Das ist meine Frau!

Kurzkrimi

Alexander fand nicht, dass er eifersüchtig war. Aber Sarah war da ganz anderer Ansicht. Immer wieder forderte sie ihn auf ihr doch zu vertrauen. Aber genau das fiel ihm ja so schwer. Wie gesagt er war nicht der eifersüchtige Typ, eher vielleicht der übervorsichtige.

Besonders seit er seinen Job verloren hatte und nun allerlei unterqualifizierten Tätigkeiten in einem Geschäft für Bastelbedarf nachgehen musste, während seine Frau zur selben Zeit eine steile Karriere bei einem großen Internet-Dienstleister machte, hatte er sich eine gewisses Skepsis den Dingen gegenüber zugelegt.

Mit diesen geschnöselten Jungbullen, die tagtäglich um seine Weib herumschwänzelten, konnte er sowieso nicht mithalten und seit seinem beruflichen Untergang schon erst recht nicht. Inzwischen hing er nicht nur emotional, sondern geradezu existentiell an seiner Frau.

Wenn sie ihn mal mitnahm zu einer der Firmenfeiern musste sich Alexander stark zusammenreißen, um nicht übermäßig dem Trunke zuzusprechen. Ewig hatte einer dieser Schnösel seine Hand an seiner Frau. Beim 10jährigen Jubiläum war es besonders schlimm gewesen, da hatte einer vom Vorstand sogar seine Hand an ihrem Hintern gehabt und Alexander wusste, dass er in diesem Moment ihre Strapse befühlte. Bei dieser Gelegenheit hatte es ihm gereicht. Er hatte die Hand wenig zart beiseitegeschoben und mit einem ruhigen Zittern in der Stimme gesagt: „Das ist meine Frau!“

Der Kerl in seinem Armani-Anzug hatte die Hand nur elegant zurückgezogen und freundlich lächelnd geantwortet: „Natürlich.“

In diesem Moment war Alexander klar geworden, dass er nie mit Sicherheit wissen würde, ob dieser Kerl ihrem Hintern nicht schon sehr viel näher gekommen war, als er es mit der Hand je gekonnt hätte. Diese Scheißkerle waren so selbstsicher und so verdammt überheblich. Die glaubten ganz tief drinnen, dass sie ihren Ferrari tatsächlich mit ihrer eigenen Hände Arbeit verdient hätten. Dabei konnten sie damit noch nicht einmal eine Apfelsine schälen. Da war denen doch jeder Affe weit voraus.

Sarah hatte ihn an diesem Abend gerettet. Sie hatte ihn wortlos zu sich herangezogen, ihren Arm um ihn gelegt, ihn ganz festgehalten und gesagt: „Ja, tut mir leid. Das hier ist mein Mann!“ Sie hatte ihn auf die Wange geküsst und all diesen Strebern vorgestellt. Womit hatte er so eine Frau überhaupt verdient? Mit seiner Hände Arbeit sicherlich nicht.

Trotzdem: Der Zahn der Eifersucht nagte immer wieder mal an seinem Bewusstsein.

Besonders, wenn Sarah übers Wochenende zu Meetings nach Frankfurt musste, zerrte es in Alexanders Brust. Wie sie sich auch immer zurechtmachte. Selbsthaltende Nylons, französische Spitzenwäsche, weiße gestärkte Bluse und graues Nadelstreifen-Kostüm. Seit sie das operative Geschäft von Zeldafax leitete, hatte sich ihr Aussehen und ihre Garderobe ins Spitzensegment verlagert. Als sie sich heute für das Meeting vorbereitet stand Alexander in der Tür und betrachtet stolz und angsterfüllt, wie sie sich einparfümierte. Ihre berufsbedingten Implantate standen vor wie in Alabaster gemeißelt und gaben der elegant schwächelnden Spitzenkonstruktion ihres Büstenhalters seinen natürlichen Halt. Früher hatte sie immer einen 80c Doreen getragen, nun war es La Perla 75f. Einer der wenigen rundum erfreulichen Aspekte ihrer Karriere.

Sarah lächelte ihm im Spiegel zu. Wärest du eine halbe Stunde früher gekommen, hätte ich dir schnell noch einen geblasen aber jetzt muss ich leider schon beeilen und hab schon den Lippenstift drauf.

