Nächte des Zorns

Kurzkrimi

Grundsätzlich war Martha ein genügsamer und friedlicher Mensch. Sie stellte gelegentlich Ansprüche an das Leben. So war ihr der Sonntag an sich heilig. Vormittags die Messe, nachmittags faulenzen. Wobei sie unter faulenzen verstand, Kuchen zu backen, Kleidung auszubessern und all die Dinge zu erledigen, die unter der Woche liegen geblieben waren. Aber heute war ja nicht Sonntag, also griff Martha sich an die unteren Lendenwirbel, dort wo der Schmerz wohnte und richtete sich stöhnend auf. Darauf, dass jemand mit ihr Mitleid haben könnte und ihr den schweren Eimer mit Kartoffeln abnehmen würde, konnte sie nicht bauen. Einfach deshalb nicht, weil niemand da war, der ihre Schmerzenslaute hätte hören können.

Sie schleppte die Kartoffeln in die Küche. Selbstversorgung war auf dem Lande selbstverständlich. Irgendwann jedoch, würde sie das Buddeln in der Erde einfach mal sein lassen und wie alle anderen Leute auch, einen Beutel Kartoffeln einfach im Supermarkt mitnehmen.

Grußlos fuhr Christian mit dem Trecker an ihr vorbei. Sie musste sich beeilen, das Abstellen des leeren Gülle-Hängers dauerte sicherlich nur eine halbe Stunde, dann wollte ihr Mann sein Essen haben.
Ein Mann müsste man sein. Da galt es schon als Schwerarbeit, wenn man neben dem Plausch auf der Landstraße auch noch den Trecker aufs Feld rangierte. Aber Martha war kein Mann. Auch, wenn sie eine Latzhose und ein völlig verschmutztes, verschwitztes und löchriges Hemd trug. Was die Welt so für eine Vorstellung von einer richtigen Frau hatte, konnte Martha jeden Abend im Fernsehen sehen. Elegante Weiber, mit schwerwiegenden Freizeitgestaltungs-Problemen. Freizeit? Was war das? Diese dusselige Heidi, die in ihrem ganzen Leben noch nie gearbeitet hatte, also jetzt richtig gearbeitet hatte, plärrte schrill: „Oh phantastisch! Ja, und dann gehen wir noch shoppen bei Paolo Visconte.“

Im Wohnzimmer, saß Martha, wo sie neben Socken auch einen Winterpullover strickte. Wenn die Klum mal Schwielen an den Händen hatte, dann sicher nur, weil sich mehrere Produzenten gleichzeitig von ihrem handwerklichen Können überzeugen wollte.

„Martha träum nicht!“

Christian war schon da und ging sich die Hände waschen. Sie war gerade erst fertig mit dem Kartoffelschälen. Nun musste sie sich sputen. Das Mittagessen, war für den Bauern ein heiliger Termin. Irgendwo musste die Kraft für das schwere Tagewerk ja herkommen.

Wie an jedem Tag saßen sie schweigend bei Tisch und aßen. Rechtzeitig füllte sie ihm Soße nach und setzte sie sich wieder. Als er fertig war und einfach aufstand, aß sie allein weiter. Der anschließende Abwasch war Pause genug für sie. Danach ging sie rüber in die gute Stube, wo Christian hinter der Zeitung saß.

„Mach schnell“, sagte er, ohne über den Rand der Zeitung zu sehen. „Ich muss heute noch für Hegemann Heu machen.“

Als wenn es an ihr lag, ob es schneller oder langsamer ging. Sie lutschte sein Glied, so motivierend sie konnte. Erfahrungsgemäß ging es schneller, wenn sie den Würgereiz ignorierte und den Bauernlümmel bis an das Zäpfchen kommen ließ. Christian grunzte zufrieden und richtete tatsächlich einmal das Wort an sie.

„Die nächsten Tage soll das Wetter halten. Wenn wir Glück haben kriegen wir alles trocken rein.“

Martha schluckte und beeilte sich ihn viel Glück dabei zu wünschen. Heute musste sie nur noch die Wäsche machen, die Schweine füttern, das Beet für den Kohl umgraben, ein bisschen putzen, die Kühe reinholen und vorher die Ställe ausmisten, spülen und wenn es ging, noch einen Termin mit dem Hausschlachter machen. Die Wurst wurde knapp. Und wenn der Bauer eins nun gar nicht vertragen konnte, was es, wenn die eigene Wurst ausging.

