Bauer sucht Sau!

Das war alles nicht so einfach, wie es aussah. Kalle war angespannt. Die Boxen auf dem Viehmarkt waren voller Säue, aber wirklich fett waren die nicht. Beim Wohlter Franz hinkte die Sau sogar. Das konnte man mit bloßem Auge sehen.

Kalle war jetzt nicht der erfahrenste aller Viehkäufer, aber jedes Jahr war er einmal auf dem Viehmarkt und sah sich nach einem möglichen Schnäppchen um.

Manchmal hatte er Glück. Heute jedoch war er hier, weil er dringend eine neue Sau brauchte. Seine Trudel war letzte Woche gestorben und er war mächtig unter Druck.

Dass die Viehhändler so etwas förmlich rochen, war Kalle völlig klar. Er stromerte betont unbeteiligt an den Gattern vorbei. Dann blieb er plötzlich stehen.

Sein Blick war auf eine Zweijährige gefallen, ein herrlich fettes, vor Kraft strotzendes Tier. Soweit er sah, ein kerngesundes Angler Sattelschwein. Die wäre richtig! Genau das, was er suchte. Schnell schlenderte Kalle weiter. Hoffentlich hatte niemand gesehen, dass er Interesse an der Sau hatte.

Kaum war er an der Box vorbei, schielte er noch einmal unauffällig zurück. Was für Hinterbacken die hatte! Das gäbe gute Schinken-Ferkel! Darauf musste man bei den Fleischpreisen heute schon achten. Möglichst dezent sah er sich nach dem Verkäufer um.

Ausgerechnet die Schliebeck! Kalle drehte sich sofort ab und schlenderte zwei Boxen weiter. Die Schliebeck! Was für ein Pech! Die war ein ganz ausgekochtes Luder. Wenn man der auch nur die Hand gab, tat man gut daran, hinterher seine Finger nachzuzählen.

Kalle beschloss sich weiter umzusehen. Mit der Schliebeck hatte noch keiner jemals ein gutes Geschäft gemacht. Vielleicht fand er ja eine andere gute Sau.


*

Eine halbe Stunde später bewegte sich Kalle wieder unschlüssig auf die Boxen der Schliebeck zu. Nichts hatte er gefunden. Rein gar nichts. Die anderen Säue waren bestenfalls Mittelmaß. Wenn überhaupt!

Die Sattelsau war noch da. Einerseits war Kalle froh darüber, andererseits war das ein schlechtes Zeichen. Wenn so ein Prachtstück nicht wegging wie eine warme Semmel, war sicherlich der Preis zu hoch. Viel zu hoch!

Kalle schielte nach der Schliebeck. Sie stand da und zählte ihr Geld in einem großen schwarzen Lederbeutel. Ihr Knecht fing bereits an, die zwei kleineren Sauen wieder auf den Hänger zu laden. Offenbar war die Schliebeck fertig für heute.

Dabei war der Viehmarkt erst in einer Viertelstunde offiziell zu Ende.

„Die Dicke noch nicht!“ hörte Kalle sie ihrem Knecht zurufen. Offenbar glaubte sie, die Prachtsau im letzten Moment doch noch zu verkaufen. Oder?

Oder sie hatte längst sein unauffälliges Interesse bemerkt. Aus den Augenwinkeln beobachtete Kalle die Schliebeck weiter. Er musste rechtzeitig mit den Verhandlungen anfangen. Bevor sie die Sau einluden.
Der Schliebeck war nichts anzumerken. Unbeteiligt grüßte sie Bekannte, die vorüber gingen. „Meyersen bist du nicht noch auf der Suche nach ner Spitzensau?!“

Der Angesprochene lachte und schüttelte den Kopf. „Bei deinen Preisen eher nicht!“

„Komm du mir her, du alter Geizsack. Das hier ist die Königin der Säue, da wird man ja wohl noch sein Geld für haben dürfen!“

Meyersen winkte belustigt ab. „Wenn du sie zum Festpreis nimmst, besorge ich dir auch den passenden Eber dazu! Hab grad einen in Dänemark gesehen. Solche Klöten sag ich dir!“

Die lautstarke Schliebeck konnte wirklich keiner überhören. Der ganze Markt fing an zu lachen, als die Schliebeck mit ihren Hände eine Wassermelone zu halten schien.

