Die Frau des Bestatters

Korinna hätte wirklich gerne einmal etwas Rotes getragen, oder etwas Blaues vielleicht. Wenigstens farbige Unterwäsche, das wäre doch nun wirklich drin gewesen. Einen schönen bordeauxroten BH vielleicht. Aber Justus war in dieser Hinsicht kompromisslos. Schwarz, sonst nichts. Das war eine Frage der Pietät. In seinem Gewerbe war man durchweg in Trauer. Und zwar durch und durch. So kam es, dass Korinna nun schon seit über 15 Jahren das Leben einer verlustfreien Witwe führte. Korinna war in Dauertrauer.

Das war aber nicht immer so gewesen. Als sie Justus kennengelernt hatte, führte noch sein Vater das Geschäft. Schwarz war natürlich schon damals seine bevorzugte Farbe, aber das hatte Korinna nicht gestört. Sie mochte Schwarz. Aber nicht nur.

Kurz nach der Hochzeit, war ihr Schwiegervater gestorben und Justus hatte das Geschäft übernommen. Auch damals war es für ihn noch ein Job wie jeder andere gewesen und in seiner Freizeit trug er gerne mal Jeans und farbige T-Shirts. Korinna war stolz gewesen die Frau eines Bestatters zu sein. Das war schon etwas Besonderes und bot Gesprächsstoff auf jeder Party. Eigentlich war alles gut gegangen, bis zu dem Tag an dem Justus den Auszubildenden in einer 35jährigen erwischte, die unerwartet an einem Schlaganfall gestorben war. Justus war wie gesagt konsequent. Er schmiss den Auszubildenden sofort raus. So etwas hätte er in seinem Institut nie geduldet.

Doch wie sich herausstellte war die Sache damit nicht wirklich abgetan. Die Angelegenheit beschäftigte Justus noch tagelang. Dann hatte er Korinna gestanden, dass sein Vater ihn, als er 15 war, im Keller erwischt hatte, als er seine Hand auf der Brust einer toten Frau liegen hatte. Er hatte da kein sexuelles Interesse gehabt, nicht an der Frau, nicht weil sie tot war. Er wollte einfach nur einmal eine Frauenbrust anfassen und er dachte die Gelegenheit sei günstig und es würde niemanden stören.

Sein Vater hatte ihn daraufhin, das erste und einzige Mal in seinem Leben, mit seinem Gürtel geprügelt. Anschließend musste er drei Nächte lang Totenwache neben der Frau halten und nach der Einäscherung ihre Asche in die Urne füllen. Bis zu diesem Tag hatte er nie etwas mit den Geschäften seines Vaters zu tun gehabt. Doch von da an wurde er von seinem Vater angelernt. Und das oberste Gebot war der Respekt vor den Toten.

Und diesen Respekt forderte Justus nach der Sache mit dem Auszubildenden auch von seiner Frau. Seit dieser Zeit trug sie nur noch Schwarz, war in beständiger Trauer, genau wie ihr Mann.

Das Geständnis, dass er als Jugendlicher eine tote Frau unsittlich berührt hatte trieb einen Keil zwischen ihn und Korinna. Sie war sich nicht mehr sicher, was er dort unten im Keller mit den Toten trieb, oder ob er was trieb, oder vielleicht nur was treiben wollte.

Lange konnte sie ihre Zweifel nicht für sich behalten und fragte ihn eines Abends direkt, ob er vielleicht doch nekrophil sei. Sie selbst war geradezu nekrophob und zu wissen, dass ihr Mann sie womöglich mit totem Fleisch betrog war ein unerträglicher Gedanke.

