Geishas Moon

Sie sahen schon etwas komisch aus, diese Europäer. Unauffällig und nur aus den Augenwinkeln betrachtete Tsuki den Fremden im Profil. Diese langen, spitzen Nasen wirkten auf beinahe so, also hätten diese Weissen ein zweites Geschlechtsteil mitten im Gesicht.

Unter der weissen Schminke schienen Tsukis Gesichtsmuskeln zu zittern, weil sie mühsam ein Lächeln unterdrücken musste. Gefühlsregungen konnte sie sich bei der Arbeit nicht leisten.

Mit ruhiger Hand ließ Tsuki den warmen Tee aus luftiger Höhe in das Trinkgefäß rinnen.

Der Europäer grinste sie frech an. Aber als Geisha durfte sie sich daran nicht stören. In den letzten Jahren waren öfter Europäer dabei, wenn sie einen Kunden hatte. Die Herren die sie buchten, machten Geschäfte mit ihnen und sie wussten, dass sie sich darauf verlassen konnte, dass eine erstklassige Geisha, und dafür bezahlten sie bei ihren Diensten, niemals einen Kunden bloss stellte, selbst wenn er noch so gegen die Etikette verstieß.

Als Geisha hatte man einem Ehrenkodex zu folgen, der nicht weniger fordern war, als der an einen Samurai. Geishas waren die Samurais der Unterhaltung
Besonders bei diesem Kunden lag Tsuki viel daran, dass es zu keinen Klagen kam. Horuka hatte schon lange ein Auge geworfen und sie ahnte, dass er vorhatte sie aus Gion heraus zu kaufen. Auch nach 8 Jahren hatte sie die Kosten ihrer Ausbildung noch nicht vollständig an die Okiya abgezahlt.

Also ignorierte Tsuki die Blicke dieses Barbaren und entzündete ein weiteres Räucherstäbchen bevor sie zur Shamise griff. Das würde für ihren Herrn ein teurer Abend werden. Das musste ein wichtige Mann sein, der Fremde. Schon vier Räucherstäbchen waren abgebrannt.

Laut waren sie diese Europäer. Ihre Sprache klang dumpf und grollend, wie ein aufziehendes Gewitter. Noch mehr Tee wollte der Fremde mitten in ihrem Lautenspiel. Das war erniedrigend. Nicht nur, dass er ihre musikalische Darbietung missachtet, nein er forderte auch noch Tee von ihr. Sie war doch keine Dienstmagd, der man Befehle gab!

Natürlich stellte sie ihre Laute ab und begann mit der Teezeremonie. In Horukas Gesicht war keine Regung zu sehen, aber sie wusste natürlich, dass er dem Fremden am liebsten den Kopf abgeschlagen hätte. Sie bemerkte wie seine Hand sich um den Griff seines Katanas krampfte.


Tsuki beeilte sich mit der gebotenen Ruhe dem Fremden zu Willen zu sein. Doch, als sie neben ihm hockte und den Tee eingoss, geschah etwas ungeheuerliches. Seine berührte ihren Obi.

Die Erde hielt einen Moment mit ihrer Rotation inne. Die Vögel verstummte, der Wind erstarb und es war eine Ruhe in dem Raum die den Bruchteil einer Sekunde zur Ewigkeit werden liess.

"Gut gepolstert sind eure Frauen hinten herum!" erklärte der Fremde lachend.

Sie wußte, dass Horuka ihre Ehre nicht verteidigen konnte, auch wenn seine Hand am Schwertknauf völlig blutleer zu sein schien und seine Mundwinkel bereits leichte Reaktionen auf das Geschehen zeigten. Aber sie war nicht seine Frau und damit war ihm Reaktion unmöglich.

Das einzige was er für sie tun konnte, war sie wegzuschicken. Und das tat er auch mit ein kaum erkennbaren Kopfnicken.


Als Tsuki wieder in ihrem Hanamachi war riss sie sich ihre Katsura vom Kopf und begann sich abzuschminken. Ihr Leben als Geisha war vorbei. Niemand würde sie mehr engagieren, wenn sie sich berühren liess. Und Haruka? Er war Zeuge gewesen, wie sie entehrt wurde. Nun war es ihm unmöglich sie zu seiner Frau zu machen.

Es war Zeit ihrem Leben ein Ende zu setzen. Gleich vor dem Fremden hätte sie es tun sollen, aber das hätte gegen den Kodex verstossen. Und auch wenn das letztlich egal war, weil sie als Geisha so oder so versagt hatte, wollte sie dem Fremden nicht noch den Triumph gönnen, ihre Tradition vernichtet zu haben.

Doch nun wo sie keine Perücke mehr trug, kein Schminke mehr und auch ihre Getas ausgezogen hatte, war sie ein Mensch wie alle anderen. Und nun konnte sie ihre Ehre verteidigen.

Sie zog ihren Haarknoten fest und sicherte ihn mit ihren beiden silbernen Lieblings-Kanzashis, dann legte sie sorgfältig ihren Mofuko an und machte sich auf den Weg.
Es war nicht schwer herauszufinden, wo der Fremde wohnte. Es gab nur ein Hotel indem die Geschäftsleute aus Europa abstiegen.

Gegen Mitternacht klopfte sie an die Tür seines Hotelzimmers.

"Ja bitte?" fragte der Fremde, der sie ohne Schminke und Perücke wohl nicht wieder erkannte.

Tsuki konnte die Sprache des Fremden nicht. Statt einer Antwort löste sie den Obi und ließ den Kimono weit aufklaffen.

