Bald war das Geld so knapp geworden, dass er selbst mit dem Geld, das seine Frau vom Putzen mitbrachte, kaum noch den Lebensunterhalt bezahlen konnte. Dann kam die Zeit, in der Werner anfing, sich auf krumme Geschäfte einzulassen. Aber er hatte kein rechtes Talent dafür. Er blieb einfach der ehrliche, arbeitswillige Schlosser, der er von je her gewesen war. Kleine Gaunereien waren das einzige, was er zuwege brachte. In letzter Zeit hatte er sich darauf spezialisiert, am Bahnhof den einen oder anderen Koffer zu klauen.
Das ging ziemlich leicht. In der ganzen Hektik beim Kaufen des Fahrscheins oder beim Einsteigen auf dem Bahnstieg waren die Leute immer etwas unaufmerksam. Werner passte den richtigen Moment ab, griff sich ein Gepäckstück und verschwand einfach im Getümmel an den Rolltreppen. Später verkaufte er die Sachen auf Flohmärkten. Lohnend war das Geschäft nicht gerade.
Heute hatte er einen silbern glänzenden Leichtmetallkoffer erwischt. Etwas größer als ein Aktenkoffer, aber genauso flach. Das waren meist lohnende Fänge. Oft waren da Diktiergeräte oder teure Taschenrechner drin. Einmal hatte er sogar einen Computer darin gefunden. Das hatte sich richtig gelohnt. Aber dieser Koffer war dafür zu leicht.
Zuhause legte er seine Beute auf den Küchentisch. Martha, seine Frau, wusste von diesem Gewerbe. Erst wollte er es ihr verheimlichen und so tun, als ob er weiterhin schwarzarbeiten würde. Aber er konnte ihr so schlecht erklären, was er immer auf den Flohmärkten trieb und wo er all die Sachen her hatte, die er dort verscherbelte. Außerdem war Martha eine viel zu gute Verkäuferin, und er brauchte ihre Hilfe.
Martha schaute von ihrem Kochtopf auf, in dem die Linsensuppe für die nächsten drei Tage brodelte.
„Schöner Koffer“, sagte sie. Sie hatte Recht, der Koffer könnte bequem 50 Mark bringen, aber Werner verkaufte die Koffer nicht. Das war ihm zu gefährlich, falls jemand sein Gepäck wiedererkannte.
Der Koffer war nicht abgeschlossen. Damit war das größte Problem beim Gepäckklau schon beseitigt. Schien ein guter Tag zu sein. Werner klappte den oberen Deckel hoch, starrte auf den Inhalt und schluckte. Dann sah er zu Martha hinüber, die neugierig zu ihm kam, um den Fund zu begutachten. Auch sie starrte einige Sekunden sprachlos auf den Inhalt. Der Koffer war voller Geld! Nur Hunderter! Alle sauber gebündelt. Ganz frische Scheine mit Banderolen.
„Das behalten wir nicht!“ rief Martha, die immer als erste wusste, was zu tun war.
„Warum nicht?“ fragte Werner, der sich gerade mit dem Gedanken anfreundete, von nun an ein reicher, arbeitsloser Schlosser zu sein.
„Das sieht dir ähnlich, Dummkopf! Das kann doch nur von der Mafia sein. Was glaubst du wohl, wer sonst mit einem Koffer voller Geld durch die Gegend spaziert?“
„Aber …“, wollte Werner einwenden.
„Keine Diskussion, was glaubst du, was die mit uns machen, wenn die merken, dass wir ihr Geld haben? – Die bringen uns um!“
„Ja ja, du hast ja recht“, gab Werner kleinlaut zu.
„Den Koffer bringst du jetzt sofort weg! Schmeiß ihn einfach mitsamt dem Geld auf die Müllkippe. Aber so, dass dich niemand sieht, klar? Versprich mir das!“ forderte Martha energisch.
„Ist schon erledigt“, sagte Werner resigniert und klappte den Koffer zu. Er setzte seine Mütze auf und machte sich auf den Weg.
„Schmeiß es ja weg, hörst du“, rief Martha im besorgt nach, als er schon fast aus der Tür war.
Werner wusste, wie man die Koffer entsorgte. Auf der großen Müllkippe neben der Werft. Da war nie jemand zu sehen. Man schmiss die Koffer einfach einen der Müllberge hinunter. Doch heute zögerte er. Er wusste, dass es zu gefährlich war, das Geld zu behalten. Aber in vier Tagen war die Miete fällig, und er war ziemlich knapp bei Kasse. Zwei Hunderter würden ihm da wirklich weiterhelfen. Noch einmal öffnete er den Koffer, zog aus dem obersten Bündel zwei Scheine heraus und stopfte sie sich in die Hosentasche. Was sollte schon passieren?
Auf dem Rückweg ging Werner gleich bei der Bank vorbei, um die Hunderter auf sein Konto einzuzahlen. Dann sollten sie die Miete ruhig abbuchen. Er füllte das Formular zur Bareinzahlung auf das eigene Konto aus und schob ihn mit dem Geld zusammen durch den Kassenschlitz. Der Kassierer lächelte freundlich und zählte übertrieben ordentlich die zwei Scheine nach. Dann stutzte er und forderte Werner auf, einen Moment zu warten. Im hinteren Teil der Kasse telefonierte er.
„Ist was nicht in Ordnung?“ fragte Werner nervös.
„Alles klar, Sie müssen sich nur einen Moment gedulden, die Computer streiken mal wieder.“
Und Werner wartete. Nach langen fünf Minuten wurde er doch ungeduldig. „Vielleicht komme ich besser morgen wieder“, sagte Werner und wollte sein Geld zurück.
„Nicht nötig“, sagte eine Stimme hinter ihm.
„Hier“, sagte der Kassierer und schob dem Kommissar den Schein hinüber. Der Kommissar schaute sich die Rückseite des Scheins an und lachte. „Wir haben da eine Meldung vorliegen, dass auf dem Bahnhof heute ein Koffer voller Geld gestohlen wurde. Und nun wissen wir auch, wer das war, nicht wahr?“ sagte der Kommissar an Werner gewandt, und zeigte ihm die Rückseite des Scheins.
„FILMGELD, nur für die Verwendung bei Filmproduktionen geeignet“, stand da in mattgrauen Großbuchstaben quer über den Schein geschrieben.
Schmutziges Geld (65) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1997. Alle Rechte vorbehalten.