Aber dann hatte General Honk behauptet, dass das nicht Tsuns Kopf sein könne, weil er selbst ihn in der Schlacht enthauptet und den Kopf einem Bediensteten übergeben habe. Der jedoch nach der Schlacht nicht wieder aufzufinden war. Vermutlich habe Kobushi ihn entdeckt und getötet, um den Kopf des Generals als eigene Trophäe zu präsentieren.
Das war nichts ungewöhnliches, aber so konnte es nicht gewesen sein. Sukasi kannte Kobushi nicht nur gut, sondern er hatte auch in eben jener Schlacht neben ihm gekämpft und hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Kobushi den General erst tötete und anschließend enthauptete. Sukasi war bereit zu beeiden, dass sich dabei um genau den Kopf handelte den Kobushi dem Kaiser gezeigt hatte.
Kuhozasho jedoch verbat ihm auszusagen. Es verbat sich von selbst die Ehre des General Honk anzuzweifeln. Und was anderes wäre es gewesen, wenn hier Aussage gegen Aussage gestanden hätte.
Anders als die anderen Samurai seines Herrn wunderte es Sukasi keineswegs, dass Kobushi sich weigerte aufgrund einer falschen Aussage eines Generals Seppuko zu begehen. Auch, wenn er seine Familie damit geschützt und ihnen ein Leben im Wohlstand, auch ohne ihn, ermöglicht hätte. Kobushi, dass wußte Sukasi war eitel. Sein vielleicht einziger Fehler. Sein Begriff von Ehre ging über den normalen Begriff weit hinaus. Niemals würde er für einen anderen den Kopf hinhalten, wenn er nicht sein Herr wäre.
Überrascht hatte Sukasi jedoch, dass Kuhozasho seinem besten Samurai den Seppuko nicht befahl. So kam es, wie es kommen mußte. Kuhozasho wurde mit Kobushi zusammen zum Tode verurteilt. Man vermutete, dass Kuhozasho an dem Betrug mit dem Kopf des Tsun beteiligt war.
Jetzt wo beide tot waren, war Sukasi herrenlos. Ein Ronin. Aber ein Ronin in bescheidenen Verhältnissen. Er lebte mit etwa 16 anderen Samurai in dieser kleinen Siedlung, wo sie die Häuser mit ihrem winzigen Garten alle glichen. Ihr Lehnsherr war nicht besonders vermögend gewesen, sie lebten von etwas mehr als 50 Kuko. Das genügte so eben gerade um Frau und Kinder durchzubringen. Sukasi aber hatte keine Familie und wenn er keinen neuen Herrn fand mußte er wohl die Siedlung verlassen und sich als Ronin verdingen. Dem neuen Herrn, der ein Vasall von General Honk war, dem wollte er sich sicherlich nicht verpflichten.
Gut, die anderen hatten Familie, aber Sukasi konnte trotzdem nicht verstehen, warum sie unter dem Feind ihres toten Herrn dienen wollten. Für ihn galt die Verpflichtung des Samurai über den Tod hinaus, sofern der Tod des Herrn noch zu rächen war. So hatten es auch die 47 gehalten.
Sukasi steckte seine beiden Schwerter in den Obi und machte sich auf in das Isakaya, wo die anderen Samurai in letzter Zeit sich die Zeit vertrieben und auf den Tod ihres Herrn warteten.
Es wohl schon reichlich Sake geflossen. Die Samurai jedenfalls diskutierten heftig über ihren neuen Herrn, der noch diesen Monat Kuhozashis Anwesen übernehmen würde.
Natürlich plädierte Youki, der ehemalige zweite Samurai unter Kobushi dafür dem neuen Herrn die Treue zu schwören. Kein Wunder. Youki hatte eine Stellung, die ihm 500 Koku einbrachte. Es besass ein wunderschönes Anwesen auf dem Hügel gleich unterhalt von Kuhozashis Hof und neben dem von Kobushi, auf das er schon seit langem ein Auge geworfen hatte.
Sukasi würde sich nicht wundern, wenn er herausfände, dass Youki schon lange zu Honks Gefolge gehörte. Für ihn war Youki ein Verräter.
"Wir müssen den Tod unseres Herrn rächen!" mischte sich Sukasi in die Debatte ein.
"Es war ein Befehl des Kaisers!"
"Aber es war Unrecht!" verteidigte sich Sukasi, der wußte, wie schwer es sein würde, die anderen dazu zu bringen, sich gegen den Kaiser zu stellen.
"Wie kann es Unrecht sein, wenn es der Kaiser befiehlt?" fragte Youki.
Murmelnde Zuspruch von allen Seiten.
"Der Kaiser ist verraten worden. Von General Honk!" behauptete Sukasi. Es erschien ihm wenig sinnvoll gegen eine lebende Gottheit vorgehen zu wollen.
Wieder gab es murmelnden Zuspruch von den meisten der Samurai.
"General Honk genießt das Vertrauen des Kaisers. Willst du sagen, dass der Kaiser Recht und Unrecht nicht unterschieden kann!?"
Youki war ein Schlitzohr. Er war mit Argumenten so glitschig und gewandt,,, wie eine Schlange.