Was er sah schien dem Fremden zu gefallen. Offenbar hielt er sie für eine Prostituierte. Vielleicht ein Gastgeschenk.

Jeder Japaner bei dem eine Frau in einem Trauerkimono des Nachts um Einlass bat, wäre höchst alamiert gewesen. Nicht so dieser Europäer. Er grinst wieder so unverschämt und lüstern und liess Tsuki herein.


Nun kam es nicht mehr darauf an. Ihre Ehre war eh dahin. So ließ sie sich rittlings auf dem Fremden nieder. Und als er kurz drauf in völliger Ekstase die Augen schloss, griff sie nach den Kanzashis in ihrem Haarknoten. Die silbernen Spitzen waren kunstvoll ziseliert. Es waren Blumenmuster und feinen Rillen im Silber füllte sich sehr langsam mit Blut, als sie ihm von rechts und links die Spitzen in den Hals getrieben hatte. Er röchelte verständnislos. Sah ihr blind in die Augen, während sie ihm die Kazashis erneut in den Hals stach.

Offenbar hatte sie auch seine Stimmbänder erwischt, den von seiner lauten und bedrohlichen Stimme war nicht viel geblieben. Eine Art blubbern vielleicht.

Seine letzten Zuckungen spürte sie in ihrem Becken, dann erlosch sein Lebensgeist.


Erschöpft und kraftlos löste sich Tsuki von dem Körper des Fremden und stand auf. Sie schloss ihren Kimono und verließ blutverschmiert das Hotelzimmer. Es war ihr egal, ob man wusste, dass sie jemanden umgebracht hatte oder nicht. Darum ging es nicht. Ihre Ehre war wiederhergestellt und der weitere Lauf der Ding unvermeidlich. Sie wußte was zu tun war.

Von dem Weg zu Harukas Haus bekam sie nicht viel mit. Sie merkte, das sie angerempelt wurde, aber auch das war ihr egal. Die Lichter auf der Strasse liessen die Welt unscharf und spiegelverkehrt erscheinen. Es war ihr nie klar gewesen, wie laut die Welt wirklich war und wie wichtig die Stille, mit der sie ihre Arbeit ausgeübt hatte.

Nun in ihrer letzten Stunde, wurde ihr alles überdeutlich klar. Sie verstand, warum die Welt nicht ihretwegen anhalten konnte, warum die Dinge vorherbestimmt waren, obwohl es keinen Plan gab, warum die Vögel so unbeschwert den Himmel durchpflügten und doch den Winter nicht überlebten.


Als sie endlich Harukas Washitsu betrat brauchte sie nicht viele Worte. Sie verbeugte sich respektvoll vor ihrem Geliebten und ging zur Tokonoma, wo Harukas Katana hing. Er hätte sie aufhalten können, aber er hockte mit trauriger Mine mitten im Raum und ließ sie gewähren.

Das Katana eines Samurai zu berühren war gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Trotzdem nahm Tsuki es respektvoll mit beiden Händen von dem Holzgerüst.

Haruka sah sie nicht an, als sie mit dem Schwert um ihn herum ging. Keine Regung. Jedem anderen Menschen hätte Haruka bereits den Kopf abgetrennt noch bevor die Hand sich um sein Katana geschlossen hätte. Doch sie ließ er gewähren. Er wußte, warum sie gekommen war und sie wußte, dass er ihr den letzten Dienst erfüllen würde.

Kojouscho ging würdevoll vor ihrem Herrn in die Knie und bot ihm sein Schwert mit beiden Händen dar. Seine Augen waren feuchter als das Kopfsteinpflaster nach einem stundenlangen Regen. Dennoch waren seine Züge, wie in Stein gemeißelt. Nicht ein Muskel in seinem Gesicht schien noch am Leben zu sein.

Sie mußte sich nicht gross bemühen, um ihren Augen ein Flehen zu verleihen. Ihre ganze Existenz war eine Bitte nach Erlösung. Haruka würde sie nicht enttäuschen.
Er nahm das Schwert aus ihren Händen, hielt es ruhig in die Höhe. Tsuki senkte den Blick. Gleich würde sie das Herausziehen der Klinge aus dem Saya hören. Und dann ... dann wäre es vorbei.

Sie wartete. Warum quälte sie Haruka so? Sie sah auf. Und sah, wie Haruka das Katana zu Boden gelegt hatte. Sie verstand nicht, was ...

"Es war nicht deine Schuld!" sagte Haruka ruhig.

Sie verstand noch immer nicht. Was wollte Haruka damit sagen? Sie hatte ihre Ehre verloren und es gab nur eine Möglichkeit ...

Das Vibrieren der Klinge hinterließ ein leichtes Surren in der Luft.

Haruka schaute auf den Kopf seiner einzigen Liebe in diesem Universum, der vor ihm auf dem Boden lag. Er schwankte noch leicht hin und her und ihre verständnislosen Augen brannten sich für immer in seine Seele. Er fühlte ein Stechen in seinem Kopf, als ob ihm selbst jemand eine brennende Klinge ins Gehirn getrieben hätte.

Langsam schaute er auf und sah seinen Vater, dessen Schwert nur von einigen, wenigen Tropfen Blut besudelt war. Der Vater hielt seine Klinge gesenkt in der rechten Hand. Sein Blick ließ sich kaum deuten, aber Haruka wußte, dass dieser Mann keine Wahl hatte.


"Du ... bist die Zukunft", sagte Harukas Vater heiser und hoffte, mehr als jemals zuvor in seinem Leben, dass ihm ein sauberer Hieb gelang.

Geishas Moon (135) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2015. Alle Rechte vorbehalten.