Das ist Betrug, Herr Feldtmann!

Kurzkrimi

In seinem klimatisierten Büro fühlte sich Herr Feldtmann eigentlich recht wohl. Vielleicht war er manchmal ein wenig einsam. Inzwischen waren es dreißig Jahre, die Herr Feldtmann für die ›Tott & Reisch‹-Versicherung arbeitete. Seit etwa zwanzig Jahren prüfte er die Ansprüche der Erben von Versicherungsnehmern, deren Begünstigte ebenfalls gestorben waren. Im Laufe dieser Zeit hatte Herr Feldtmann der Versicherung einige Kapitalrückzahlungen erspart, weil er nachweisen konnte, dass die Ansprüche diverser Erben unberechtigt waren.

Erbrecht war zu seinem absoluten Steckenpferd geworden. Doch irgendwann begann er an der Rechtschaffenheit seiner Arbeit zu zweifeln. Schließlich hatten die Kunden jahrelang ihr Geld eingezahlt, und es gab eigentlich keinen Grund, warum die Versicherung das Geld nach ihrem Tod einfach für sich behielt.

„Das ist Betrug, Herr Feldtmann“, hatte ihm eines Tages ein Neffe gesagt, dem er nachgewiesen hatte, dass seine Versicherung nicht an ihn auszahlen müsse, weil seine Tante ihn im Zorn vor zehn Jahren enterbt hatte. Inzwischen hatten sich die beiden längst wieder versöhnt. Leider hatte die alte Frau das Testament, das Feldtmann in einer alten Wäschekommode auf dem Dachboden zwischen diversen außer Dienst gestellten Hüfthaltern entdeckt hatte, völlig vergessen.

„Das ist Betrug, Herr Feldtmann“, hatte der Neffe ihm ins Gesicht gesagt. Und Feldtmann war nachdenklich geworden. Er hatte die Summen, die seine Versicherungsgesellschaft jährlich auf diese Art einstrich, durchgerechnet. Es waren mehrere Millionen. Der Neffe tat ihm leid, und Herr Feldtmann musste sich eingestehen, im Laufe der Jahre ganz unfreiwillig zum echten Betrüger geworden zu sein. Wie sollte er das wiedergutmachen? – Gar nicht! Er war eben ein Betrüger und musste jetzt lernen, damit zu leben. Es blieb nur die Frage, wen er betrog und warum?

Weshalb sollte er ehrliche Leute um ihr sauer verdientes Geld betrügen und es einer immer reicher werdenden Versicherung zuführen, die ihm dafür nur ein lächerliches Gehalt zahlte und ein klimatisiertes Büro zur Verfügung stellte?

Das war der Punkt, an dem Herr Feldtmann seinen Aufgabenbereich neu definierte. Von nun an zahlte die Versicherung aus. Nicht immer. Aber immer öfter. Das Testament, das den Neffen um sein Geld gebracht hätte, vernichtete er einfach und die Versicherung zahlte. Natürlich war es nicht immer so einfach. Meistens waren auch einfach keine Erben und gar kein Testament da. Doch Herr Feldtmann war es gewohnt, eine Sache ordentlich zu machen.

Er hatte sich mit dem Neffen verständigt und machte mit ihm gemeinsame Sache. Feldtmann und er fälschten Testamente, Sterbeurkunden, erfanden falsche Erben, falsche Versicherungsansprüche. Und Feldtmann war stolz darauf in diesem Jahr fast 90% aller zweifelhaften Ansprüche ausgezahlt zu haben. Noch vor 3 Jahren war er stolz darauf gewesen nur 30% dieser Ansprüche zur Auszahlung gebracht zu haben.

Es war Herrn Feldtmann klar, dass dieses ungewöhnliche Abrutschen seiner Quote auffallen müsste und man ihm einen Prüfer auf den Hals schicken würde. Doch das war ihm längst egal. Wenn er schon zum Betrüger geworden war, dann konnte er auch genauso gut in die eigene Tasche wirtschaften. Wenn sie ihn erwischen würden, musste er fünf Jahre oder mehr ins Gefängnis und dann ging es ab auf die Malediven, wo der Neffe das unterschlagene Geld in Sicherheit gebracht hatte.

Der Tag der Prüfung kam eher, als Feldtmann erwartete hatte. An seinem Schreibtisch saß Frau Brüning in straffer Haltung. Ihre weiße Bluse strahlte in dem bisschen Sonnenschein das durch die Fenster hereinfiel. Feldtmann hatte schon von ihr gehört. Sie galt als wirklich scharfer Hund und hatte Kollegen schon wegen einer Handvoll Euro illegaler Provisionen zur Strecke gebracht. Herr Feldtmann war nervös. Er wusste, dass gleich alles auffliegen würde.

