Das spirituelle Paket

Sie war bisher noch nie in einem Kloster gewesen. Offenbar hatte sie bisher ein falsches Bild von dem religiösen Leben der Nonnen gehabt. Moira dachte, dass Nonnen den halben Tag beten und den anderen Teil des Tages mit Arbeit füllen. Doch sie musste jetzt feststellen, dass das Beten nur einen ganz kleinen Teil des Tages ausmachte. Es war mehr Arbeiten. Viel mehr Arbeiten.

Moira hatte sich eine Woche Auszeit, wegen eines Burnouts genommen. Sie dachte so ein Kloster sei eine gute Idee und die Ruhe dort würde ihr gut tun. Der Arzt hatte ihr dazu geraten. Entweder das oder es wäre eine Frage der Zeit, wann sie medikamentös bespaßt und eingestellt werden musste. Sie hatte natürlich das Kloster vorgezogen.

Den zweiten Tag war sie jetzt hier. Als man ihr die sogenannte Zelle gezeigt hatte, ahnte sie nicht, dass es sich wirklich um eine Zelle handelte. Spartanisch war gar kein Ausdruck. Vielleicht hätte sie doch das normale Touristenpaket wählen sollen und auf die spirituelle Erlebniswelt verzichten sollen. Dieser besondere Service schloss das reguläre Klosterleben mit ein. Allerdings ohne Arbeiten, dafür aber mit viel Beten und viel Stille. In ihrer Zelle hatte sie absolute Stille. Und die normale Tracht zu tragen gehörte auch dazu. Allerdings durfte sie wenigsten ihre eigene Unterwäsche behalten und musste nicht auf diese Raufaser zurückgreifen, die die richtigen Nonnen trugen.

An ihre Seite hatte man Moira eine Novizin gestellt, die noch kein Gelübde abgelegt hat. Außerdem kümmerte sich die Äbtissin persönlich um ihre Gäste.


Als Moira zum dritten Mal neben der Novizin Cosima in der kleinen Kapelle kniete und betete, beziehungsweise meditierte und die anderen Besucher mit Fotoapparaten durch die Kirche laufen sah, zweifelte sie ernsthaft an ihrer Entscheidung. Die anderen Touristen schliefen im zwei Sterne Hotel, das zum Kloster gehörte, machten Ausflüge und schlemmten, was die Klosterküche hergab.

„Du musst deinen Ärger vergessen“, flüsterte Cosima. „Sonst kannst du dich nicht freimachen für den heiligen Geist.“

Cosima war wirklich sehr religiös. Aber mit dem Freimachen hatte sie schon Recht. Schließlich wollte sie das spirituelle Paket. Urlaub im Hotel hatte sie in ihrem Leben oft genug gemacht.

Moira versuchte die Touristen zu ignorieren. Sie konzentrierte sich auf das Leiden Christi, das hier, wie in jeder Kirche im Mittelpunkt stand. Bei genauer Betrachtung konnte sie dem Gekreuzigten doch etwas abgewinnen. Eigentlich war das ihr Leben. Immer musste sie bereit sein sich zu opfern, sei es privat in der Familie oder im Beruf. Wenn keiner den Kopf hinhalten wollte, damit es weiter ging, war sie an der Reihe. Und freiwillig hielt wohl keiner gern den Kopf hin.

Moira eigentlich schon. Wenn sie so darüber nachdachte, musste sie zugeben, dass sie eine gewisse Befriedigung darin fand, sich aufzuopfern. Vielleicht war sie von diesem Christenkram gar nicht so weit weg, wie sie dachte. Irgendwie hatte diese Jesus auch etwas Befriedigtes in seinem leidenden Blick.

„Wir müssen“, flüsterte Cosima und stupste sie leicht an die Schulter.

War die halbe Stunde schon um? Das war Moira jetzt gar nicht so vorgekommen.

Die anschließende Gartenarbeit war Moira bisher immer verhasst gewesen. Aber sie hatte sich nun einmal vorgenommen, das durchzuziehen. Wenn sie ihr Problem nicht löste, würde es keiner tun.

Was an so einem Kräutergarten so faszinierend sein sollte erschloss sich Moira eh nicht. Der Geruch des Basilikums, das Cosima neben ihr zupfte stieg ihr in die Nase, aber vermischte sich stark mit dem Feldthymian. Das war hier doch ein einziges olfaktorisches Chaos. Moira schnupperte, während sie den Bärlauch vom Unkraut befreite. Sie versuchte die verschiedenen Gerüche auseinander zu halten, aber es gelang ihr nicht. Mal zog die eine Schwade, dann wieder eine andere durch ihre Nase.

Auch die Zeit der Gartenarbeit war heute sehr viel schneller vorbeigegangen, als am ersten Tag. Überhaupt drohte der Tag ihr einfach zu entgleiten. Es war schon Zeit für das Abendbrot.

Moira fühlte einen Anflug von Entspannung, als sie ihr Schwarzbrot mit Schmalz einstrich. So etwas aß man doch in der wirklichen Welt nicht. Das war ernährungstechnisch völlig unkorrekt. Aber es schmeckte schon lecker.
Bis zum zentral gesteuerten Licht aus waren es nur noch 40 Minuten. Moira beeilte sich unter die Dusche zu kommen und sich nachtfertig zu machen.

Sanitäre Einrichtungen auf den Zimmern gab es hier natürlich nicht. Und in der Gemeinschaftsdusche war es reichlich voll um diese Zeit. Moira war nicht nur froh einen Platz zu bekommen, sondern sie empfand auch eine gewisse Dankbarkeit für das warme Wasser, das aus dem Brausekopf auf sie hinunter pladderte. Sie hatte lange nicht mehr wahrgenommen, wie hart die Wassertropfen eigentlich auf der Haut aufschlugen und das man, wenn man genau hinfühlte, jeden einzelnen Tropfen wahrnehmen konnte.