Die Samurai schwiegen und schauten gebannt auf Sukasi. Der hatte gehoffte, dass es ihm wenigstens gelänge die anderen gegen General Honk ins Felde zu führen. Aber gegen Youki hatte keine Chance.
"Ich sage: Wir rächen den Tod unseres Herrn. Tod dem Kaiser!" rief Sukasi in seiner Verzweiflung aus.
Zustimmung hatte Sukasi nicht ernsthaft erwartet. Es herrschte gespanntes schweigen. Alle wussten, dass sie eigentlich den Tod ihres Herrn rächen mussten, aber gegen den Kaiser zu ziehen, das war eigentlich nicht möglich.
"Sukasi beleidigt den Kaiser!" rief Youki und hatte seine Hand an seinem Katana. Noch zog er sein Schwert nicht. Der Feigling wartete auf die anderen. Doch auf Kommando legten die Samurai ihre Hände auf den Griff ihrer Katanas. Das war ein deutliches Votum. Jetzt fehlte nur noch ein "Hurra!".
Youki entblösste seine Klinge zuerst, aber er stand zur Sicherheit weit weg von Sukasi. Dem war es egal, ob er die Ehre seines Herrn hier oder im Kaiserpalast verteidigte. Beides war es wert dafür zu sterben.
Die Gastraum war eng und zwei der Samurai standen etwa einen halben Meter von ihm entfernt. Sukasi schätzte seine Chancen ab. Mit dem Ziehen seines Schwerte durchtrennte er gleich den Arm von Hiko, der neben ihm stand. Auch Koro gelang es nicht sein Schwert zu ziehen bevor er den Waffenarm verlor. Zwar war Sukasi von seiner Stellung her nur ein untergeordneter Krieger, aber er war vom Tokuso-Klan ausgebildet worden und hatte dem Hause Hatto als Spion gedient, bevor Kohusashi ihn entdeckt und ihm eine Heimat gegeben hatte. Von daher hatte er immer einige Kunai in seinem Obi versteckt.
Das kam ihm jetzt zugute. Zwei Angreifer traf er mit seinen Wurfdolchen noch bevor sie in Hiebweite ihrer Schwerter waren.
Sukasi sprang auf einen der Tisch und ein senkrechter Hieb spaltete einem seiner Gegner den Schädel. Alle Gegner auszuschalten damit rechnete Sukasi nicht, aber er würde seine Ehre teuer verkaufen. Soviel war klar.
Als acht seiner ehemaligen Mitstreiter vor ihm in ihrem Blut lagen und Youki immer noch nicht in Schlagdistanz war, wurde Sukasi böse. Seiner Meinung nach hätte er es sein müssen, der sich ihm zuerst in den Weg stellte. Aber irgendwie waren immer andere Samurai zwischen ihm und Youki. Ein Feigling war das, das war Sukasi jetzt klar. Ein Feigling und wahrscheinlich ein Verräter. Sukasi durfte nicht sterben, bevor er Youki gestellt hatte.
Die wenigen Schnitte, die Sukasi erlitt nahm er gar nicht war. Er hatte nur noch ein Ziel: Youki!
Wie ein Löwe kämpfte er sich durch. Und tatsächlich stand er plötzlich vor Youki. Der holte aus, um ihm den finalen Hieb zu versetzen. So weit kam es aber nicht. Noch beim Ausholen hatte Sukasi ihm mit unbändiger Wut den Unterleib durchtrennt. Ob Youki noch sah, wie sein Darm aus seiner Bauchhöhle zu Boden fiel, wusste Sukasi nicht. Jedenfalls blieben seine Arme wie eingefroren in der Luft und Schwert fand sein Ziel nicht mehr.
Sukasi wurde schwindelig. Er wußte, dass er viel Blut verloren hatte. Er stützte sich auf sein Katana.
"Sake!" schrie er den Wirt an. "Einen Krug!" Was sollte er mit einem Becher?
Dreiviertel des Kruges kippte er auf die Stellen seines Körpers, wo er die Verletzungen vermutete. Er nahm nicht einmal ein Brennen war. Entweder war es nicht so schlimm oder noch viel schlimmer.
"Mehr Sake!" rief er und sagte in sich zusammen.
Sukasi hockte auf dem Boden uund hielt sich an seinem Schwert fest. Der Wirt brachte Sake, aber stellt ihn einen halben Meter vor ihm ab. Näher wollte er nicht kommen. Sukasi wäre zu dem Krug gekrochen, wenn es sich geziemt hätte. Aber so ... Was blieb ihm. In seinem Viertel hatte er nur Witwen hinterlassen, sein Herr war tot, dem neuen wollte er nicht dienen und Schuld an allem war der Kaiser.
Es gab nur einen Weg. Edo. Was war er nur für Samurai, der sein Katana als Krücke benutzte? Aber Sukasi verließ das Isakaya mit unsicheren Schritte. A^8uf sein Schwert konnte er sich immer verlassen und so auch jetzt. Es war jetzt seine einzige Stütze auf dem Weg, die Ehre des Hauses Kohusashi wieder herzustellen.
Kaum hatte er die Stadt verlassen, folgten dem Ronin aus dem Reihenhaus in sicherem Abstand die Bauern aus der Umgebung und warteten wie die Hyänen auf seinen letzten Schritt.
Der Reihenhaus-Ronin (136) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2015. Alle Rechte vorbehalten.