Auch Kalle konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. War schon lustig, dieses Weib. Und mit Meyersen hatte sie den richtigen am Wickel. Das war nicht nur der reichste Schweinebauer in der Gegend, sondern auch der arroganteste Arsch im Ländle. Kein Wunder, dass ihm immer die Weiber wegliefen. Inzwischen waren es drei, wenn Kalle den Tratsch richtig verstanden hatte.


Es wurde Zeit. Viel länger konnte Kalle jetzt nicht mehr warten. Wenn er die Sau haben wollte, dann musste er jetzt zuschlagen. Er stellte sich ans Gatter, lehnte sich halb darauf und schaute der Sau mit mäßigem Interesse beim Suhlen zu.

„Ist ja eigentlich ein ganz schönes Tier, das du da hast!“

„Hah! Schönes Tier! Das ist die absolute Spitzensau! Zwischen Flensburg und Hannover findest du nichts Besseres!“

„Na, na, ich weiß nicht. Aber schön ist die schon ...“

„Ach Kalle!“ rief die Schliebeck und war zu ihm ans Gatter getreten. „Ich hab mich schon gefragt, wann du kommst. Bist doch schon dreimal hier vorbeigeschlichen, immer mit dem Blick auf die Auslage.“
Im Moment wusste Kalle nicht so recht, was sie meinte, weil die Schliebeck bei diesem Satz ihren BH offensichtlich zurechtrückte. Hatte halt einen derben Humor dieses Landweib. Wenigstens war ihm klar, dass sie sein Interesse längst bemerkt hatte und seine Verhandlungsbasis jetzt schon geschwächt war.

„Was soll die Sau denn kosten?“ Hatte wirklich keinen Zweck ihr was vormachen zu wollen.

„Für dich?“ Kalle nickte erwartungsvoll. „450! Festpreis!“

Kalle schluckte. „Und für Meyersen? Was hätte sie den gekostet?“ fragte er spaßeshalber nach.

„Für Meyersen? 450 natürlich!“ Die Schliebeck lachte. „Die Sau ist immer gleich viel wert. Der ist es doch egal, in welchen Stall die kommt.“

„Dann mach mir mal einen guten Preis! Mehr als 390 kriegst du nirgends für eine Sau. Nicht mal für so eine schöne!“

„Du vielleicht nicht, aber ich. 450 Festpreis!“

„Festpreis! Auf dem Viehmarkt! Wo leben wir denn?“

„Nimm doch eine andere! Bei Sörensen kriegst du sogar für 320 eine und das Hinkeding bestimmt noch drunter.“

„Ich will ja nicht irgendeine Sau.“

„Ja eben. Und die Gertrud kostet 450. Keinen Cent mehr und keinen Cent weniger.“

Kalle schwieg. Im Kopf rechnete er hin und her. Eigentlich ging es ihm jetzt nicht ums Geld. Die Sau was es wert. Und außerdem stand er unter Druck. Nein, es ging ums Prinzip.

Wenn sich auf dem Viehmarkt herumsprach, dass die Schliebeck ihm den Preis diktiert hatte, dann konnte er sicher sein, in Zukunft überall nur noch mit Dummbüddel Aufschlag zu kaufen. Das war sicher auch der Grund, warum der Meyersen die Sau nicht wollte.

„420!“ bot Kalle an. Das waren schon 20 Euro mehr, als er bei jedem anderen Händler geboten hatte.

Die Schliebeck lächelte nur bezaubernd. „Leg noch mal dreißig drauf und wir sind im Geschäft.“

„Ach Helga!“ jammerte Kalle. „Selbst, wenn ich wollte, du weißt genau, dass ich das nicht machen kann!“

Die Schliebeck lachte. Natürlich wusste sie, dass auf dem Viehmarkt keiner einen Festpreis akzeptierend durfte, wenn er später noch ernst genommen werden wollte.

„Kalle ich mag dich, ganz ehrlich. Darum sag ich dir jetzt ne Zahl und du schlägst einfach ein und gut ist!“

Kalle nickte. Selbst bei 440 konnte er das machen.