Die Hausschlachtungen waren vielleicht eine ihrer angenehmsten Pflichten. Nicht, dass sie das Blutbad mochte, aber sie mochte Kalle. Sie könnte nie mit einem Schlachter zusammenleben. Die Vorstellung war irgendwie gruselig. Aber Kalle an sich war lustig. Wenn sie schlachteten, dann war das eigentlich immer ein großer Spaß. Kalle kannte immer den neuesten Klatsch, Kalle war charmant und wenn man mal von seinem Tötungsdrang absah, war er ein echt netter Kerl.

Christian war endlich wieder vom Hof. Sie hatte seinen Geschmack noch im Mund und hätte es jetzt gern etwas ruhiger angehen lassen, aber die Zeit drängte. Wie jeder richtige Mann, erwartete Christian auch zum Abendbrot etwas Warmes. Bis dahin müsste sie einiges erledigt haben. Aber das war schneller erledigt, als man dachte. Routine halt. Sie hatte das Essen beinahe zu früh auf dem Tisch, weil Christian wegen des guten Wetters länger auf Lohn fuhr.

Nach dem Essen ruhte er sich endlich mal vor dem Fernseher aus. Der Tatort war schon dreiviertel vorbei, als Martha die Küche fertig hatte und sich wieder an ihr Strickzeug setzte.

Eigentlich hätte sie jetzt gerne mit Christian gesprochen. Einfach, weil sie heute eigentlich mit noch niemandem gesprochen hatte, aber sie wusste, dass Christian jetzt seine Ruhe brauchte. Als sie sah, dass sein Bier fast leer war und holte ihm noch schnell ein Neues, bevor er nörgelig wurde. Er mochte es nicht, wenn sie so unselbständig war und man ihr immer sagen musste, was zu tun war.

Sie machte sich an wieder an seine Socken und hatte wie immer nicht mitbekommen, wer und warum wen jetzt ermordet hatte. Der Mann verbrauchte halt Socken, dass man glauben könnte, er würde die Heuernte zu Fuß einholen.

„Kommst du?“ fragte er, als er keine Lust mehr zum Fernsehen hatte. Schade, Martha hätte gern mal einen Film von Anfang bis Ende gesehen.

„Ja gleich.“ Sie machte noch überall Licht aus, sah nach dem Rechten und ging hoch ins Schlafzimmer. Waschen und Zähneputzen könnte sie später, jetzt musste sie erst mal dafür sorgen, dass Christian einschlafen konnte.

Sie streifte die Latzhose ab, zog ihre Miederhose, die sie seit einigen Jahren brauchte weil ihr Bauch immer nachgiebiger wurde, herunter und legte sich bäuchlings aufs Bett.

Christian hatte sich die Zähne geputzt und kam ins Schlafzimmer. Er drückte ihre Schenkel ein wenig mehr auseinander und sein Glied gegen ihren Darmausgang.

„Nicht schon wieder in Arsch, Christian. Bitte, das ist unangenehm.“

„Ich hab‘s dir doch schon gesagt. Es ist sonst einfach nicht eng genug. Was weiß ich von wem du dich den ganzen Tag über immer so ausleiern lässt, wenn du hier allein zuhause bist und dich langweilst. Das ist doch wohl nicht meine Schuld!“

Es brannte heftig, als er sich in sie reinbohrte. Martha hasste das. Aber er machte es ja auch nicht immer. Meist nur an Tagen, an denen er wohl besonders schwer gearbeitet hatte. Heute war offenbar so ein Tag. Der Schmerz hielt sich irgendwann auf einem Niveau, wo er eigentlich als solcher nicht mehr wahrzunehmen war.

„Na siehst du. Ich weiß doch, was du brauchst!“

Eigentlich stöhnte Martha nur deshalb, weil der Schmerz nachließ, wie bei einer Verstopfung, wenn der harte Kern allmählich nachgab. Sie sagte aber: „Ja, du bist der einzige, der es mir richtig besorgen kann!“

Christians Hand krallte sich in ihre Brust, was sicherlich mehr wehgetan hätte, wenn sie keine festen BH getragen hätte. Aber es war auch ein gutes Zeichen, denn es hieß, dass es gleich vorbei sein würde.

