Der Zechpreller

Kurzkrimi

Der Laden war nun wirklich nicht so groß, daß man einen Gast hätte übersehen können. Links der Typ mit dem Anzug, der sich brav an einem Kaffee-Latte festhielt, um das W-Lan zu nutzen. Die beiden Alten mit ihrem Kirschkäse-Kuchen, der Stammgast aus dem Autohaus gegenüber, der sein Feierabendbier trank und halt dieser Schluffi, der ein kleines Bier getrunken hatte, sich ewig nervös umsah, ganz so als ob er auf der Flucht wäre. Auf den hatte Karl ein Auge.

Wenn man so lange in der Gastronomie arbeitet entwickelte man eine fast übernatürliche Menschenkenntnis. Er hatte dem Autotypen gerade sein drittes Feierabendbier hingestellt und war auf dem Rückweg zur Theke, als er aus dem Augenwinkel sah, daß der Schluffi einen letzten Schluck genommen hatte, aufstand und sich anschickte das Lokal zu verlassen.

„Hey! Entschuldigung, aber Sie müssen noch zahlen.“

Karls Rufen beeindruckte den Schluffi wenig. Eigentlich gar nicht. Er ging seelenruhig zur Tür hinaus.

Aber da hatte der Kerl die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Karl stellte das Tablett unsanft auf dem Tresen ab und jagte dem Kerl nach. Wirklich schnell war der nicht. Diese bekloppten Kiffer dachten immer, es wäre an der Grenze zur Schallgeschwindigkeit, was sie da vorlegten, doch in Wirklichkeit waren das ganz schlechte Läufer.

„3,20 Euro kriege ich noch!“ rief Karl ihm nach. Spätesten an der nächsten Ecke würde er den Typen erwischt haben. Eigentlich müßte er für dieses Rennen ein saftiges Trinkgeld draufschlagen, aber er war nicht einmal sicher überhaupt die Zeche zu bekommen, selbst, wenn er ihn einholte. Das letzte Mal hatte ihm der Zechpreller so leid getan, daß er ihn, nach einer eindringlichen Ermahnung, einfach laufen ließ. Doch schon ehrenhalber mußte er der Zechpreller schnappen, Recht war Recht.

An der nächsten Ecke hatte Karl ihn immer noch nicht, jedenfalls noch nicht wirklich. Er war aber nur zwei Meter zurück, als der Schluffi um die Ecke bog.

Gleich.

Karl bog ebenfalls, um die Ecke und der Schluffi war plötzlich 8 Meter weit weg.

Wie? Unfassbar. Der wurde immer schneller. Ganz so, als habe er ihn anfangs nur foppen wollen.

Noch zehn Meter lief Karl, dann gab er auf. Verdammt war der Kerl schnell. Karl verspürte eine Stechen in der Seite. Ihm blieb kurz die Luft weg.

Verdammte Tat. Karl atmete noch dreimal tief durch, dann drehte er um und machte sich ermattet auf den Rückweg.

*

Als er die Kneipe betrat war im Prinzip fast alles so, wie er es verlassen hatte.

Der Autohändler war genervt, weil er ein weiteres Bier haben wollte und niemand da war, der seine Bestellung hätte registrieren können, die Alten waren über ihrem Kuchen, für sie wahrscheinlich inzwischen die schönste Nebensache der Welt, fast eingeschlafen und der Typ mit dem Anzug, … der war weg.

Karl stutze und mußte lachten. Die scheiß Yuppies, wenn sich eine Gelegenheit bot, nahmen die jeden Euro mit. Ohne jede Moral.

Jetzt hatte er zwei Zechpreller. Na klasse. Ein Tag ohne Gewinn war ein Tag ohne Freude. Allerdings entwickelt sich dieser Tag leider noch zu einem Tag mit echtem Fiasko.

Als er sich nämlich daran machte, für den Autoverkäufer das nächste Bier zu zapfen, fiel ihm auf, daß sein Kellerportemonnaie nicht wie gewohnt gleich neben der Kasse lag.

Er mußte danach auch nicht lange suchen, um zu wissen, daß es weg war. Der Zechpreller war offenbar nur ein Lockvogel gewesen. Für diesen Yuppie, der nur darauf gewartet hatte, daß Karl die Verfolgung aufnahm.

Gott verdammt. Die Welt war so schlecht.

Der Zechpreller (145) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2021. Alle Rechte vorbehalten.