Sie spuckte das Wasser aus, dass ihr in den staunenden Mund gelaufen war, blinzelte mit den benetzten Augen und sah Cosima neben sich stehen.

Cosima war herrlich jung. Ihre Haut war straff und rosa und ihre Brüste standen wie von Zauberhand gezogen nach vorne weg. Instinktiv befühlte Moira ihre eigenen schlaffen Brüste. Vielleicht, wenn sie sie ein wenig anhob? Aber auch dann hingen sie im Prinzip durch wie eine Amazonasbrücke, die schon von Cortez beschritten worden war.

Ein wenig Eifersucht stieg in Moira auf. Doch schnell vermischte sie sich mit hemmungsloser Bewunderung für Cosimas jugendlichen Körper. Moira merkte, dass sie viel zu lange und viel zu intensiv ihren Intimbereich reinigte. Cosima lächelte ihr zu und schüttelte ihr nasses Haar aus. Moira zwang sich, sich da unten nicht wund zu reinigen. Am liebsten hätte sie jetzt stundenlang geduscht, doch hier ging nicht nur das Licht automatisch aus. Moira kreischte dezent, als das Wasser plötzlich kalt wurde. Die richtigen Nonnen lachten, aber ohne echte Schadenfreude.

Als Moira pünktlich im Bett lag und das Licht ausging, kam ihr das gar nicht mehr so früh vor wie gestern. Sie empfand eine gewisse positive Aufregung, die sie sicherlich noch lange am Einschlafen hindern würde. Doch entgegen dieser Erwartung schlief sie gleich nach dem ersten Orgasmus ein.

In den nächsten zwei Tagen stellte Moira fest, dass sie sich auf wundersame Weise völlig entspannt hatte. Sie genoss die kleinen Dinge des Alltags, die sie nun viel bewusster wahrnahm, als noch an den ersten Tagen. Jeder Neid auf die anderen Touristen war vollkommen von ihr abgefallen. Sie fand einen großen Gefallen an den halbstündigen Gebeten, mit denen sie mehrmals täglich ihr Tun unterbrach. Und obwohl sie mit Cosima bestenfalls mal zwanzig Worte am Tag wechselte, vermisste sie sie, wenn mal für kurze Zeit nicht an ihrer Seite war. Sie hätte wochenlang so weiter machen können, aber an diesem Abend wurde alles anders ...

Moira hatte sich gerade an die Dunkelheit gewöhnt und begann ihren Phantasien nachzuhängen, da wurde die Tür zu ihrer Zelle geöffnet. Leise und langsam. Sie merkte es nur, weil der Schein einer Kerze in ihr Verließ fiel.
Angst hatte Moira jetzt nicht, sie war mehr oder weniger erstaunt. Vor allem als sie Cosima erkannte.

„Kann ich bei dir schlafen?“ fragte Cosima mit einem Anflug von Naivität, als sie an ihrem Bett stand.

Moira nickte wortlos. Bekam aber ein heftiges Kribbeln im Leib, als Cosima im Schein der Kerze ihre Kutte zu Boden sinken ließ. Moira rückte ein Stück und Cosima schob sich nackt wie Gott sie schuf und hoffentlich auch behalten wollte unter Moiras Decke.

„Ist ganz schön einsam, manchmal“, flüsterte Cosima.

Moira nickte, was Cosima aber nicht sah, weil sie gerade die Kerze ausblies.

Es dauert nicht lange, bis Cosimas Hände begannen Moiras Körper zu erkunden und auch nicht lange, bis Moira das gleiche bei ihr tat. Den Schritt diese Aufgabe ihren Zungen zu überlassen, vollzogen beide Frauen fast zeitgleich und in rascher Folge.

Als Moira kurz vor Morgengrauen erschöpft vom Schlaf übermannt wurde, wusste sie, was ihr zu einem zufriedenen Dasein gefehlt hatte. Eine Betschwester, vermutlich.

Verwunderlich war es nicht, dass Moira und Cosima verschlafen hatten. Wecken war um 6 Uhr früh und kurz drauf machte die Äbtissin ihre Runde. Natürlich schaute sie auch bei den Gästen nach dem Rechten und fand Moira und Cosima im gleichen Bett vor. Dezent Schloss die Äbtissin die Tür wieder und rief von draußen: „Aufstehen!“

Moira hatte Angst, dass Cosima nun irgendwelche Konsequenzen zu befürchten hatte. Sie spürte deutlich, dass es ihre Schuld war, was passiert war. Sie war es doch gewesen, die Cosima mit ihren Blicken und ihren Träumen verführt hatte. Das erklärte sie auch der Äbtissin, die sie gegen Mittag in ihrem Büro aufsuchte. Cosima traf keine Schuld!

Die Äbtissin lächelte allwissend. „Wir sind ein Kloster und wir bleiben hier unter uns, aber wir leben nicht im 18. Jahrhundert“, sagte sie. „Unser Zölibat ist mehr geistiger, denn körperlicher Natur.“

Moira war irritiert, aber die Äbtissin hatte tatsächlich nichts dagegen, dass ihre Schäfchen auch ihren körperlichen Bedürfnissen einvernehmlich Rechnung trugen. Im Gegenteil, sie selbst hatte wohl auch ein gewisses Interesse an Moira entwickelt.

Für Moira war der Weg ihrer Karriere hier zu Ende. Sie verlängerte nicht nur ihr spirituelles Paket, um zwei Wochen, sondern trat im Anschluss dem Orden auch noch als Novizin bei, was die Äbtissin wohl sehr begrüßte.

Das spirituelle Paket (94) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2011. Alle Rechte vorbehalten.