„Oh ja, besorg es mir gleich noch mal.“

Sicherlich wäre es das letzte gewesen, was Martha jetzt gewollt hätte, aber sie wusste, dass er es jetzt nicht halten konnte, selbst wenn gewollt hätte. Und richtig, plötzlich glitt er wie geschmiert in sie rein und raus.
„So ein Leben möchte ich auch mal haben“, behauptete Christian. „Den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen und abends kriegst du es auch noch richtig besorgt.“

Er sackte auf ihrem Rücken zusammen, wie ein nasser Sack.

Ja, sie war wirklich zu beneiden. Den ganzen Tag arbeitete sie sich die Finger wund und abends wurden ihr zum Danke auch noch die Hämorriden zum Platzen gebracht. Claudia Schiffer würde sicherlich liebend gern mit ihr tauschen.

Christian rollte sich schwerfällig von ihr runter.

„Ja, leck mich doch am Arsch!“ hätte sie schreien sollen, aber stattdessen zog sie schweigend ihre Miederhose wieder hoch und stellte fest das Christian schon so gut wie eingeschlafen war.


*

Martha saß im Bad auf dem Klo und putze sich die Zähne. Sie betastete den einen einsamen Tropfen Blut, der an ihrem Oberschenkel hinab rann. Sie war wütend. Warum tat er das immer? Na gut, dass sie Hämorriden hatte, das war jetzt nicht wirklich seine Schuld, aber ...

Sie fühlte noch den Phantomschwanz in ihrem Hintern. Sie fühlte ihn noch in tief sich. Das Brennen. Aber sie mochte ihn jetzt nicht mehr in sich haben. Jetzt war endlich Feierabend. Sie hatte Feierabend.

Martha hörte das Schlusssignal der Spülmaschine. Statt ins Bett ging sie hinunter in die Küche. Jetzt konnte sie auch noch die Spülmaschine auf Kipp stellen, dann trocknete das Geschirr besser.

Ach, und wenn sie schon dabei war, konnte sie ebenso gut noch das Geschirr ausräumen. Sie nahm sich einen Schnaps aus dem Kühlschrank und räumte das Geschirr ein. Das große Messer mit dem sie immer die Hühner köpfte war auch dabei. Martha dachte an Kalle. Ein bisschen zurückgeblieben. Aber ein guter Mann. Einer, der ihr helfen würde.

Sie schaute sich die Klinge an. Sie sah, wie sich ihr Antlitz in der Klinge spiegelt. Sie war schön, selbst so wütend. Sie könnte eigentlich jeden Mann haben. Zumindest hier im Dorf. Sie trug das Messer wie eine Reliquie ins Schlafzimmer, wo Christian lag und den Schlaf des Gerechten schlief.

Ihre blassen Knöchel umkrampften die Klinge. Ein einziger Stich, ein Schnitt und sie wäre frei.

Kalle könnte ihr bestimmt helfen ihn zu zerlegen. Als geräucherte Wurst schmeckte er ihr sicherlich sehr viel besser zum Mittagessen. Sie würde ihn auf ihr Brot verstreichen, seinen Schinken mit Salzkartoffeln genießen, seine Eingeweide in Weinsoße zu einem Festmahl zubereiten. Sie hasste ihn ...

„Hast du denn noch nicht genug!“ murmelte Christian, als er im Halbschlaf merkte, dass sie an seiner Bettseite stand. „Gott, ich bin so müde!“

Martha ließ das Messer sinken. Sie wusste, dass es eigentlich in die mittlere Schublade neben der Spüle gehörte. Und morgen würde sie damit Pupsi, die Sau in der rechten Box schlachten, mit Kalle. Es würde eine gute Wurst geben. Sie würde ihrem Mann das Abendbrot zubereiten, wenn er erschöpft von der Feldarbeit heim käme. Und dann, ... würde er es ihr wieder besorgen, wie nur ein richtiger Mann es kann. Ihr Mann.



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