Der Gartensitter

Endlich hatte sich Vera dazu durchgerungen ihre Tochter zu besuchen. Sie hatte Corinna seit über drei Jahren nicht mehr gesehen. Australien war weit und Vera unheimlich. Aber jetzt hatte sie sich ein Herz gefasst. Acht Wochen sollten es sein, sonst lohnte sich die lange Reise ja nicht.

Den Hund konnte sie natürlich nicht mitnehmen, aber dafür hatte sie schnell einen Hundesitter gefunden. Das war gar kein Problem gewesen. Aber ihr Schrebergarten? So mitten in der Saison konnte sie den wohl nicht 8 Wochen allein lassen.

Nachdem sie schon einen Hundesitter gefunden hatte, suchte sie nun im Internet nach einem Gartensitter. Wenn es Hundesitter gab, warum sollte es dann so was wie einen Gartensitter nicht geben?

Und richtig, so etwas gab es. Sie fand gleich zwei Angebote. Bei dem einen rief sie gleich mal an. Der Mann schien sein Handwerk zu verstehen. Und teuer war es auch nicht.
„Ja, ja, zweimal die Woche Rasen mähen und Kanten trimmen und einmal die Woche durch die Beete gehen.“ Alles klar. Für die 8 Wochen wollte er 260,- Euro haben. Das war wirklich günstig.

Vera vereinbarte einen Termin, um Herrn Prüter die Schlüssel für die Laube und den Geräteschuppen zu geben und alles weitere mit ihm zu besprechen. Der Gartensitter war ein sympathischer älterer Herr, der wohl selbst über 20 Jahre in einem Gartenverein eine Parzelle besessen hatte. Und das Geld wollte er auch nicht im Voraus haben. Nur die Hälfte.

Die andere Hälfte, wenn alles in Ordnung wäre. Das klang fair.

Vera fuhr mit einem guten Gefühl zum Flughafen.

*


Australien war viel schöner gewesen als sie sich das vorgestellt hatte. Auch ihre Tochter hatte wundervolle Neuigkeiten für sie gehabt. Sie würde Oma werden. Das hieß: Sie musste sobald wie möglich wieder auf den 7. Kontinent. Im ersten Moment war Vera gar nicht so sicher, ob sie sich wirklich freute, wieder zuhause zu sein. Aber beim Anblick von Ibsen ihrem kleinen Jack Russel Terrier wusste sie wieder warum sie zurückgemusst hatte. Und auch auf ihren Garten freute sie sich riesig. Sie hatte ihre Stockrosen vermisst und war gespannt, ob die schon blühten.

*

Was auf ihr alle Fälle blühte war eine Überraschung für sie. In ihrem Garten werkelte eine junge Familie herum. Als Vera die Gartenpforte öffnete zögerte sie einen Moment. Die Leute schauten sie an, als ob sie hier nicht hingehörte. Vera war verwirrt. Wer waren diese Leute?

"Können wir Ihnen helfen?", fragte die junge Frau freundlich.

"Äh, nein", stotterte Vera, überlegte es sich dann aber anders. "Doch Sie könnten mir sagen, was Sie in meinem Garten machen."

Die Frau stutzte. "In Ihrem Garten!?"

"Ja, in meinem Garten."

"Haben Sie sich vielleicht im Gang vertan und ..."

"Junge Frau, ich bin alt aber nicht senil und das hier ist mein Garten. Und das schon seit 17 Jahren. Ich werde doch wohl wissen, wo ich meine Stockrosen gepflanzt ... Wo sind meine Stockrosen?"

Dort, wo sie ihre schönsten Stockrosen zu sehen hoffte, stand nun eine Bank.

"Wir haben diesen Garten gekauft", behauptete die Frau. "Vor 4 Wochen. Und diese Stängel da haben wir ..."

"Gekauft? Wie das denn?"

"Von einem älteren Herrn. Herr Prüter. Wir haben einen Kaufvertrag und alles", erklärte der Mann, der inzwischen hinzugekommen war.
Vera war fassungslos und suchte nach Worten oder Antworten.

"2.600 Euro haben wir dafür hingelegt. Ist ja auch wirklich ein schönes Grundstück."

Vera war immer noch sprachlos. "Der Vorstand …", stammelte sie. "Ich gehe zum Vorstand. Das können die nicht machen! Nicht mit mir!"

"Einen Moment, da komme ich mit!" rief der Mann und holte den Kaufvertrag. Vera warf unterwegs einen Blick darauf. Tatsächlich es war ein normaler Kaufvertrag, wie er vom Landesbund ausgegeben wurde. Aber, und das fiel Vera sofort auf: Keine Unterschrift vom Vorsitzenden und einen Pachtvertrag hatte der neue Besitzer auch noch nie gesehen.

*


Der Vorsitzende fiel natürlich aus allen Wolken. Nach einigem Hin und Her wurde klar, dass der freundliche alte Herr sich einfach den Vordruck für den Kaufvertrag aus dem Internet herunterladen hatte. Den Garten an die Familie Bender verkauft hatte, obwohl er dazu gar nicht das Recht hatte und mit dem Bargeld kurzerhand stiften gegangen war. Bestimmt nicht zum ersten Mal, denn der freundliche Herr Prüter, was natürlich nicht sein Name war, hatte den Kleingarten schon nach Veras erstem Anruf im Internet angeboten und später ihren Rasenmäher, ihre Gartengeräte und sogar ihre Komposter aus Metallgitter bei einer Arten privaten Gartenflohmarkt verkauft hatte. Keinen der Gartenfreunde schien das emsige Treiben des älteren Herren irgendwie aufgefallen zu sein. Auch die gesamte Einrichtung ihrer Laube könnte Vera sicherlich mit viel Glück in den nächsten Tagen auf irgendeinem Flohmarkt in Polen wiederfinden.

Natürlich hatten die Benders keinerlei Ansprüche auf den Garten, weil sie ja gar keinen Vertrag mit dem Verein hatten. Das konnte auch nur einem Gartenneuling passieren!
Aber irgendwo tat die junge Familie Vera leid. Die Kinder hatten sich so auf den Sommer im Garten gefreut. Und viel Geld hatten die Eltern auch noch verloren. Sie beschloss, dass die Benders ihren Garten mitbenutzen konnte, bis sie eine eigene Parzelle fanden. Einen Gartensitter jedenfalls würde sich Vera sicherlich nicht wieder nehmen. Aber da waren ja noch die Benders, die versprachen sich bei ihrer nächsten Australienreise, um ihren Garten zu kümmern. Nur den Verlust ihrer geliebten Stockrosen, den bedauerte sie wirklich.

Der Gartensitter (100) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2012. Alle Rechte vorbehalten.