„Ist schon gut, ich musste noch die Wäsche machen“, gab Alexander zurück. Er wusste, dass sie das gemacht hätte. Aber das war ihm nicht wichtig. Wenn sie zuhause war, war eh alles gut. Er war glücklich und zufrieden. Aber leider war sie nicht immer zuhause. Und wie gesagt, er war halt der ängstliche und vorsichtige Typ.

„Musst du da wirklich hin?“ fragte Alexander mit einem verzweifelten Rest an Hoffnung.

Sarah lacht. „Ich bin ja nur die Vorsitzende des Meetings.“

Sie küsste ihn flüchtig, während sie an im vorbeiging und dabei ihre Bluse schloss. Seine Hand schnellte vor und umfasste ihre silikongepolsterte Brust. Sie lächelte. Sie schob seine Hand nicht weg und sagte: „Am Sonntag. Am Sonntag mach ich es wieder gut!“ Alexander ließ sie los und ziehen.

Im Flur sah er ihren runden und in den hohen Pumps angespannten Waden sehnsüchtig nach. Ja, das war seine Frau. Er sah, wie sie vor der Tür auf das Taxi wartet. Am liebsten wäre er ihr nachgegangen. Aber sein Blick fiel auf die kleine Tasche mit ihrem Laptop, die noch im Flur stand.

„Mist!“ fluchte er leise. Er schnappte sich die Tasche und rannte raus. Aber gerade als er sie rufen wollte, schlug sie die Tür der Taxe zu und der Fahrer gab Gas.

Alexander überlegte nicht lange. Sein Auto stand gleich links in der kleinen Auffahrt. Er schwang sich hinters Steuer und gab Gas. Er war sicher, er würde sie spätestens am Flughafen eingeholt haben.

Doch irgendwie schien der Taxifahrer nicht ganz den Plan zu haben. Alexander hatte sich korrekt eingeordnet und war völlig überrascht, als der Taxifahrer ohne blinken rechts abbog. Eigentlich hätte er sie schon so gut wie eingeholt, doch nun musste er französisch wenden und sehen, dass er das Taxi noch erwischte.

Wo wollte sie bloß hin? Alexander war irritiert. Der Flughafen lag westlich von ihnen und der Fahrer fuhr weiter Richtung Norden ins Industriegebiet. Alexander hatte jetzt gar nicht mehr den Ehrgeiz das Taxi einzuholen. Er wollte nur dran bleiben und sehen, wohin die Reise ging. Ein alter Stachel war zu neuem Leben erwacht und je länger die Fahrt ging, desto sicherer wurde Alexander, dass seine Frau ihn doch betrog.

Eigentlich hatte er schon ein kleines, verschwiegenes Hotel irgendwo in Cityrandlage erwartet. doch das hier war ganz etwas anders. Das Taxi hielt vor einer alten Fabrikhalle. Und dann stach die Herzinfarktwarnung in Alexanders Brust. Der Fahrer war ausgestiegen und um seinen Wagen herum gegangen und hatte seine Frau wie ein frisch verliebter Gockel aus dem Wagen gehoben und über die Schwelle zu seinem Loft getragen.

„So also!“ dachte Alexander. „Nicht einer dieser Schnösel. Nein. Es musste so ein Lebenskünstler sein. Verkrachte Existenz, Dreitagebart und mit einem Nebenerwerb, weil er seine Bilder nicht verkaufte.“

Als Tarnung war das perfekt. Alexander war nie misstrauisch gewesen, wenn ein Taxi vor der Tür gehalten hatte, um seine Frau abzuholen. Die Mischung aus Angst und Wut bescherte Alexander einen hochwertigen Adrenalinschub.

Was stand er hier rum und dachte lange nach? Längst war er ausgestiegen und überlegt, ob er da jetzt hoch stürmen sollte. Was für eine Frage? Das war seine Frau da oben. Da sollte dieser Gigolo mal schön seine Finger von lassen.

Mechanisch griff Alexander nach der handlichen Metallstange, die aus einem der Schrotthaufen neben dem Hallentor ragte. Offenbar eine Querstange vom Gerüstbau. Wirklich praktisch. Und handlich. Alexander ging leise die Stufen der Betontreppe hinauf. Solide gegossen, die karrten nicht.