Frau Brüning hatte inzwischen seine Akten sorgfältig studiert und schaute ihn über die Halbbrille hinweg mit Sorgenfalten an. Ihre drahtige Figur hätte beinahe darüber hinweggetäuscht, dass sie in Feldtmanns Alter war, wenn ihr zerfurchtes Gesicht nicht von der Wahrheit gezeichnet gewesen wäre. Eigentlich war sie Feldtmann sympathisch in ihrer perfektionistischen Art und gnadenlosen Kälte. Ihre straffe Körperhaltung noch unterstrichen durch ein strammes Mieder, in das sie sich jeden Morgen kompromisslos hin zwängte, ließ keinerlei Gnade erwarten. Doch eigentlich war er dankbar dafür, dass sie es war, die ihn gleich ans Kreuz nageln würde. Sie würde es genauso sachlich wie tödlich tun.

„Tja Herr Feldtmann, das ist Betrug“, sagte sie ohne jede Spur von Schadenfreude, dass sie ihn erwischt hatte. Feldtmann zuckte mit den Achseln, das war ihm ja längst klar.

Frau Brüning erforschte aufmerksam sein Gesicht. Aber Feldtmann konnte nur ergeben lächeln. Es gab keine Entschuldigung, keine Reue.

„So wie ich das sehe, sprechen wir hier über eine Summe von etwa 12 Millionen Euro. Ist das richtig?“

Feldtmann mochte diesen sachlichen Ton. Er fand in fast erotisch. Mit einem verspielten Lächeln auf den Lippen schüttelte er den Kopf und sagte: „Genau genommen 17,5 Millionen.“

Herr Feldtmann legte äußersten Wert auf Korrektheit. Und Frau Brüning deren Brüste sich ruhig in einem exakten rechten Winkel vom Oberkörper gleichmüßig mit 80 Schlägen pro Minute um genau 5 Zentimeter pro Atemzug auf und ab bewegten, sollte dafür eigentlich Verständnis haben. Wenn sie ihn erwischten, dann auch wegen der vollen Summe, darauf kam es jetzt nicht mehr an. Im Gegenteil er freute sich, dass er seine Arbeit so gut gemacht hatte, dass selbst Frau Brüning auf den ersten Blick ein paar Millionen entgangen waren. Frau Brüning durchforschte erneut sein Gesicht. Aber da fand sie nur noch diese hysterische Fröhlichkeit und Erleichterung.

„Ich kann nur hoffen, dass Sie das ganze Geld in Sicherheit gebracht und nicht verschleudert haben. Sie haben doch wohl auch ihren Reisepass bereitgelegt und ihre Koffer gepackt“, sagte sie und stand auf, wobei sich ihre Brüste vorschoben, wie die Doppelläufe einer Flinte, die zum Zwecke der Verhaftung auf ihn gerichtet waren.

„Tja, ich sollte wohl längst weg sein, nicht wahr?“ Feldtmann grinste breit, denn er fand, Frau Brüning bewies Stil und Humor in dieser Situation. Er hatte die Vision, dass sie ihm gleich Handschellen anlegen würde und er eigentlich nichts dagegen hatte.

„Das ist mein Ernst, Herr Feldtmann. Man muss wissen, wann Schluss ist. Bei einer solchen Summe hört der Spaß auf. Das ist nicht irgendeine kleine Schieberei. Sie haben da ordentlich Geld beiseite geschafft, und das reicht wohl auch für uns beide. Oder glauben Sie, ich will hier alt werden? … Also packen Sie endlich! Wir treffen uns in zwei Stunden am Flughafen. Und nur das nötigste, wenn ich bitten darf.“

Feldtmann verstand nicht sofort.

„Worauf warten Sie noch Herr Feldtmann, entweder ich rufe jetzt die Polizei und lasse Sie verhaften, oder Sie ziehen es vor, samt der veruntreuten Gelder, von mir persönlich in Gewahrsam genommen zu werden. Weit weg von hier versteht sich.“

Über ein derartiges Angebot musste Feldtmann Geld hin oder her nicht mehr lange überlegen. Er hätte sich von Frau Brüning auch jederzeit schuldlos hinter Gitter bringen lassen.

Das ist Betrug, Herr Feldtmann (90) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1995. Alle Rechte vorbehalten.