Natürlich wusste sie, dass das nicht so war und dass Justus diese Dinge weit von sich weisen würde. Es hätte sie nicht verwundert, wenn sie Bekanntschaft mit seinem Gürtel gemacht hätte und sie hätte es wahrscheinlich nicht nur verstanden, sondern womöglich sogar genossen. Mehr jedenfalls als das Geheule. Justus war bei ihrer Frage sekundenschnell blass und sprachlos geworden. Korinnas Herz hatte angefangen heftig zu klopfen. Sie hatte Angst vor dem was sie jetzt zu hören bekam.
„Du hast doch nicht ...?“ fragte sie verunsichert.
„Nein, nein, niemals!“ versicherte Justus sofort. „Aber ...“
Was das „Aber“ betraf benötigte er einige Zeit ihr das auseinanderzusetzen, denn er unterbrach sich selbst immer mit Heulattacken.
Was Korinna schließlich hörte, war weit weniger schlimm, als das, was sie erwartet hatte. Justus mochte es wenn Frauen sich beim Sex nicht bewegten. Wenn sie nichts sagten und auch wenn sie schwarze Klamotten trugen. Das erschien Korinna damals als überhaupt kein Problem. Sie mochte es sowieso lieber, wenn sich Männer auf ihr lächerlich machten, als irgendwie motivierende Stöhnkonzerte von sich zu geben. Und was das Bewegen anging, das kam ihr eigentlich sehr entgegen. Wenn sich zwei Leute gleichzeitig bewegten, aber nicht denselben drive hatten, war das eh kontraproduktiv.
Damals einigten sie sich darauf, dass Korinna seine Vorstellungen bedingungslos erfüllen würde, wenn er ihr versprach nie wieder in ihrer Anwesenheit zu heulen.

So war sie zur Allzeit-Witwe geworden. Im Laufe der Jahre hatten sich Justus Fantasien immer mehr erweitert und waren für Korinna zur Belastungsprobe geworden. Was ihr weniger ausmachte, war es, sich wann immer es ging auf der Bahre im Keller oder im Sarg in der kleinen Kapelle von ihm berühren und besteigen zu lassen. Manche Sachen machte sie sogar richtig gerne. Wann immer er sich selbst als Leiche im Sarg liegend durch sein Glied reanimieren ließ, war sie mit Begeisterung dabei. Weniger prickelnd fand sie, sich oft stundenlang im kühlen Keller waschen und befummeln zu lassen. Was er im Laufe der Jahre so alles in ihren scheinbar leblosen Körper eingeführt hatte wollte Korinna so genau gar nicht wissen. Die Waschungen waren für ihn wichtig, weil ihr Körper dabei auskühlte, was ihn wohl besonders erregte. Sie ließ es sogar zu, dass er ihre Vagina zehn Minuten lang mit einem Eisbeutel von innen kühlte, um beim anschließenden Eindringen ein entsprechend realistisches Empfinden zu verspüren.

Doch irgendwie wusste Korinna, dass das alles immer so weiter gehen würde. Er würde sich steigern und er hatte längst den Boden unter den Füßen verloren. Nun war Korinna selbst in mancher Hinsicht durch ihre Erziehung gewissen Regeln unterworfen. Eine Regel war: Nur der Tod scheidet Eheleute sonst nichts. Wenn Justus gewusst hätte, wie eng sie sich an diese Regel gebunden fühlte, hätte er entweder Angst um sein Leben gehabt oder hätte noch ganz andere Dinge mit ihr gemacht. Und, da sie auch nicht töten konnte, hätte sie wahrscheinlich alles mitgemacht.

*

Vielleicht wusste Justus das nicht, vielleicht ahnte er es auch, aber wahrscheinlich war es einfach so, dass er seine Fantasien immer weniger unter Kontrolle hatte. Und solange er nicht fremdging, musste Korinna auf ihrer Sicht diesen Fantasien, die nicht ihre waren, folgen.

So kam es, dass sie eines Tages in den Spiegel sah. Nicht wirklich, sondern es war mehr die Tür zur kleinen Kapelle, aber vor ihr stand eine Frau, ganz in Schwarz, mit Netzschleier am kleinen Hütchen, schwarzen Nylons im hohen schwarzen Hackenschuh. Eine perfekte Witwe halt, wie es sie nur im Film geben konnte, oder wie sie selbst halt eine war.