„450!“

Kalle froren die Züge ein. So ein hinterlistiges Weibsbild. Kein Wunder, das die keiner haben wollte!“

„Bevor du jetzt fluchst ...!“ fuhr die Schliebeck dazwischen. Sie winkte den Knecht heran. „Die Gertrud kommt auf den zweiten Hänger, die geht zu Kalle!“

„Was? Moment, aber wir sind uns doch noch gar nicht einig geworden!“

„Werden wir noch, Kalle. Werden wir noch!“

„Das kannst du mit mir nicht machen!“ regte Kalle sich auf.

„Kalle, du bist doch erfahrener Bauer“, versuchte die Schliebeck ihn zu beruhigen. „Du weißt doch genau, was so eine Sau wert ist. Mensch gib dir nen Ruck. Was deinem Hof jetzt noch fehlt, ist so eine richtige Spitzensau. So wie meine Gertrud. Sollst mal sehen, damit kommst dein Laden erst so richtig in Schwung!“

„Aber nicht für 450. Das geht nicht“, sagte Kalle ernst.

Der Knecht trieb die Sau zum Hänger. Die Schliebeck hatte in ihre schwarze Ledertasche gegriffen und zwei Schnapsgläser und eine Buddel herausgeholt.

„So, jetzt nehmen wir erst mal nen Lütten und dann sprechen wir noch mal!“

Zögernd nahm Kalle das Glas und stieß mit ihr an. Einen Schnaps konnte er jetzt schon gebrauchen.

„Auf einem Bein kann man nicht stehen.“ Schon hatte die Schliebeck nachgeschenkt.

„Prost“, war alles, was Kalle dazu einfiel. Er begann auch schon die Wirkung des Alkohols zu spüren.

„Vier Beine hat die gesunde Sau!“ behauptete Helga und kippte synchron mit Kalle den vierten Schnaps hinunter.

So schnell hatte Kalle noch nie Hochprozentiges getrunken.

Aber das waren ja nur Lütte.

Trotzdem fühlte er sich leicht benommen.

„Wie wollen wir uns nun einig werden?“

„Ach weißt du Kalle, ich hab doch mein Herz für dich entdeckt! Bevor wir hier lange rumstehen, lass uns rüber gehen in den Waddenkroog und etwas essen!“

„Also weißt du ...!?“

„Komm, schon, ich lad dich ein!“

„Ich weiß nicht!?“

„Mensch Kalle, ich kann's mir leisten. Ich habe heut meine beste Sau verkauft!“

„Moment ...!“

Helga lachte wie ein kleines Mädchen. „Kerl, bist du leicht auf die Palme zu bringen. Jetzt komm. Ich hol dich da schon wieder runter!“

„Und die Sau!“

„Die bringt der Knecht dir morgen vorbei.“

„Na guut“, grunzte Kalle zufrieden Er musste nur aufpassen, dass sie ihn nicht so sehr beschwatzte, dass er am Ende 450 auf der Rechnung hatte. Bei 449 wäre alles gut.


*

Im Waddenkroog war ordentlich Stimmung. Die meisten Bauern gingen hier nach dem Viehmarkt auf ihre Geschäfte anstoßen. Die anderen, weil sie nicht wussten, wie sie daheim der Frau erklären sollten, wo ihr Geld geblieben war.

„Na, Schliebeck“, grölte Meyersen, als die weltbeste Viehhändlerin mit Kalle im Schlepptau das Lokal betrat. „Haste deine Sau endlich an den Mann gebracht!?“

„Noch nicht Meyersen“, rief Helga zurück. „Der Kalle ist ein ganz gewiefter Schweinehund. Erst hat mich abgefüllt und jetzt will er mich noch weiter drücken! Der leiert mir die Sau noch für lau raus!“

Ein Raunen ging durch den Saal. Jeder hier wusste, dass Meyersen die Sau gerne selber gehabt hätte, aber sich vor der Verhandlung mit der Schliebeck drückte.

„Na, da staune ich aber“, rief Meyersen irritiert. „Für wie viel hast du ihm die Sau denn angeboten.“

„450!“

Wieder ging ein Raunen durch den Saal, für eine zweijährige Sau war das wirklich ein stolzer Preis.

„Und wo steht ihr jetzt“, wollte Meyersen ernsthaft interessiert wissen.

„Bei 470!“ behauptete Helga breit grinsend.

Der Saal tobte vor Lachen. Wenn es eins gab, was einem Viehhändler heilig war, dann sein Verhandlungsgeschick. Und da stand die Schliebeck wieder mal als echtes Schlitzohr da.

