Geliebte Hexe

Walter hasste diesen ewigen neuen Kram. Seit wann feiert man hierzulande Halloween? Er hätte sich sicherlich geweigert mit zu dieser Party zu gehen, aber als er Louise zusah, wie sie sich als Hexe zurecht machte, verrauchte spontan ein Teil seiner Abneigung gegen Halloween.

Gott, wie sah seine Frau gut aus als Hexe. Klar, auf diese Hakennasenmaske mit den ganzen Warzen und so hätte sie gerne verzichten können, aber alles andere…

Allein schon diese spitzen Stiefelletten hätte Walter stundenlang anschauen oder minutenlang küssen können. Er starrte auf ihre dicken Waden, die aus dem Stiefelschaft herausbrachen und irgendwo, leider unsichtbar unter den Fransen ihres Rockes in ihm schon bekannte rundliche Oberschenkel übergingen, die ihn nach wie vor magischen reizten.

„Lass das!“ kicherte Louise als er ihren Rock anhob, während sie sich die Lippen nachzog. Wozu? Das konnte man unter der Maske doch eh nicht sehen. Er ließ den Rock wieder sinken. Wenigsten hatte er einen Blick auf den Rand ihrer halterlosen Nylons werfen können.

„Mach dich fertig, wir müssen los!“

Alles an Walter sträubte sich dagegen ein Piratenkostüm wie ein Depp anzuziehen, aber er hatte keine Wahl. Was ihm diesen Gedanken einigermaßen erträglich machte, war die Tatsache, dass er vermutlich den Abend damit verbringen würde, einer richtig scharfen Hexe nachzustellen und sie, wenn möglich noch irgendwo auf der Party als Beute nehmen würde. Egal, ob jetzt als Pirat oder nicht.

In der Regel lehnte Louise solche spontanen Liebesbezeugungen ab. Aber er war zuversichtlich, bei ihrer guten Laune, dass heute einer der zehn Tage im Jahr war, wo sie sich auf so etwas einließ.

Für ihn jedenfalls war trotz der guten Aussichten, beim angeklebten Bart Schluss. Denn hätte er, wenn sein Plan erfolgreich sein würde, sowieso wieder abnehmen müssen. Louise hasste jede Vermischung von Scham- und Barthaaren.

*

Erwartungsgemäß war die Party ein echter Knaller. Jedenfalls für Leute, die bei Wetterprognosen oder Prominentenklatsch einen Orgasmus bekamen. Walter hingegen drohte nach kurzer Zeit an seiner Langeweile zu ertrinken und das wollte er eigentlich nicht.

Schon wieder stieg in ihm ein leichter Ärger hoch. Nicht nur, dass man hier hatte Eintritt zahlen müssen, nein, das Schild am Eingang verkündete auch noch mit gewissem Stolz, dass es sich um eine Ü40 Veranstaltung handelte. Einen Klapp-Spaten hätte er mitnehmen sollen, zum Eingraben. Stattdessen hatte er einen Säbel aus Gummi dabei.

„Sind Sie allein hier?“ fragte eine Cinderella, die man ihr mit all den Falten nun wirklich nicht abnahm, flötend.

„Eher nicht“, brummte Walter Depp.

„Sind Sie ein Pirat?“ fragte Cinderella unverdrossen weiter.

Walter sah sie sprachlos an. Er wollte …

„Das ist ein schönes Kostüm“, säuselte Cinderella weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. In diesem Moment wurde Walter klar, dass Cinderella zwar schon sehr lange einsam, aber niemals wirklich allein war.

„Es gibt ja so wenig richtige Männer auf der Welt, finden Sie nicht?“

Die Frage war in weite Ferne oder aber an seinen Hosenstall gerichtet. Antworten erwartete Cinderella jedenfalls keine, so oder so.

„Möchten Sie noch etwas trinken!“

„Ich könnte Ihnen einen blasen“, kicherte Cinderella wie ein Schulmädchen.

„Noch so einen“, fragte Walter ungerührt weiter und zeigte auf ihr Glas.

„Sie sind ja so verständnisvoll“, summte das Bienchen weiter. „Richtige Männer sind so selten heutzutage ...“

„Das ist meiner“, fuhr die Hexe schroff dazwischen. „Also schwirr ab!“

Ups, solche Töne war er von seiner Frau gar nicht gewohnt. Louise zog ihn am Ellenbogen von dem Tresen fort. „Das ist doch nichts für dich!“

Walter lachte. Wenn sie wüsste, wie recht sie hatte. Für Walter gab es keine andere Frau als Louise. Im Leben nicht.

Sie zog ihn weiter durch die Menge und die Treppe hinunter Richtung Toiletten.

„Wo willst du hin?“ fragte er verblüfft. Aber er bekam keine Antwort. Im Flur zog sie ihn mit sich ins Damenklo. Jetzt war er aber irritiert.

„Das wolltest du doch!“ flüsterte sie.

Da hatte sie Recht. Aber sonst scherte sie das eigentlich eher wenig, was wollte.

„Komm schon!“ forderte sie ihn mit nuttig verstellter Stimme auf.

Das war sein Glückstag!

Louise hatte sich an die Wand gelehnt und streckte ihm auffordernd den Hintern hin. Walter war begeistert, er griff der Hexe unter den Fransenrock und stutzte. Sie hatte sich rasiert. Glatt wie Samt, war sie da unten. Ein weiteres ewiges Streitthema, das heute sein Ende gefunden zu haben schien. Vielleicht war sie auf dem Weg in die Menopause, überlegte Walter. Jetzt bloß nicht nachdenken, das würde nur alles verderben.

Hektisch glitt er in Louisa rein. Sie war ungewöhnlich geschickt, sich in die richtige Position zu bringen. Das flutschte nur so. Walter brauchte keine zwei Minuten bis er sich absonderte. Aber er war so erregt, dass es ihn nicht davon abhielt weiterzumachen. Was ihn allerdings vom zweiten Orgasmus abhielt, war die Frage seiner Frau: „Hier bist du also!“

Walter hatte die Stimme gehört und sie war nicht von vorn gekommen. Er drehte sich um. Sein Blick wanderte zwischen den beiden Hexen hin und her. Die Kostüme waren identisch. Absolut. Sein Blick wanderte von der Frau, in der er feststeckte, zu der in die er eigentlich gehörte. Walter wusste in dieser Situation wirklich nicht mehr weiter.

„Ich weiß nicht, was ich ...“

Louise ließ ihm nicht gerade viel Zeit für Erklärungen.

„Das können wir zuhause klären! Komm da raus, wir gehen nach Haus!“ kommandierte sie in gereiztem Tonfall.

In diesem Moment glaubte Walter, dass er das irgendwie erklären konnte. Wobei ihm eigentlich klar war, dass er seine Erklärung selber nicht glauben würde. Jetzt half nur noch beten. Walter war nicht wirklich überzeugt davon, dass sie über diese Geschichte jemals gemeinsam würden lachen können.

Geliebte Hexe (96) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2011. Alle Rechte vorbehalten.