Diese Witwe hatte einen Mann an ihrer Seite und dieser Mann war Bestatter. Es war Korinna egal, wie Justus dieses Pärchen aufgetrieben hatte. Sie wusste, was er sich dabei gedacht hatte. Gleichgesinnte eben. Korinna sah sich die Frau des anderen Bestatters neugierig an. Sie war bis auf die knallroten Lippen genauso farblos wie sie selbst. Der Mann trug einen Zylinder, den er artig vor ihr zog und sich vorstellte. Doch Korinna fragte sich nur, ob sie wirklich bereit war, dieser Frau die tiefgekühlte Vagina zu lecken oder was auch sonst ihr Mann nun wieder von ihr erwartete. Ob der Mann sich über sie hermachen würde oder nicht, war ihr ziemlich egal, aber wenn sie es mit dieser Frau treiben musste, dann könnte das schon unangenehm werden.

Offenbar dachte die Frau des Bestatters ähnlich, denn auch sie musterte Korinna argwöhnisch.

Am besten sie gönnte sich schon mal ein Glas Prosecco in der Küche, bevor sie die Gäste bewirtete. Wenn jetzt eine Nummer wie, zwei lesbische Leichen treiben es im Kühlfach auf sie zukam, sollte sie wirklich gut betrunken sein.

Julia hatte ein Glas vom Tablett genommen und mit ihr angestoßen. Die Männer wollten wohl nichts trinken. Sie leerte das Glas in einem Zug und nahm sich das nächste. Offenbar war ihr die Sache noch unheimlicher als Korinna. Korinna beschloss nachzulegen. Vielleicht hatte sie Glück und fiel unerwartet ins Koma.

Julia jedenfalls hatte sich gesetzt und griff nach der Flasche. Die Frau trank viel zu schnell. Korinna wurde beim dritten Glas Prosecco schon leicht schwindelig. Aber nicht so schwindelig wie Julia. Die sackte nämlich in diesem Moment bewusstlos auf dem Kanapee zusammen. Korinna lachte leise. Offenbar konnte sie nichts ab, oder hatte sich bereits zuhause vorgewärmt oder ... Korinnas Lächeln fror ein, während sie selbst bewusstlos zu Boden ging.

Als Korinna wieder aufwachte, lag sie nackt neben Julia im Bett. Sie konnte sich an nichts erinnern und Julias Mundwinkel zuckten nervös. Dann wachte auch sie so langsam auf. Es hatte ganz schön lange gedauert, bis Korinna begriffen hatte, dass dem Prosecco ein Schlafmittel beigemengt war. Noch länger hatte es gedauert bis sie begriff, dass alle außer ihr das gewusst hatten.

Julia schien gar keinen anderen Sex zu kennen, als den ohne Bewusstsein. Ihr Mann schien der irren Idee nachzuhängen, dass man seiner Frau das unangenehme Eindringen ersparen und sie bei solchem Tun lieber narkotisiert halten sollte. Julia hatte tatsächlich noch nie Sex bei normalem Bewusstsein gehabt. Zudem war Julia wohl leicht minderbemittelt und sprach nicht nur ihrem Mann zuliebe wenig.

Korinna fragte ihren Mann nicht, was sie mit den beiden bewusstlosen Frauen angestellt hatten. Sie wollte es gar nicht wissen. Sie war längst darüber hinweg, seine Handlungen zu bewerten. Sie war weit mehr Witwe, als er sich das vorstellte.

Friedrich und Julia kamen von nun an regelmäßig an den Wochenenden. Und jetzt wo Korinna wusste, dass sie die Beziehung zu den beiden eigentlich gar nichts anging, kippte sie sich brav rein, was ihr Minuten später das Bewusstsein raubte. Inzwischen begriff sie auch, dass sie immer wieder im Bett aufwachte, weil ihr Körper dann dringend diese Wärme brauchte.

Vielleicht wäre das alles so weitergegangen. Vielleicht hätte Korinna bis sie wirklich Witwe gewesen wäre, seine Bedürfnisse befriedigte, aber leider kam es anders.

