mir einen anderen Job.“

„Das brauchst du nicht! Wirklich nicht.“

Gleich fing sie an zu heulen. Sie fing an zu heulen! Moni hätte heulen sollen.

„Das kommt nicht wieder vor, ehrlich!“

„Einmal ist mehr als genug“, sagte Moni. Ihr Verstand hatte jetzt, betrunken hin oder her, die totale Herrschaft übernommen.

„Moni, du bist meine beste Freundin!“ Jetzt heulte sie wirklich. „Verdammt meinst du, das wäre sonst passiert. Meinst ich würde andere Frauen an meinen Mann lassen.“

„Was weiß ich?!“ sagte Moni trocken und drehte sich um.

„Moni, verdammt!“ kreischte Frauke.

Jeden Moment musste die gesamte Nachbarschaft an den Fenstern stehen, und nur die wirklich Dummen würden Licht anmachen.

Moni drehte den Schlüssel und ließ die Autotür aufschnappen.

„Moni, ich liebe dich!“

„Vorsicht!“ schrie es in Monis Kopf. So was hörst du gar nicht. Über so was denkst du gar nicht erst nach.

Sie stieg ein und schlug die Tür. Sie hatte es gehört und sie würde darüber nachdenken und vielleicht würde sie eines Tages über diese Nacht mal anders denken. Aber jetzt herrschte hier der Verstand und der brachte sie erst mal sicher nach Hause.



Kapitel 14 - Abschied


Volker war noch wach. Ihm war wohl heute nicht nach ausgehen. Eine fast leere Flasche Rotwein stand auf dem Wohnzimmertisch und er blätterte in einer „Mens Health“.
Moni setzte sich zu ihm.

„Ich frage nicht, wo du warst!“ erklärte Volker mit einer Mischung aus Sorge und Neugier.

Vielleicht war ihm aufgefallen, dass sie in anderen Sachen nach Hause kam, als sie weggegangen war.

„Ich habe nachgedacht.“

Warum klang das bei Frauen immer wie eine Drohung? Auch Volker wurde schlagartig aufmerksam.

„Du hattest völlig Recht. Ich muss selbständiger werden.“

„Jetzt willst du mich doch verlassen?“

Moni hatte keine Lust lange drum herum zu reden.

„Ja.“

„Warum?“

„Es ist nicht, weil du schwul bist. Ich glaube, damit käme ich auf Dauer sogar tatsächlich klar. Aber das ist einfach nicht meine Art von Leben.“

„Wir können doch alles so regeln, wie es für uns beide erträglich wird. Ich werde keine Kerle mehr anschleppen, das verspreche ich.“

„Aber du willst doch Kerle anschleppen?“

„Nicht, wenn es dir etwas ausmacht.“

„Ehrlich gesagt, es macht mir nichts aus“, sagte Moni resigniert.

„Warum glaube ich das nicht?“

„Keine Ahnung. Ist aber so. Es macht mir eigentlich nichts aus.“

„Eigentlich!“

„Du weißt genau, wie ich das meine. Es macht mir nichts aus, klar.“

„Was ist es dann?“

„Ich brauche mein eigenes Leben.“

„Eigenes Leben?“

„Ja genau, ich kann nicht meine ganze Zeit damit vertun, für deine Probleme oder die von anderen herzuhalten.“

„Was?“

Moni atmet ungeduldig aus.

„Genau das. Du bist schwul, also geh deinen Weg als Schwuler und mach nicht so einen verdammten Misch Masch. Du ziehst mich da in deine Probleme mit rein. Aber ich habe damit nichts am Hut. Ich will ganz andere Sachen, und die kann ich nicht machen, wenn du dich weiter an mich klammerst.“

„Was mache ich? Klammern?“

„Das tust du, mein Lieber. Du kannst nicht auf der einen Seite sagen, sieh her, ich bin ganz anders und auf der anderen Seite mich weiter an dich binden und so tun, als wäre alles in Ordnung.“
Volker schluckte nur stumm. Seine Gegenwehr schien schon zu erlahmen.

„Wir können ja gerne befreundet bleiben, ich gehe auch liebend gerne hin und wieder mit euch aus. … Ich mag Sebastian. … Sogar sehr. Aber ich könnte genauso gut seine Mutter sein, wie deine. Da ist kein Unterschied mehr, verstehst du?“

„Nein.“

„Sieh mal, ich brauche einfach mehr Distanz, um die Dinge machen zu können, die ich möchte. Dinge, die zu meinem Leben gehören.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht eifersüchtig bin. Such dir einen Liebhaber.“

„Wenn ich das täte, dann würde ich sehr bald mit ihm zusammenziehen wollen. Ich suche nicht solche Liebhaber wie du. Kein Bed and Breakfast. Das ist mir nicht genug. Bevor ich mir aber jemanden suche, will ich erst mal sehen, was ich sonst noch so vom Leben will.“

„Das kannst du doch auch, wenn du hier bleibst.“

„Nein, das kann ich nicht. Du wärst mir genauso im Weg, wie ich dir im Weg war und sein werde. Ich will überhaupt diesen ganzen Kram loswerden, alles. Es soll schon ein ganz neues Leben sein, das ich anfange.“

„Hört sich an, als wenn ich keine Chance mehr hätte.“

„Du brauchst keine Chance. Von mir aus können wir auch verheiratet bleiben. Ich bin weder sauer noch enttäuscht. Das ist einfach alles, wie es ist. Du brauchst etwas, ich brauche etwas. Wir kriegen es nicht voneinander, also müssen wir jeder für uns einen Weg suchen.“

„Bist du heimlich in eine Frauengruppe eingetreten?“

„Bist du heimlich in eine Schwulengruppe eingetreten?“

Volker grinste.

„Schade, dass es so enden muss.“

„Wieso? Andere Paare prügeln sich um das Geschirr. Da haben wir es doch gut getroffen. Und es war auch gut, dass ich mich darauf eingelassen habe, mir das alles erst anzusehen, bevor ich mich entschieden habe. Wenn ich einfach wütend weggegangen wäre, hätten wir nicht Freunde bleiben können. Wir bleiben doch Freunde?“

„Ich hoffe doch sehr.“

„Wir bleiben Freunde, da bin ganz sicher.“

„Soll ich dir beim Packen helfen?“

„Habe ich irgendetwas davon gesagt, dass ich heute Nacht noch weglaufen wollte. Ich habe nur gesagt, ich werde mir auf Dauer etwas Eigenes aufbauen. Das ist alles.“

*

Moni ließ sich Zeit mit der Suche nach einer geeigneten Wohnung. Bei ihrem Umzug halfen Volker und Sebastian mit. Die Haare ließ sie auch weiterhin nur von Sebastian schneiden. Und mindestens einmal die Woche gingen sie alle gemeinsam essen und unternahmen irgendetwas Amüsantes zusammen.

Moni war nicht einsamer als zuvor, aber sie hatte es jetzt viel besser im Griff. Einen neuen Job würde sie auch noch finden. Vielleicht sogar einen neuen Mann. Als einziges Möbelstück war das Sofa mit ihr umgezogen. Moni sah auf die Uhr. Jeopardy lief seit fünf Minuten. Sie hatte seit Wochen kein Jeopardy mehr gesehen, das fiel ihr erst jetzt richtig auf. Sie schaltete den Fernseher ein.

„Das war leider keine Frage, Torsten!“ sagte Frank Elstner mit gewohnter Sachlichkeit und verweigerte dem Kandidaten die Punkte.

Ende



Monika Subowski (6) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1999. Alle Rechte vorbehalten.