Mittwochnachmittag, die Innenstadt war brechend voll. Mitten drin schlich Franzl durch die Kaufhäuser. Er drückte sich vorzugsweise in der Abteilung mit der Damenoberbekleidung herum, auch schon mal bei der Wäsche, seltener bei der Herrengarderobe. Franzl behielt die Umkleidekabinen der Damen genau unter Obacht. Er brauchte nur fünf Minuten, um sein erstes Opfer für heute auszuspähen. Eine junge Frau, so Mitte zwanzig, betrat mit drei Röcken über dem Arm die Anprobe-Kabine. Hurtig suchte sich Franzl eine freie Kabine neben ihr, schlich unbemerkt von der Verkäuferin hinein und schloss den Vorhang. Jetzt hieß es Geduld haben und den richtigen Moment abwarten. Franzl bückte sich und sah unter der Kabinenwand hindurch in die Nachbarkabine. Da fiel auch schon der Rock zu Boden, wurde hochgehoben und gleich darauf einer der neuen anprobiert. Zum Glück hatte sie die Handtasche nicht mal auf den Hocker gestellt, sondern gleich neben sich auf den Fußboden. Die Frau schien schwer mit ihrer Anprobe beschäftigt zu sein. Franzl fischte schnell mit einem Arm unter der Trennwand her und griff nach der Tasche.
Seine Hoffnung, dass sie nichts davon merkte, ging nicht auf.
„Was soll das denn?“ kreischte die Frau hysterisch und trat reaktionsschnell auf die in ihre Kabine eingedrungene Hand. Als Franzl es geschafft hatte, die Hand zurückzuziehen, sah er einen blutig roten, pfenniggroßen Fleck. Warum hatten gerade die Frauen, die ihre Schuhe beim Umziehen anließen, immer so besonders spitze Absätze? Und warum hatte er nicht daran gedacht, dass er sich vorgenommen hatte, nur noch Frauen auszuwählen, die Hosen anprobierten. Die mussten ja die Schuhe ausziehen. Das war beileibe nicht sein erster Pfennigabdruck auf der Hand.
Jetzt sollte er ganz fix das Kaufhaus verlassen. Frauen die einen traten, riefen auch immer gleich nach der Polizei.
„Überfall! Polizeeei!“ kreischte es auch schon aus der Nachbarkabine. Franzl riss den Vorhang zurück und rannte los. Doch der Vorhang der Nebenkabine war ebenfalls bereits zurückgezogen worden. Sie sah wirklich niedlich aus, mit dieser Blümchenunterwäsche, dachte Franzl noch, als er an ihr vorbeirennen wollte. Das hätte er vielleicht nicht gedacht, wenn er gewusst hätte, dass er Sekunden später das Objekt seiner Begierde, nämlich ihre Handtasche, an die Ohren kriegte. Es knallte ordentlich in seinem Hirn und das Ohr wurde kochend heiß. Dennoch es gelang ihn über die Feuertreppe zu entkommen. Franzl verließ unbehelligt das Kaufhaus und mischte sich unter die Passanten.
Solche Fehlschläge musste man in Kauf nehmen. Trotzdem war das ein bombiger Trick. Wenn die Opfer überhaupt bemerkten, dass sie beklaut wurden, vermieden sie es meist, halbnackt, durch das Kaufhaus hinter ihm herzulaufen, oder sonst wie Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Franzl versorgte seine Wunde und betrat dann das nächste Kaufhaus. Neues Spiel, neues Glück. Sein nächstes Opfer war schnell gefunden. Eigentlich war es gar kein richtiges Opfer. In der leeren Umkleidekabine hatte jemand einfach seine Handtasche stehen lassen. Ein schneller Griff und Franzl war mit der herrenlosen Tasche auf dem Weg zum Ausgang. Er war keine fünf Meter weit gekommen, als mehrere Sicherheitsbeamte in Uniform auf ihn zuliefen.
„Lassen Sie Tasche stehen!“, schrie ihn der erste an. „Bleiben Sie stehen, und stellen Sie sofort die Tasche ab!“
Kein Gedanke.
“Eine Falle!“, dachte Franzl und rannte los. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einer ganzen Horde von Ordnungshütern im Menschengewimmel einer Einkaufsstraße entwischt wäre.
„Verdammt!“ schrie einer der Verfolger. „Bleiben Sie doch stehen!“
Franzl hatte die Rolltreppe erreicht. Hastig nahm er jeweils zwei Stufen auf einmal, schubste dabei einige Kunden aus dem Weg. Eine Frau, der er die Einkauftaschen aus der Hand geschlagen hatte, schaffte es aber immer noch, ihm eins mit dem Schirm in der anderen Hand zu verpassen. Und wieder auf das Ohr. Verdammt nochmal. Dann stand Franzl unmittelbar vor dem sechstürigen Ausgang.
Gerettet! Die Uniformierten waren noch immer hinter ihm her, aber er hatte eineinhalb Treppen Vorsprung erlaufen. Vor ihm aber stand eine ganze Reihe von Polizisten, die wie eine Kette den Eingang abriegelten.
„Zum letzten Mal!“ rief es hinter ihm von Rolltreppe. „Stellen Sie die Tasche ab!“
Franzl dachte gar nicht daran. Er war noch nie der Typ gewesen, der in solchen Situationen aufgab. Er nahm die Tasche wie einen Football, fest unter seinen Arm und legte seine ganze Kraft in einen gewaltigen Anlauf. Damit würde er über die Abwehrkette hinwegfliegen. Zwei Meter vor der Kette sprang er ab. Hechtete mitten hinein in die Kette. Jedenfalls, wenn die Kette stehengeblieben wäre. Aber das tat sie nicht. Die Polizisten sprangen selbst in alle Himmelsrichtungen von ihm weg!
„Sie geht hoch!“ rief einer der Polizisten. Dann ging alles sehr schnell. Franzl sah hinab zur Tasche, sah den flatternden Zettel. Brauchte nur einen kurzen Blick, um die großen Buchstaben in seinem Kopf zusammen zu setzen: „D-A-G-O-B-E-R-T“ Richtig gelesen? Ja! „Letzte Warnung und letzter Gruß von euerm Dagobert“, stand in roten Lettern auf dem Zettel.
Auch Franzl las Zeitung und wusste, was jetzt gleich geschehen würde. Während die Polizisten in Deckung sprangen, zerriss die Bombe mit lautem Knall mitten im Flug nicht nur Franzls Trommelfell.
„Bombiger Trick!“ grunzte einer der Uniformierten, als er auf die Überreste der Tasche und Franzl blickte. „Ich dachte, er wollte den Sprengsatz irgendwo da oben anbringen, aber damit doch nicht als lebende Kanonenkugel durchs Kaufhaus fliegen.“
„Wollte er ja auch“, erwiderte sein Kollege. „Aber der Knallkopf hier musste die Tasche ja unbedingt klauen, bevor wir sie entschärfen konnten.“
„Dann war das gar nicht der Kaufhauserpresser?“
„Ach wo, nur irgend so ein kleiner Taschendieb.“
„War wohl nicht gerade sein bester Tag, nicht wahr?“
„Ne, nicht wirklich, kann man echt nicht sagen.“
Bombiger Trick (33) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1997. Alle Rechte vorbehalten.