Korinna war gerade dabei, die Nähte ihrer Nylons zu kontrollieren, als sie ein dumpfes Rumsen hörte. Sie wusste wie sehr ihr Mann auf Details achtete, deshalb zog sie die Nähte noch endgültig gerade, bevor sie in den Keller hinunter rief: „Alles in Ordnung?“

Offenbar nicht. Sie konnte nicht verstehen, was ihr Mann antwortete, aber sie hörte ihn Stöhnen. Als sie in den Präparationskeller kam, fand sie ihren Mann unter einer leblosen Frau von 130 Kilo oder etwas mehr. Er lag gleich neben der umgekippten Bahre, auf der er die Leichname vorbereitete.

„Hilf mir“, presste er durch die Zähne. Offenbar mangelte es ihm Luft.

Korinna wollte gerade den Arm der fetten Frau greifen, um sie irgendwie von ihm runter zu ziehen. Anscheinend war die Bahre unter dem Gewicht der Frau umgekippt und der leblose Körper hatte ihren Mann unter sich begraben.

Die Frau war wirklich schwer. Korinna ging um sie herum, um einen neuen Angriffspunkt zu wählen.

„Beeil dich!“ zischte Justus. „Ich ... krieg ... keine Luft!“

Bevor Korinna mit aller Kraft die Frau von Justus Körper wuchten konnte, sah sie Justus Glied zwischen den dicken Schenkeln der Frau hervorschauen. Sie hielt inne.

„Was ist?“ stöhnte Julius.

„Du steckt in einer fremden Frau! In einer toten fremden Frau und bittest mich um Hilfe?!“

„Was?“ So hatte Korinna noch nie mit ihm gesprochen. Außer das eine Mal, als sie darauf bestand, dass er nie wieder in ihrer Gegenwart heulen würde. Das zweite Versprechen, was er heute brach.

„Mein Hüfte ... Herrgott ... die ist ... gebrochen.“ Es war kläglich mit anzusehen, wie Justus immer wieder nach Luft rang. Die dicke Frau lag missionarisch auf ihm drauf und drückte ihm auf den Brustkorb.

Jammernd klagte er: „Meine Rippen ... auch ... gebrochen.“

„Du hättest nicht fremdgehen sollen“, stellt Korinna kühl fest. „Schon gar nicht mit einer Toten.“

Natürlich bereute Justus das und es würde auch nie wieder vorkommen. So jedenfalls verstand Korinna seine Äußerungen, zwischen Heulen, Fluchen und Luftholen. Das alles dauerte ihr zu lange. Sie setzte sich breitbeinig auf die Schulter der Dicken Frau und erhöhte den Druck auf Justus Brust noch. Er fluchte. Er bettelte. Aber für Korinna war die Sache klar. Er war fremdgegangen und sie war jetzt frei.

„Du ... bist ...mein ... e ... Frau ... ver ... damm.“

Viel kam da schon nicht mehr. Justus aber verbrauchte seine Luft zum Fluchen und wurde jede Minute schwächer. Justus wurde auch ruhiger und sein Kopf färbte sich immer dunkler.

„Scheiß!“ presste er mit einem atemlosen Zischen heraus. Korinna lächelte nur.

Justus Augen traten langsam aus den Augenhöhlen hervor und seine Augenlider klappten in immer kürzeren Abständen zu. Öffneten sich aber auch nach immer längeren Abständen wieder. Sehr lange musste Korinna nicht auf der dicken Frau sitzen und ihrem Mann beim Sterben zusehen. Es ging dann doch sehr plötzlich vorbei.

Nachweisen könnte man ihr nichts, da war sie sicher. Sie hatte geschlafen und ihr perverser Mann, von dem sie eigentlich gar nichts wusste war unterdessen von seiner nekrophilen Leidenschaft erdrückt worden.

Korinna war jetzt Mitte vierzig und anstandshalber würde sie sich noch ein Jahr als Witwe ihrer Trauer hingeben. Doch dann könnte sie das Schwarz ablegen, ihr Geschäft verkaufen und sich in sommerliche Farben gehüllt am Strand von Rimini in die Sonne legen. Dort würde sie sich dann von jedem lebenden Latinotypen mit einem warmen, gut durchbluteten Schwengel durchnudeln lassen.

Die Frau des Bestatters (64) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2011. Alle Rechte vorbehalten.