Kalle wollte etwas zu seiner Verteidigung einwenden, aber es wäre in dem Gelächter wohl eh untergegangen.


*

„Holger mach mal zwei richtig schöne Schnitzel, aber nicht so nen Scheiß, den du hier den anderen andrehst!“ rief Helga dem Gastwirt zu. „Geht auf Kalle. Aber schreib ruhig erst mal meinen Namen auf den Zettel! Wir verhandeln ja noch!“

Die Gäste in der Kneipe hatten ihren rechten Spaß an dieser Szene. Das würde einigen von ihnen über das eine oder andere schlechte Geschäft hinweghelfen. Es war immer beruhigend, wenn da einer war, den es noch schlimmer erwischt hatte.

Heute war das Kalle.

„Du bist echt ne Marke, Helga!“ rief Meyersen versöhnt, weil er seine Ehre gerettet sah.

Genau das war gerade Helgas Geschick, dass sie im letzten Moment noch die Kurve kriegte und selbst der Meyersen nichts Böses über sie sagen konnte, außer vielleicht, dass sie die strammste Viehhändlerin Dithmarschens war.

Kalle setzte sich geknickt. Er nahm Helga ihre Kodderschnautze nicht wirklich übel. Er hatte ja schon gewusst, dass dies ein echter Scheißtag würde, als er sah, dass ausgerechnet die Schliebeck die einzig gute Sau anzubieten hatte.


Zwei Stunden später war der Preis der Sau völlig zweitrangig. Kalle hatte etliche Biere zum Trost ausgegeben bekommen. Schnäpse machten die Runde und der schlechteste Bauer aller Zeiten fügte sich selig in sein Schicksal. Sollten die anderen ruhig über ihn lachen. Er bekam dafür die Spitzensau.

„So gehst du mir aber nicht nach Hause!“ behauptete Helga, als Kalle aufbrechen wollte.

„Gut, gut, du hast mich ja! 450 und meine Ehre noch obendrauf!“ maulte Kalle und hielt ihr Hand hin.

„Das meine ich nicht!“ sagte Helga und stand ebenfalls auf. „Solange du die Sau noch nicht bezahlt hast, läufst du mir nicht betrunken vors Auto!“

Sie griff Kalle unter den Arm und zog ihn Richtung Eingang. „Ich bringe dich rüber zu deinem Hof, nicht dass du mir jetzt noch abspringst oder hops gehst, bevor ich mein Geld hab.“

Wer das noch mitbekommen hatte, lachte, aber nur verhalten, weil die, die noch da waren, mehr unter als über dem Tisch saßen.


*

Die frische Landluft hätte Kalle eigentlich wieder zur Besinnung bringen müssen. Tat sie aber nicht.

Kalle konnte nicht genau sagen, wie es dazu gekommen war, dass die Schliebeck bei Sonnenaufgang noch völlig nackig auf ihm saß, sich die Haare aus dem Gesicht strich und sagte: „Siehst du, nun kannst du allen erzählen, das du die Sau umsonst gekriegt hast. Die bringe ich ja nun mit auf den Hof!“

„Ja genau!“ sagte Kalle und erinnerte sich daran, wie Helga ihm mitten in der Nacht vorgeschlagen hatte, dass sie sich zusammen tun sollten, dass sie ein richtig gutes Team wären. Sie könnte sich um An- und Verkauf kümmern und er um die Schweine. Kalle wusste auch noch, das er dazu gleich mehrmals „Ja!“ gesagt hatte und das vermutlich auch so gemeint hatte. Er hatte in dieser Nacht zu vielem Ja gesagt. Vermutlich war das sogar das einzige Wort, das über seine Lippen gekommen war, er konnte sich nicht erinnern, wie oft. Aber wenn die Gertrud auch nur halb so fleißig wie die Helga war, wäre er über kurz oder lang mit einem Regen an Ferkeln gesegnet.

Was diese Frau alles mit ihm angestellt hatte …? Daran konnte er sich nicht mehr im Einzelnen nun wirklich nicht mehr erinnern. Nur noch, dass es ihm alles irgendwie gefallen hatte. Und eins jedenfalls wusste Kalle ganz jetzt sicher. Der gestrige Tag hatte ihm gleich zwei absolute Spitzensäue auf den Hof gebracht. Und bezahlt hatte er nix.

Noch nicht.

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