Daher hörte ihn sein Nebenbuhler auch nicht kommen. Der Kerl hatte nicht mal eine abschließbare Tür in seinem „Loft“. Das war ja wohl eine ganz arme Sau. Alexander hätte am liebsten vor Wut geschrien, aber dann hätte er das Überraschungsmoment eingebüßt. Er stand jetzt nur fünf Meter hinter dem Mistkerl, der über ein marodes Eisenbett, das völlig verloren in der Lagerhalle herumstand, gebeugt war. Alexander erwischte den Mann, wie dabei war Sarah mit einem Strick zu fesseln. Er wusste also schon, wie sehr sie auf diese Bondagezeug stand. Dann ging das wohl schon länger, ... Aber jetzt nicht mehr. Nicht mehr lange.

„Das ist meine Frau!“ schrie Alexander ungewöhnlich schrill. Hing wohl mit seiner Angst zusammen. Gleichzeitig schlug er mit dem Metallstück zu. Sein Nebenbuhler war völlig überrascht. Den ersten Schlag konnte er gar nicht abwehren. Den zweiten hätte er sicherlich abwehren können, wenn er nicht schon das Bewusstsein verloren hätte. Und da Alexander der vorsichtige Typ war, drosch er gleich noch zweimal auf den Mistkerl ein.

Er starrte auf den reglosen Körper am Boden, auf das Blut, das langsam unter seinem Hinterkopf hervor sickerte und war irgendwie zufrieden mit seinem Werk.

Vergeblich wartet er darauf, dass seine Frau ihn anschrie. Ihn fragte was er getan hätte. Als er Blick hob, sah er, dass sie gar nichts sagen konnte, solange sie noch das Klebeband über dem Mund hatte.

Vorsichtig zog er es ab. Aber seine Frau blieb ruhig. Sie hatte bisher nicht einmal die Augen geöffnet. Sie war ohnmächtig. Alexander setzte sich auf den klapprigen Stuhl neben dem Bett und wartete. Aber seine Frau regte sich nicht. Schließlich wurde es ihm zu bunt. Er rüttelte sie, doch sie stöhnte nur leicht.

Alexander sah auf den Körper am Boden. Eigentlich stand Sarah gar nicht auf südländische Typen. Sie stand eindeutig mehr auf Skandinavier und was Alexander schon immer belustigt hatte auf Asiaten.

Mit respektvollem Abstand durchsuchte Alexander die Taschen des Mannes. Er fand ein Foto von seiner Frau mit Datum, Uhrzeit und Adresse auf der Rückseite. Einen Zettel mit einer Telefonnummer, die, wenn er sich nicht irrte, die Nummer der Frankfurter Zentrale von Zeldafax war. Vielleicht auch nicht. Aber sie kam ihm irgendwie bekannt vor. Außerdem war da noch eine Skizze vom Stadtpark mit einer Markierung und der nulllastigen Zahl von einer Million Euro. In diesem Moment dämmerte es Alexander, dass dieser Typ vielleicht gar kein Verhältnis mit seiner Frau hatte.

Er sah noch einmal zu seiner Frau hinüber. So oder so. Er musste sich stellen. Entschlossen wählte er die Notrufnummer der Polizei.

*

Für die Beamten war der Fall viel klarer als für Alexander. Seine Frau war unter ärztlicher Behandlung auf dem Weg der Genesung. Offenbar hatte man versucht sie zu entführen, um von Zeldafax Lösegeld zu erpressen. Und es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass Alexander ihr wegen des Laptops nachgefahren war. Aber er hätte wirklich auf das Einsatzkommando warten sollen, als er gemerkt hatte, dass seine Frau in Gefahr war, statt es todesmutig mit dem Entführer allein aufzunehmen. Das war doch Wahnsinn. Zudem hatte Alexander Glück. Der illegale Iraker wurde nicht nur von der Polizei gesucht, sondern hatte auch noch überlebt. Gut, er würde sich wohl an nichts mehr erinnern, nicht mal mehr an seinen Namen, aber er war nicht tot.

Was auch immer jetzt geschah, Alexander war zuversichtlich, dass niemals jemand erfahren würde, warum er mit dem Eisenrohr in der Fabrikhalle gewesen war.

Er begleitete seine Frau noch ins Krankenhaus, bevor er seine Aussagen auf dem Präsidium wiederholen würde. Unvermittelt griff seine wiedererwachte Frau nach seiner Hand.

„Ich bin deine Frau, das kannst du mir ruhig glauben!“ sagte sie mit matter Stimme. „Und ich danke dir, dass du so um mich kämpfst.“
Alexander kannte seine Frau lange genug, um zu wissen, was sie wusste.

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